Reality-Check: Der Tatort im Rotlicht

Die Kommissare, gespielt von Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser (nicht im Bild), tauchten tief in den Wiener Rotlicht-Sumpf ein .
Ein Kriminalist nahm mit dem KURIER den Krimi unter die Lupe. Sein Fazit: Nah dran.

Zwei ramponierte Kriminalisten, die tief in den Wiener Rotlicht-Sumpf eintauchen. „Angezählt“, der am Sonntag ausgestrahlte Tatort, war ein Quotenhit: 968.000 Österreicher und 9,34 Millionen Deutsche verfolgen die Melange aus Billig-Sex, ausgebeuteten Bulgarinnen in Elendswohnungen, verruchten Lokalen und letztlich machtlosen Beamten. Doch wie weit ist der Streifen an der Realität dran?

Ziemlich nahe, sagt Gerald Tatzgern, Chef der Zentralstelle für Schlepperkriminalität im Bundeskriminalamt (BK), der auch Tatort-Crew beraten hat. Der KURIER prüfte mit ihm die wesentlichen Fakten.

Gibt es in Wien 6.000 illegale Prostituierte?
Verlässliche Zahlen über das Milieu sind ein rarer Luxus. In Wien sind rund 3400 Prostituierte offiziell registriert. Rund die Hälfte geht dem Gewerbe auch nach (d.h. sie machen die vorgeschriebene Gesundenuntersuchung). Im BK schätzt man die Anzahl der Geheimprostituierte auf rund 3000 in Wien, österreichweit auf rund 4000. Allerdings sind das nur Schätzungen.

Ist Wien ein Drehkreuz für Frauenhändler?
Das titelte am Montag zwar eine Zeitung. Richtig ist es deshalb nicht: Österreich liegt zwar im Zentrum Europas und ist laut Tatzgern „mittendrin im Netzwerk“. Eine echte Drehkreuz-Funktion habe Deutschland.

Ist der brutale Zuhälter-Typ Realität oder ein überholtes Klischee?
Die legendären Gürtel-Bosse, die einst das Rotlicht in Wien mit – wenn nötig – eiserner Faust regiert haben, sind ausgestorben. „Ausputzer“, erklärt Tatzgern, gibt es „sehr wohl“. Das seien „brutale Typen“, die zumeist im Sold von „Geschäftsmännern“ stehen.

Wie funktioniert der Frauenhandel?
Gehäuft registrieren Kriminalisten die „Lover Boy“-Methode. Ein attraktiver und/oder vermögender Mann lockt junge Frauen mit falschen Versprechungen aus den Elendsgegenden Osteuropas in den Westen. Eine Heirat, um dem Schwindel perfekt zu machen, ist nicht ausgeschlossen. Um Geld für „die gemeinsame Zukunft“ aufzustellen, gehen sie anschaffen – oder sie werden schlicht gezwungen.

Ist das dargestellte Ausmaß an Gewalt im Milieu realistisch?
Schwere, körperliche Gewalt ist laut Tatzgern „eher selten“ und die Ultima Ratio für Zuhälter. Sie üben häufiger psychische Gewalt aus: Etwa durch die Androhung von Gewalt gegen die Familie oder durch ein Outing als Prostituierte in der Heimat.

Sind illegale Prostituierte immer Opfer von Gewalt und Menschenhändlern?
Der Bogen ist genauso weit gespannt wie bei der legalen Prostitution: Das Spektrum beginnt bei Freiwilligkeit, reicht von der ökonomischen bis hin zu psychischer und physischer Gewalt. Oft negieren Frauen einfach behördliche Auflagen und gelten deshalb als illegal. Illegalität ist per se nicht mit Menschenhandel gleichzusetzen.

Was wird gegen Geheimbordelle unternommen?
Die Ermittlungen sind laut Tatzgern aus mehreren Gründen schwierig: Frauen seien oft so beeinflusst, dass sie nicht mit der Polizei kooperieren. Eine Anbahnungsabsicht sei schwer nachweisbar. In Wien erlaubt das Prostitutionsgesetz den Beamten als Lockvögel, d.h. als falsche Freier, ein Geschäft anzubahnen. Daran hagelte es bereits Kritik.

Gibt es in Wien nur sechs zuständige Beamte?
Ja. Die Gruppe Menschenhandel umfasst in Wien 20 Personen, wovon sich sechs darauf spezialisiert haben. Dazu kommen Beamte des BK und jene in den Außenstellen des Landeskriminalamtes, die für Sittlichkeitsdelikte zuständig sind.

Herkunft: Die Frauen stammen überwiegend aus Osteuropa. In Wien sind 1036 Rumäninnen und 800 Ungarinnen registriert.

Bordelle: Aktuell sind in Wien 270 genehmigt. Vor der Novelle des Gesetzes waren es rund 450.

Gesamtzahl: Schätzungen des Bundeskriminalamtes zufolge gibt es in Österreich 10.000 legale und illegale Prostituierte

Mit 1. November 2011 trat das neue Wiener Prostitutionsgesetz in Kraft. Jahrelang herrschte Wildwuchs im Milieu. Plötzlich gab es eine Flut an Regeln, die das Gewerbe ordentlich umkrempelten.

Straßenstrich: Das Anschaffen auf Wiens Straßen wurde neu geregelt: Straßenprostitution ist nur mehr in Gewerbe- oder Industriegebieten erlaubt und in Wohngegenden verboten. Seitdem ist die Anzahl von Straßensprostituierten gesunken. Aktuell sind es einer Schätzung der Polizei zufolge rund 150. Evident wurde auch, dass das Thema zum Spielball der Politik wurde. Im Stuwerviertel machen Anrainer mit der Initiative „Rotlicht statt Blaulicht“ unter randerem gegen diesen Umstand mobil.

Indoor-Prostitution: Wer in Wien ein Etablissement betreiben will, braucht einen Genehmigungsbescheid. Geprüft wird, ob der Mann zuverlässig ist. Er darf etwa nicht gegen prostitutionsrechtliche Vorgaben verstoßen haben. Außerdem muss ein Ziviltechniker in einem Gutachten alle baulichen Vorgaben (Brandschutz, eigener Straßenzugang, uvm.) Aktuell sind 270 der ursprünglich 400 Bordelle genehmigt, mehrere Dutzend sind noch im Verfahren.

Verwaltungsstrafen: Die Anzahl der Strafen hat sich durch das neue Gesetz reduziert: Von 10.592 (im Jahr 2011) auf 8694 (im Jahr 2012). Sie treffen überwiegend Prostituierte. Nur 238 Freier und 105 Lokalbetreiber wurden angezeigt.

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