Ausgebremst: Wie die Raser auf Österreichs Straßen ticken
Der eine ist jung, übermütig und verlässt sich auf seinen Bremskraftverstärker. Der andere ist nicht mehr ganz so jung und hält sich für verantwortungsbewusst; doch auch er hat es eilig und er meint, er könne mit dem Tempo umgehen, schließlich habe er sein Auto im Griff. Dass in der Stadt schon fünf km/h über Leben und Tod eines Fußgängers entscheiden können, halten beide für übertrieben. Das mag für andere gelten. Nicht für sie. Sie sind schließlich reaktionsschnell.
Verkehrspsychologen sagen: Die beiden überschätzen sich. Beider Persönlichkeitsprofil zeichnet sich durch niedrige Selbstkontrolle und tendenziell risikoaffinen und kompetitiven Fahrstil aus. Es sind jene notorischen Schnellfahrertypen, die Verkehrspsychologen gemeinsam mit der Asfinag in einer Studie zum Thema Verkehrssicherheit ausgearbeitet haben.
Jung, männlich, risikoaffin. Psychisch labil, ist er wenig regel- und normenbewusst und selbstkontrolliert. Er hat eine hohe Ärgerneigung. Durch bewusstseinsbildende Verkehrssicherheitskampagnen wird er nur unzureichend angesprochen und kann schwer zu Verhaltensänderungen motiviert werden
Männlich, mittleren Alters, psychisch stabil, hat jedoch wenig Selbstkontrolle und einen tendenziell risikoaffinen, kompetitiven Fahrstil. Er beschreibt sich als verantwortungsbewusst, ein großer Widerspruch zum tatsächlichen Verhalten. Meint, er könne mit dem Tempo umgehen. Überschätzt sich gern
Beide gehören zu jenen Autofahrern, die maßgeblich an der Unfallstatistik beteiligt sind. Die spricht auch für das vergangene Jahr wieder eine deutliche Sprache. Zwar gab es 2020 wegen des Lockdowns und dem dementsprechend geringeren Verkehrsaufkommen mit 338 Opfern insgesamt weniger Verkehrstote, doch gilt hohes Tempo nach wie vor als Hauptunfallursache. Schnellfahren ist, so scheint es, die letzte Freiheit, die im Coronajahr geblieben ist. Die Freiheit, auf vier Rädern zu rasen, kostete allein im vergangenen Jahr mehr als 100 Menschen das Leben.
Verkehrsministerin Leonore Gewessler sagt der Raserei nun den Kampf an. Demnächst treten empfindliche Strafverschärfungen bei Geschwindigkeitsdelikten in Kraft. Der Strafrahmen wird von 2.180 auf 5.000 Euro erhöht, die Mindestentzugsdauer des Führerscheins wird verdoppelt, im schlimmsten Fall könnte das Auto weg sein.
Erhöhung des Strafrahmens von 2.180 auf 5.000 Euro bei stark überhöhter Geschwindigkeit
Verdopplung der Mindestentzugsdauer Die Mindestentzugsdauer des Führerscheins wird bei einer Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h und im Freilandgebiet um mehr als 50 km/h auf ein Monat sowie im Wiederholungsfall auf drei Monate erhöht. Ab 80/90 km/h-Überschreitung gelten sechs Monate Führerscheinentzug und Nachschulung.
Die Teilnahme an illegalen Straßenrennen gilt künftig als besonders gefährliches Delikt. Sanktion: Sechs Monate Entziehung der Lenkberechtigung
Auto weg Beschlagnahmung des Fahrzeuges in besonders gefährlichen Fällen von extremer Raserei
Die Reform kommt nicht zu früh, denn, sagt Verkehrspsychologin Bettina Schützhofer: "In Österreich fehlt das Gefahrenbewusstsein in Bezug auf Schnellfahren. Schnellfahren ist ein Kavaliersdelikt und die Akzeptanz von Geschwindigkeitsübertretungen ist wesentlich höher als in anderen Ländern."
Das problematische Verhältnis zum Thema Geschwindigkeit beginne schon bei der Autowerbung. "Wir müssen uns vom Prototypen des risikobereiten Abenteurers verabschieden. In der Pandemie boomten die Autoverkäufe, und die Sehnsucht nach Abenteuer wurde dabei mitverkauft", so Schützhofer.
Das Auto befriedigt emotionale Bedürfnisse, die Werbung suggeriert: Wer ein tolles Auto hat, ist selbst ein toller Typ. Nach wie vor kaufen Menschen mit dem Auto Status und Image und Armeen von Autoentwicklern achten darauf, welche Emotionen eine Fahrzeugfront auslöst. Hauptsache, schneidig und rasant. Zur Bauart des Autos kommt der Aufforderungscharakter vieler Straßen. Je breiter und gerader, desto schneller wird gefahren.
Dennoch wird nicht jeder zum Raser. Nicht einmal mit einem Porsche und einer breiten, leeren Straße unter sich, sagt die Verkehrspsychologin. Das sei letztlich doch Typsache. Was Menschen grundsätzlich zum schnell Fahren ermuntert? „Das bei uns häufige ,ein bisserl zu schnell’ ist meist Unachtsamkeit. Etwas anderes sind die deutlichen Übertretungen. Da geht es um Beschleunigung und kompetitives Messen. Denn beim Autofahren steuert man noch selbst. Wenn sie das Auto auch bei hohen Geschwindigkeiten noch im Griff haben, haben viele die Illusion eines Kompetenzerlebens. Und das ist natürlich Machtdemonstration.“
Verkehrskultur
Das Raser-Problem sei im Europavergleich insbesondere in Österreich und Deutschland drastisch. Anderswo herrsche eine andere Verkehrskultur. "In der Schweiz hat man zunächst aus Umweltschutzgründen Tempo 80 auf den Landstraßen eingeführt, worauf sich auch die Verkehrssicherheitsstatistik positiv entwickelt hat. Die Schweiz hat nur halb so viele Verkehrstote wie wir. Geschwindigkeit wird streng kontrolliert, da gibt es auch keine Toleranzen wie bei uns. Dort heißt 100 tatsächlich 100."
Und selbst Deutschland sucht mittlerweile andere Wege, weil auch dort Geschwindigkeit zu den Hauptunfallursachen zählt. "Allerdings ist das natürlich eine Kulturfrage. Im Land der Autobauer kann man immer noch anhand des Autos die Firmenhierarchie ablesen. In Italien etwa hat man im Gegensatz dazu wesentlich kleinere Autos und somit ein anderes Fahrverhalten."
Dieter Klebelsberg, der Begründer der modernen Verkehrspsychologie, bezeichnet das Verhalten am Steuer als "Spiegel des allgemeinen Verhaltens". Das Verkehrsverhalten sei die maßstabgetreue Verkleinerung des gesamtgesellschaftlichen Verhaltens. Und da, sagt Bettina Schützhofer, sei Geschwindigkeit einfach positiv besetzt. Dass Geschwindigkeit im Straßenverkehr nur einen minimalen Zeitvorteil bringt, hätten die wenigsten verinnerlicht.
Ein wichtiger Schritt, um eine Veränderung der Verkehrskultur zu erreichen, wäre die Verankerung von Geschwindigkeitsdelikten im Vormerksystem. "Dann könnte man sagen: hohe Geschwindigkeit ist gefährlich und je höher die Geschwindigkeit, desto gefährlicher. Jetzt haben wir das Problem, dass es erst dann einen Führerscheinentzug gibt, wenn es schon wirklich massiv ist."
Ein Kavaliersdelikt
Das geringe Problembewusstsein beim Thema Schnellfahren sei über Jahrzehnte gewachsen. Früher galt auch Alkohol am Steuer als Kavaliersdelikt. Erst eine gemeinschaftliche Anstrengung von Gesetz, Überwachung, Strafe, Information und Bewusstseinsbildung hat die Anzahl der alkoholauffälligen Lenker deutlich reduziert. Gab es in den frühen 2000ern jährlich weit mehr als 20.000 Nachschulungsteilnehmer wegen Alkohol am Steuer, sind es mittlerweile 13.000.
Bei der Geschwindigkeit gilt jedoch immer noch: Ein bissel was geht immer. Schützhofer: "Dazu kommt, dass wir mehrere Verkehrsminister hatten, die die Geschwindigkeitslimits nach oben setzen wollten. Wenn sogar ein Verkehrsminister zu verstehen gibt, Geschwindigkeit sei nicht gefährlich, dann braucht man sich nicht zu wundern."
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