Beide gehören zu jenen Autofahrern, die maßgeblich an der Unfallstatistik beteiligt sind. Die spricht auch für das vergangene Jahr wieder eine deutliche Sprache. Zwar gab es 2020 wegen des Lockdowns und dem dementsprechend geringeren Verkehrsaufkommen mit 338 Opfern insgesamt weniger Verkehrstote, doch gilt hohes Tempo nach wie vor als Hauptunfallursache. Schnellfahren ist, so scheint es, die letzte Freiheit, die im Coronajahr geblieben ist. Die Freiheit, auf vier Rädern zu rasen, kostete allein im vergangenen Jahr mehr als 100 Menschen das Leben.
Verkehrsministerin Leonore Gewessler sagt der Raserei nun den Kampf an. Demnächst treten empfindliche Strafverschärfungen bei Geschwindigkeitsdelikten in Kraft. Der Strafrahmen wird von 2.180 auf 5.000 Euro erhöht, die Mindestentzugsdauer des Führerscheins wird verdoppelt, im schlimmsten Fall könnte das Auto weg sein.
Die Reform kommt nicht zu früh, denn, sagt Verkehrspsychologin Bettina Schützhofer: "In Österreich fehlt das Gefahrenbewusstsein in Bezug auf Schnellfahren. Schnellfahren ist ein Kavaliersdelikt und die Akzeptanz von Geschwindigkeitsübertretungen ist wesentlich höher als in anderen Ländern."
Das problematische Verhältnis zum Thema Geschwindigkeit beginne schon bei der Autowerbung. "Wir müssen uns vom Prototypen des risikobereiten Abenteurers verabschieden. In der Pandemie boomten die Autoverkäufe, und die Sehnsucht nach Abenteuer wurde dabei mitverkauft", so Schützhofer.
Das Auto befriedigt emotionale Bedürfnisse, die Werbung suggeriert: Wer ein tolles Auto hat, ist selbst ein toller Typ. Nach wie vor kaufen Menschen mit dem Auto Status und Image und Armeen von Autoentwicklern achten darauf, welche Emotionen eine Fahrzeugfront auslöst. Hauptsache, schneidig und rasant. Zur Bauart des Autos kommt der Aufforderungscharakter vieler Straßen. Je breiter und gerader, desto schneller wird gefahren.
Dennoch wird nicht jeder zum Raser. Nicht einmal mit einem Porsche und einer breiten, leeren Straße unter sich, sagt die Verkehrspsychologin. Das sei letztlich doch Typsache. Was Menschen grundsätzlich zum schnell Fahren ermuntert? „Das bei uns häufige ,ein bisserl zu schnell’ ist meist Unachtsamkeit. Etwas anderes sind die deutlichen Übertretungen. Da geht es um Beschleunigung und kompetitives Messen. Denn beim Autofahren steuert man noch selbst. Wenn sie das Auto auch bei hohen Geschwindigkeiten noch im Griff haben, haben viele die Illusion eines Kompetenzerlebens. Und das ist natürlich Machtdemonstration.“
Das Raser-Problem sei im Europavergleich insbesondere in Österreich und Deutschland drastisch. Anderswo herrsche eine andere Verkehrskultur. "In der Schweiz hat man zunächst aus Umweltschutzgründen Tempo 80 auf den Landstraßen eingeführt, worauf sich auch die Verkehrssicherheitsstatistik positiv entwickelt hat. Die Schweiz hat nur halb so viele Verkehrstote wie wir. Geschwindigkeit wird streng kontrolliert, da gibt es auch keine Toleranzen wie bei uns. Dort heißt 100 tatsächlich 100."
Und selbst Deutschland sucht mittlerweile andere Wege, weil auch dort Geschwindigkeit zu den Hauptunfallursachen zählt. "Allerdings ist das natürlich eine Kulturfrage. Im Land der Autobauer kann man immer noch anhand des Autos die Firmenhierarchie ablesen. In Italien etwa hat man im Gegensatz dazu wesentlich kleinere Autos und somit ein anderes Fahrverhalten."
Dieter Klebelsberg, der Begründer der modernen Verkehrspsychologie, bezeichnet das Verhalten am Steuer als "Spiegel des allgemeinen Verhaltens". Das Verkehrsverhalten sei die maßstabgetreue Verkleinerung des gesamtgesellschaftlichen Verhaltens. Und da, sagt Bettina Schützhofer, sei Geschwindigkeit einfach positiv besetzt. Dass Geschwindigkeit im Straßenverkehr nur einen minimalen Zeitvorteil bringt, hätten die wenigsten verinnerlicht.
Ein wichtiger Schritt, um eine Veränderung der Verkehrskultur zu erreichen, wäre die Verankerung von Geschwindigkeitsdelikten im Vormerksystem. "Dann könnte man sagen: hohe Geschwindigkeit ist gefährlich und je höher die Geschwindigkeit, desto gefährlicher. Jetzt haben wir das Problem, dass es erst dann einen Führerscheinentzug gibt, wenn es schon wirklich massiv ist."
Ein Kavaliersdelikt
Das geringe Problembewusstsein beim Thema Schnellfahren sei über Jahrzehnte gewachsen. Früher galt auch Alkohol am Steuer als Kavaliersdelikt. Erst eine gemeinschaftliche Anstrengung von Gesetz, Überwachung, Strafe, Information und Bewusstseinsbildung hat die Anzahl der alkoholauffälligen Lenker deutlich reduziert. Gab es in den frühen 2000ern jährlich weit mehr als 20.000 Nachschulungsteilnehmer wegen Alkohol am Steuer, sind es mittlerweile 13.000.
Bei der Geschwindigkeit gilt jedoch immer noch: Ein bissel was geht immer. Schützhofer: "Dazu kommt, dass wir mehrere Verkehrsminister hatten, die die Geschwindigkeitslimits nach oben setzen wollten. Wenn sogar ein Verkehrsminister zu verstehen gibt, Geschwindigkeit sei nicht gefährlich, dann braucht man sich nicht zu wundern."
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