Psycho-Terror, der krank macht
Seit drei Jahren lebt Roland S. (Name geändert) in Angst. Begonnen hat alles im März 2014, als sein alter Schulfreund – nennen wir ihn Lukas P. – vor der Tür stand. Beim Öffnen stürmte dieser auf ihn zu, drückte ihn gegen die Wand und schlug ohne ersichtlichen Grund auf ihn ein. Mittlerweile wohnt Roland S. bei einem Freund, weil er sich zu Hause nicht mehr sicher fühlte. Jedes Mal, wenn es läutet, zuckt er zusammen.
Der 30-Jährige ist mit seiner Angst nicht alleine. Lukas P. soll den gesamten Freundeskreis terrorisieren. Mal läute er Sturm. Mal beschmiere er Hauswände. Dann schreibe er wieder Droh-SMS und Verleumdungs-Nachrichten auf Facebook. Immer öfter werde er tätlich. Vier aus der Gruppe haben eine einstweilige Verfügung erwirkt. Abhalten würde das Lukas P. nicht. Regelmäßig werde die Polizei geholt. Eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs ist im Laufen.
Sein Verhalten stellt die Gruppe vor ein Rätsel. Lukas P. rechtfertige seine Taten mit Unwahrheiten. Er erfinde Beziehungen und mache seinen alten Freunden deswegen dann Vorwürfe. "Ich hätte nie gedacht, dass mir das passiert", sagt Grafikerin Bernadette K., die jüngst von Lukas P. mit einem Axtstiel attackiert wurde. "Ich dachte nicht, dass ich eine Person in meinem Freundeskreis haben würde, die zu solchen Taten fähig wäre."
Zwei Mal abgewiesen
Stefan H., der ein Lokal führt und wegen Lukas P. Stammkunden verloren habe, konnte beim Wiener Straflandesgericht nun eine Anklage wegen Stalkings durchbringen.
Einfach war das nicht. "Ich wurde zwei Mal abgewiesen", sagt Stefan H. "Es hieß, das sei alles nicht so dramatisch." Denn die Causa kann immer nur von einer Einzelperson angezeigt werden. Auch wenn eine gesamte Gruppe betroffen und verängstigt ist.
"Natürlich ist es gut, dass wir in einem Staat leben, in dem eine Person nicht einfach eingesperrt werden kann, weil ein paar sagen: ,Der ist komisch‘. Aber wir wissen nicht mehr weiter", sagt Bernadette K. Dazu kommt, dass sich einige aus der Gruppe gar nicht trauen, zur Polizei zu gehen, weil sie fürchten, Lukas P. würde durch Vorladungen noch aggressiver werden.
Rosa Logar, Leiterin der Wiener Interventionsstelle, sieht die Justiz gefordert: "Solche komplexen Fälle sind leider nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel. Hier muss schneller und verschränkter gearbeitet werden. Diesen Personen müssen Grenzen gesetzt werden. Jeder Mensch hat ein Recht darauf, in Frieden zu leben."
Mehr Cyber-Stalking
Eine, die sich mit dem Thema Stalking sehr intensiv auseinandergesetzt hat, ist Edith Huber von der Donau-Universität Krems. Sie ist vor allem dem Phänomen nachgegangen, dass die Täter ihre Opfer immer öfter mittels Telekommunikationstechnik belästigen bzw. "verfolgen". In einer von Huber initiierten Studie wurden 747 Österreicher im Alter von 18 bis 66 Jahren befragt. Das Ergebnis: Ein Drittel der Befragten gab an, dass sie mittels eMail, sechs Prozent mittels Chat (z. B. WhatsApp), ein Fünftel per SMS und 2,5 Prozent über die Verbreitung von unerwünschten Inhalten auf einer Website (wie z. B. Facebook oder Blogs) belästigt wurden. "Die Opfer sind in allen Schichten und Altersklassen zu finden", sagt die Forscherin.
Interessant sei laut Huber auch, dass beim sogenannten Cyberstalking immer mehr Frauen zu Täterinnen würden, was einen bedeutenden Unterschied zum klassischen Stalking darstelle. Allerdings sei die Bereitschaft der Männer, Cyberstalking zur Anzeige zu bringen, viel geringer als die von Frauen.
Die nächste Anhörung im Stalking-Verfahren gegen Lukas P. soll Ende Jänner stattfinden. Derzeit wird ein psychiatrisches Gutachten über den mutmaßlichen Täter erstellt.
"Ich hoffe, dass es bald eine Entscheidung gibt. Eine, die endlich etwas bewirkt", sagt Stefan H. "Derzeit dreht sich mein ganzes Leben nur mehr um diese Geschichte."
Hunderte Anrufe innerhalb weniger Tage, Sturmläuten an der Haustüre, eMails mit falschem Absender – Stalking-Opfer sind oftmals einem wahren Psychoterror ausgesetzt. In manchen Fällen gehen die Belästigungen so weit, dass die Personen psychologische Betreuung brauchen, um die Geschehnisse überhaupt verarbeiten zu können.
Der KURIER sprach mit einer Ermittlerin des Bundeskriminalamtes, die schon mit vielen Fällen konfrontiert war, in denen es um beharrliche Verfolgung ging. „Es ist ganz wichtig zu dokumentieren, was der Stalker unternimmt. Deswegen ist es aus meiner Sicht auch sinnvoll, sich ein Gedächtnisprotokoll anzulegen. Auch deshalb, weil es die Beweisführung in einem möglichen Gerichtsverfahren einfacher macht.“
Wichtig sei es auch, dem Täter unmissverständlich klar zu machen, dass man keinen weiteren Kontakt mehr wolle.
„Am besten macht man dies, wenn sich ein Zeuge in der Nähe befindet“, sagt die Ermittlerin. Grundsätzlich sei es wichtig, in konkreten Gefahrensituationen sofort die Polizei über den Notruf 133 zu informieren. Wird man mit dem Auto verfolgt, sollte man unbedingt die nächstgelegene Polizeidienststelle ansteuern.
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