Personalmangel: 18 Polizeibewerber für 250 freie Plätze in Wien
An den Wänden im neu eröffneten Recruiting-Center der Exekutive in der Leopoldstadt sind Fotos von Polizei-Einsätzen zu sehen: Zwei Uniformierte nehmen einen Mann fest, ein Beamter in gelber Schutzweste regelt den Verkehr.
Der 18-jährige Gezim Tahiri trägt keine Schutzweste, sondern einen weißen Pullover. Doch er will genau einer dieser Männer auf den Fotos werden. „Der Beruf interessiert mich schon, seit ich mit meinem Vater als Kind Dokumentationen über Polizeieinsätze angeschaut habe“, sagt der 18-Jährige. Viel Konkurrenz erhält er an diesem Tag in der Leopoldstadt nicht. Nur wenige Bewerber haben sich eingefunden, um sich über den Polizei-Job zu informieren.
Zu wenige Bewerber
Mit zu wenigen Bewerbungen kämpft die Polizei schon seit Jahren. In Wien sollten laut Vorgaben des Innenministeriums (BMI) jährlich 500 Beamte aufgenommen werden. Tatsächlich waren es in diesem Jahr mit Stand September 267 Polizeischüler. Für den Kurs im Dezember gibt es laut Gewerkschaft erst 18 Bewerber – bei 250 freien Plätzen.
Aber nicht nur die geringe Bewerberanzahl und die Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation stellt die Exekutive vor große Herausforderungen, sondern auch die hohe Drop-out-Quote in der Ausbildung. „Im vergangenen Jahr haben 116 Polizeischüler die Ausbildung abgebrochen“, heißt es aus der Landespolizeidirektion Wien.
Es gebe keine Pflicht, der Behörde den Grund des freiwilligen Austritts mitzuteilen; die meisten Polizeischüler seien aber wegen „mangelnden Lernerfolgs“ ausgetreten. Auch 42 fertig ausgebildete Polizisten reichten in Wien im vergangenen Jahr ihre Kündigung ein.
Ruhestand
Jährlich gehen in Wien rund 200 Be-amte in Pension – bei einem Gesamtpersonalstand von circa 8.500 Polizisten
Status quo
Aktuell fehlen in den Wiener Polizeiinspektionen rund 700 Polizisten. Andere Abteilungen mitgerechnet „haben wir einen Mangel von 1.000 Mitarbeitern“, sagt Walter Strallhofer von der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG)
Bewerbung
Wer sich bewerben will, muss die österreichische Staatsbürgerschaft be-sitzen, mindestens 18 Jahre alt sein und über den „Fahrtenschwimmer“ sowie den B-Führerschein verfügen. Für männliche Bewerber gilt zudem der vollständig abgeleistete Präsenz- oder Zivildienst bei der Aufnahme in den Grundausbildungslehrgang
Veränderte Work-Life-Balance
Die Gewerkschaft erklärt sich diesen Umstand vor allem durch die hohe Zahl an Überstunden. Mehr als zwei Millionen waren es bei der Wiener Polizei im Vorjahr. „Das Privatleben bleibt auf der Strecke. Manche müssen Urlaub konsumieren, um überhaupt am Familienleben teilnehmen zu können“, sagt Hermann Greylinger von der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen. Hinzu käme eine veränderte Auffassung der Work-Life-Balance bei jungen Kollegen.
„Der Personalmangel hat zur Folge, dass in jeder Polizeiinspektion etwa ein Drittel der Beamten fehlt“, erklärt der ÖVP-nahe Gewerkschafter Gerhard Zauner. Dieses Manko spüre man auch im Westen. Claudia Holzgruber, die für das Recruiting bei der Polizei zuständig ist, bestätigt das: „In Tirol und Vorarlberg haben wir das Problem, dass viele, die sich eigentlich für den Beruf interessieren, lieber in die Schweiz ziehen oder dorthin pendeln.“
Kein Mangel in Kärnten
Anders ist die Situation im südlichsten Bundesland: Einen Polizistenmangel kenne man in Kärnten „glücklicherweise nicht“, wie es Kärntens Landespolizeidirektorin Michaela Kohlweiß formuliert. Noch könne man sich die Kandidaten aussuchen. „Ich verwende das Wort ‚noch‘ aber ganz bewusst, weil ganz klar ist, dass der gesamte Arbeitsmarkt Arbeitskräfte sucht, und darum wird es in den nächsten Jahren ein noch stärkeres Ringen um Arbeitskräfte geben“, sagt Kohlweiß. Mit einer Volkshochschule arbeite man an Kursen, in denen sich Bewerber auf die Polizei-Aufnahmeprüfung vorbereiten können. Dadurch soll der erwähnte mangelnde Lernerfolg vorgebeugt werden.
Vonseiten des BMI heißt es auf KURIER-Anfrage, dass sich die Recruiting Days, Werbemaßnahmen und Schulkooperationen bereits „positiv auf die Bewerbersituation auswirken“.
Beim 18-jährigen Bewerber Tahiri haben die Maßnahmen Wirkung gezeigt. Einziges Problem: Er muss erst seinen Zivildienst abschließen, um sich für die Polizeischule bewerben zu können.
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