Patientenanwalt: "Hausapotheken sind überflüssig"
Dass sich Beschwerdebriefe in seinem Büro stapeln, bringt Gerald Bachinger, Sprecher der österreichischen Patientenanwälte, nicht aus der Ruhe. Doch was der 54-Jährige derzeit erlebt, macht ihn wütend. Im KURIER-Interview spricht er über "Zweiklassenmedizin, die in Österreich geduldet wird", "Ärztemangel, den es nicht gibt" und darüber, warum er auf ärztliche Hausapotheken verzichten kann.
KURIER: Wie begründen Sie Ihre Behauptung, dass es bei uns eine Zweiklassenmedizin gibt?
Gerald Bachinger: In meinem Büro liegen viele Beschwerden, die immer das gleiche Problem beschreiben. Patienten mit Knie- oder Hüftbeschwerden bekommen trotz Schmerzen in Röntgeninstituten erst in fünf bis sechs Wochen einen MRT-Termin. Sie können aber innerhalb weniger Tage mit einer Untersuchung rechnen, wenn sie 200 Euro bezahlen und unterschreiben, die Kosten zu 100 Prozent selber zu tragen. Das ist Erpressung. Die Patienten sind oft in einer Zwickmühle, denn welcher Arbeitgeber duldet mindestens sechs Wochen Krankenstand bzw. Wartezeit?
Warum wird das geduldet?
Weil es eine Win-win-Situation ist. Die Röntgeninstitute verdienen zusätzliches Geld und die Sozialversicherungen müssen für die erbrachten Leistungen keinen Cent bezahlen. Das ist unsozial und gehört unterbunden – wenn notwendig auch mithilfe eines Musterprozesses.
Gibt es in unserem Gesundheitssystem "kränkelnde" Bereiche?
Vor allem im niedergelassenen Bereich, also bei den Hausärzten, sind wir schwachbrüstig aufgestellt. Mit "Einzelkämpfer-Ordinationen" lässt sich kein Krieg mehr gewinnen. Daher gehört das Gesundheitssystem – von den Ordinationen über die Spitäler bis hin zu den Apotheken – nach dem Vorbild internationaler Modelle neu aufgestellt.
Wie lässt sich eine bessere medizinische Versorgung erzielen?
Wir brauchen dringend multiprofessionelle Teams, die sich um die primäre, medizinische Versorgung, sprich "PHC – Primary Health Care" – kümmern. In größeren Städten sollen solche Teams unter einem Dach vereint sein, in ländlichen Gegenden reicht es, wenn mehrere Gesundheitsberufe elektronisch vernetzt sind. Damit PHC funktioniert, muss es für Ärzte ein klares und verbindliches Aufgabenprofil geben. Doch das existiert leider bis heute nicht, genauso wenig wie eine leistungsgerechte Entlohnung.
Apropos Entlohnung: Ärzte sehen ihre Hausapotheken als wichtige Lebensgrundlage. Was sagen Sie dazu?Ich habe keine Problem damit, wenn alle ärztlichen Hausapotheken geschlossen werden. Erstens sind nicht Mediziner, sondern Pharmazeuten die Spezialisten für Medikamente. Zweitens sind Hausapotheken auch nicht dazu da, um einen angemessenen Verdienst der Ärzte zu sichern. Und drittens ist mir kein einziger Fall bekannt, bei dem ein Mediziner in Konkurs gehen musste, weil er keine Hausapotheke mehr betreiben darf.
Wie sieht Ihre Alternative aus?Die Alternative zur Hausapotheke könnte ein Medikamenten-Zustelldienst sein. Besser wäre es, wenn die Ärzte genauso wie in Deutschland nur mehr das Recht haben, einen Wirkstoff statt eines Medikaments zu verschreiben. Nicht selten wird ein Arzneimittel verordnet, weil es andere Anreize als das fachlich "Beste" für den Patienten gibt.
Als Problem wird oft auch der Ärztemangel angeführt.
Den Ärztemangel gibt es nicht. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl ist kein Mediziner-Engpass in Sicht. Im Gegenteil. Es gibt einen Boom bei den Wahlärzten. Jungmediziner haben eben eine andere Vorstellung vom Leben und wollen nicht mehr 24-Stunden-Dienste (wie in Spitälern) schieben. Aber es stimmt, dass Ärzte für bestimmte Bereiche gesucht werden.
Warum verteidigen Sie so sehr den Einsatz der elektronischen Gesundheitsakte "ELGA"?
Bis jetzt ist die Patientendokumentation mittelalterlich. Dass ein Ambulanzarzt im Stress etwas falsch versteht und dann falsch dosiert, passiert leider relativ oft. ELGA (Anm: startet wahrscheinlich Mitte 2017) garantiert auf Knopfdruck die Übersicht über die aktuelle Medikamentensituation. Auch PHC funktioniert mit ELGA am effektivsten.
In Österreich gibt es laut Auskunft der Apothekenkammer insgesamt 1350 öffentliche Apotheken und 866 ärztliche Hausapotheken. Während Ärztevertreter um das Überleben jeder einzelnen Hausapotheke kämpfen, weil nach der Pensionierung ihrer Mediziner nicht automatisch ein Fortbestand garantiert ist, macht sich Patientenanwalt Gerald Bachinger für einen radikalen Einschnitt stark. Geht es nach seinen Vorstellungen, kommt Österreich in Zukunft auch ohne Hausapotheken aus.
„In Deutschland gibt es keine einzige Hausapotheke. Und trotzdem funktioniert die Versorgung der Patienten mit Medikamenten problemlos. Warum soll dieses System in Österreich nicht funktionieren? Um auch auf dem Land eine optimale Medikamentenversorgung zu garantieren, müssen Apotheker eben einen Zustelldienst einführen“, sagt Bachinger.
Derzeit steht im österreichischen Apothekengesetz geschrieben, dass Allgemeinmediziner nur in Ausnahmefällen eine ärztliche Hausapotheke führen dürfen. Die Voraussetzung: Im Umkreis von sechs Kilometern darf es keine Apotheke geben.
Finanzieller Anreiz
Doch seit Jahren wird über ein Ende des Gebietsschutzes diskutiert. Während die Apothekenkammer natürlich auf die Beibehaltung der Regelung pocht und vorerst noch Rückendeckung vom Gesundheitsministerium bekommt, will die Ärztekammer eine Ende erwirken, damit sich ihre Landärzte entscheiden können, ob sie eine Hausapotheke führen wollen oder nicht. Ärztevertreter sehen solche vor allem als finanziellen Anreiz für die Niederlassung in ländlichen Gebieten. Deren Meinung nach sind Ärzte unentbehrliche Nahversorger, zuständig für das rasche Verabreichen von geeigneten Medikamenten.
Die Apothekenkammer wiederum glaubt, dass ihre Versorgung in Österreich – auch ohne Hausapotheken – so gut und umfassend wie nie zuvor ist. In den vergangenen 17 Jahren sind 250 neue Apotheken eröffnet worden.
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