In Österreich leben mögliche Angreifer in Freiheit
„Es gibt ein kleines Potenzial von Leuten, die aufgrund ihrer psychischen Situation fähig wären, ein ideologisch motiviertes Attentat zu begehen“, sagt Moussa Al-Hassan Diaw. Er leitet das Deradikalisierungsprogramm Derad, das radikalisierte Dschihadisten in Österreich betreut. Der Verein arbeitet mit dem Justizministerium und dem Verfassungsschutz zusammen.
Eine genaue Zahl will Diaw nicht nennen, diese Menschen sind allerdings in Freiheit. Glaubt man Insidern der Sicherheitsbehörden, dann handelt es sich um eine niedrige einstellige Zahl.
Dass diese Personen trotz der potenziellen Gefahr auf freiem Fuß sind, hat unterschiedliche Gründe. So gibt es mitunter Gutachter oder gute Anwälte, die dafür gesorgt haben, dass diese auf freiem Fuß sind oder es gab Meinungsverschiedenheiten bei beziehungsweise mit der Justiz.
Aus Sicherheitskreisen heißt es aber, dass diese „wenigen Personen“ überwacht werden und es Gefährderansprachen (regelmäßige Kontaktaufnahmen) gibt.
Viele abgeschoben
„Die meisten, die aus dem Gefängnis kommen, werden ohnehin abgeschoben“, sagt Anwalt Wolfgang Blaschitz, der zahlreiche mutmaßliche Dschihadisten vertreten hat. „Für die meisten geht es nach der Haft nach Tschetschenien und dort werden sie wegen Beeinträchtigung der Interessen Russlands zu langen Haftstrafen verurteilt.“
Bedingte Entlassungen nach der halben Strafe (wie beim Attentäter von London) gäbe es in Österreich in der Theorie, sagt Blaschitz: „Das passiert nicht, das ist praktisch ausgeschlossen.“
Bald könnten auch mögliche Gefährder in Österreich hinzukommen, denn die Türkei will IS-Kämpfer in ihre Herkunftsländer abschieben, Österreich könnte hier mit einer einstelligen Zahl betroffen sein. Diese werden aber nicht einfach in ein Flugzeug gesetzt, sondern übergeben, wird im Außenministerium betont. Im Falle von Straftätern werden diese von der Türkei rechtsstaatlich an die Justiz weitergereicht, sonst an die Vertreter des Innenministeriums.
Keine geregelte Übergabe
„Schwieriger ist die Situation in den kurdischen Lagern“, sagt Außenamtssprecher Peter Guschelbauer, aa gebe es keine geregelten Übergaben. Dort sitzen aber vor allem Frauen und Kindern, zwei Kinder wurden bereits zurückgebracht: „Von diesen sollte aber keine Gefahr ausgehen“, wird betont.
Das Thema „Foreign Terrorrist Fighters (ausländische Kämpfer, Anm.), die zurückkehren können, sind ein Thema, das für die Sicherheit der Bürgers Europas von besondere Bedeutung ist“, sagt Innenminister Wolfgang Peschorn zum KURIER. Er befand sich am Montag auf der EU-Innenministerrat in Brüssel. wo über bessere internationale Kooperation gesprochen wurde. „Dazu werden nicht nur Maßnahmen der nationalen Gesetzgeber, sondern vor allem auch die Kooperation auf europäischer Ebene erforderlich sein. Ein wichtiger Schritt wäre es, verstärkte Synergien zwischen Europol und der Counter Terrorism Group zu finden.“
Diese CTG ist ein Teil des berühmten Berner Clubs (in dem 28 Geheimdienste sitzen). Dort laufen wichtige Erkenntnisse zusammen über die terroristische Bedrohung, die auch für die Polizeiarbeit von Nutzen wären.
Keine Bezahlung
Neben der Verfolgung ist die Präventionsarbeit ein wichtiger Faktor. Dabei laufe die Zusammenarbeit mit den Behörden und Derad laut dessen Chef Diaw prinzipiell gut. Verbesserungen seien aber im Schulbereich notwendig und außerdem bei der Bezahlung. So ordnen viele Gericht eine Deradikalisierung zwar an, aber bezahlen dafür nicht.
Ob Terroristen überhaupt bekehrbar sind, dazu sagt Diaw: „Das kommt auf den Fall an. Es geht jedenfalls nicht von heute auf morgen und oft auch nicht in einem halben Jahr.“ Wichtig sei es, Ersatzideologien anzubieten. „Man kann eine Überzeugung nicht löschen, aber wir können Ersatzangebote machen.“
Ein Attentäter sei laut Diaw „wie ein Amokläufer, aber mit Ideologie“. Viele Prinzipien seien ähnlich, es gebe für sie die gute Wir-Gruppe und böse Feinde. „Es gibt aber auch Islamisten, die das machen, um die Macht über andere Leute zu genießen“, erklärt der Derad-Mann. Die Motive sind vielfältig, einfache Lösungen gibt es nicht.
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Aktuelle Dschihadisten-Zahlen
Justizressort
Insgesamt befinden sich laut Justizministerium aktuell 59 Personen im Zusammenhang mit Terrorismusverfahren in Haft, davon sind 39 bereits verurteilt. Darunter sind
2 Frauen und 11 Junge Erwachsene. 95 Haftbefehle sind derzeit aufrecht.
Innen- und Außenministerium
Knapp 320 IS-Kämpfer kamen aus Österreich. Fast 100
dürften wieder zurückgekehrt sein, weitere 100 Kämpfer leben noch im Nahen Osten (rund 30 davon haben einen österreichischen Pass). Maximal zehn Kämpfer sollen sich in türkischem Gewahrsam befinden. Etwa 30 Personen dürften sich in kurdischer Gefangenschaft befinden, zwei Kinder wurden bereits nach Österreich heimgeholt.
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