"Dorf-Tyrann" rastet aus: Schüsse auf Nachbarn

APA12702834-2 - 12052013 - BAD MITTERNDORF - ÖSTERREICH: Ein Nachbarschaftsstreit in der Obersteiermark ist am Samstag, 11. Mai 2013, eskaliert: Ein 62-jähriger Pensionist schoss auf seinen Nachbarn und traf ihn durch die Schlafzimmertür hindurch dreimal. Das Opfer wurde schwer verletzt. Im Bild das Haus, wo das Tat passierte, aufgenommen am Sonntag, 12. Mai 2013. APA-FOTO: M.A.GRANDITS
Der 62-Jährige war bereits amtsbekannt. Sein Opfer kam knapp mit dem Leben davon.

Ein Nachbarschaftsstreit in der Obersteiermark ist am Samstag eskaliert: Ein 62-jähriger Pensionist schoss rasend vor Wut auf seinen Nachbarn und traf ihn durch die Schlafzimmertür hindurch dreimal. Das Opfer wurde schwer verletzt. Als das Magazin leer war, konnte der Gewalttäter bis zum Eintreffen der Polizei von der Familie des Verletzten festgehalten werden, bestätigte am Sonntag die Staatsanwaltschaft Leoben entsprechende Medienberichte.

Seit Jahren soll der Beschuldigte in seinem Heimatort im obersteirischen Bezirk Liezen als schwierig und leicht reizbar bekannt gewesen sein.

Polizei vorher vor Ort

Samstagvormittag geriet der 62-Jährige mit seinem 36-jährigen Nachbarn und dessen 59-jährigem Vater in Streit. Dabei soll der Pensionist die beiden bedroht haben. Kurz darauf stand die Polizei vor seiner Tür und bat ihn zur Einvernahme auf die Inspektion zu kommen.

Der Obersteirer sagte zu, zu kommen, wolle aber vorher mit seinem Anwalt sprechen. Tatsächlich jedoch schnappte er sich eine Pistole, die er vermutlich illegal besaß, und stürmte zum Haus seiner Nachbarn und schrie nach ihnen. Die Ehefrau des 36-Jährigen hörte das und warnte ihren Mann. Das Paar versteckte sich im Schlafzimmer, während der Pensionist durch die nicht abgesperrte Hintertür ins Haus gelangte.

Schüsse durch Tür

Der Verdächtige versuchte durch die Schlafzimmertür zu stürmen, der 36-Jährige drückte sich dagegen. Der Täter schoss mit seiner Walther TPH mehrmals durch die Tür und traf den Nachbarn dabei ins Gesicht, den Rücken und den Oberschenkel.

Durch den Lärm wurde der Vater des 36-Jährigen aufmerksam. Zu dritt überwältigten sie den 62-Jährigen, wobei die Ehefrau offenbar die Tatwaffe in die Waschmaschine warf. Nach dem Eintreffen der Polizei und der Rettung wurde das Opfer ins Spital nach Bad Aussee gebracht, der mutmaßliche Täter wegen Rippenbrüchen ins LKH Rottenmann.

Der 36-Jährige dürfte nur knapp mit dem Leben davongekommen sein, denn die Kugel im Gesicht bohrte sich durch die Wange und die Nasenhöhle bis kurz vor das Ohr. Am Sonntag sollen weitere Einvernahmen geführt werden.

Verdächtiger als "Tyrann im Dorf" amtsbekannt

Der 62-jährige Pensionist sei in seinem Heimatort als "Tyrann im Dorf" bekannt gewesen, hieß es am Sonntag aus Polizeikreisen. Seit Jahren seien Anzeigen an die Staatsanwaltschaft Leoben geschickt worden, doch wirklich genützt habe das nicht: "Der hatte bei Gericht bisher Narrenfreiheit", so der Vorwurf einer der APA namentlich bekannten Quelle. Man habe "vermutet, dass so was einmal passiert." Die Staatsanwaltschaft wollte die Vorwürfe nicht kommentieren.

Der Verdächtige war öfter in Raufereien verwickelt und habe Leute regelrecht angefallen. Er habe zugegeben, sich Waffen illegal beschafft zu haben, und zwar nachdem er das vorläufig letzte Mal vor dem Richter stand, das soll 2010 gewesen sein. Insgesamt wurden nach der Tat am Samstag vier Langwaffen und die Kleinkaliberpistole, Modell Walther Taschen Pistolen Hahn (TPH), bei ihm bzw. in seinem Haus gefunden. Mit letzterer schoss er insgesamt sieben Mal auf seinen Nachbarn. Die drei Treffer verletzten den 36-Jährigen nicht lebensgefährlich.

Zehn Anzeigen allein im vergangenen Jahr

Etwa zehn Anzeigen gegen den Pensionisten seien in den vergangenen Jahren von Nachbarn erstattet worden, doch viele Zwischenfälle mit ihm würden bei den Behörden gar nicht aufliegen: "Die Leute trauten sich nichts mehr sagen oder ihn anzuzeigen. Sie hatten panische Angst, manche wollten wegen ihm sogar ihre Häuser verkaufen", sagte der Informant zur APA. Machtlos hätten sich die Anrainer gefühlt, weil die Staatsanwaltschaft bei dem als psychotisch bekannten Obersteirer nicht härter durchgegriffen habe.

Schon 2006 hatte es eine Hausdurchsuchung bei dem Verdächtigen gegeben. Schüsse waren damals zu hören gewesen, doch es wurden keine Waffen bei ihm gefunden. Ein altes Verfahren gegen den Mann dürfte noch offen sein. Sonntagmittag wurde der Verdächtige noch im Spital behandelt, danach soll er in der Justizanstalt Leoben in Untersuchungshaft genommen werden, erklärte Staatsanwältin Nicole Dexer. Er werde sich wegen Mordversuchs verantworten müssen.

Den Vorwurf, wonach die Staatsanwaltschaft zu wenig hart durchgegriffen habe, könne sie nicht kommentieren, da etwaige vorherige Delikte dem Datenschutz unterliegen, sagte Dexer. Sie könne die Vorwürfe zur Zeit nicht überprüfen. Außerdem habe die Vergangenheit "nichts mit der (aktuellen, Anm.) Tat zu tun“ und sei "irrelevant“, wenn es um Auskünfte zu den Schüssen vom Samstag gehe, sagte die Behördensprecherin.

Kritik an Behörden

Nach dem tragischen Vorfall übt unterdessen auch eine Expertin Kritik an den Strafverfolgungsbehörden: "Anscheinend war der Mann innerhalb und außerhalb seiner Familie als gewalttätig bekannt, es hat Vorzeichen gegeben, geschehen ist offenbar nichts", sagte Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie am Sonntag. "Die Behörden haben zu spät reagiert - es musste erst was passieren."

Verweis auf Kindermord in St.Pöltner Volksschule

Nicht verstehen könne sie, warum die Polizei den Mann nach einer Drohung gegen das spätere Opfer nicht sofort mitgenommen habe, sagte Logar. "Tatbegehungsgefahr stellt einen Haftgrund dar. Da wurde aber anscheinend gezögert", so die Expertin, die auf einen Fall in St. Pölten verwies, bei dem ein Vater vor knapp einem Jahr, am 25. Mai 2012, seinen acht Jahre alten Sohn in dessen Schule erschossen hatte. Der Mann war wegen Gewalt in der Familie amtsbekannt. Eine Anzeige seiner Frau wegen gefährlicher Drohung und Körperverletzung Tage zuvor hatte nicht zur Festnahme des Beschuldigten geführt, der nach der Tötung seines Sohnes Selbstmord beging. Die Tat hatte zu einer breiten Diskussion über den Umgang mit Gewalt in der Familie und zur Verhinderung von Gewalttaten geführt.

"Es gibt Gefährlichkeitsfaktoren, und man muss sie ernst nehmen", erklärte Logar. Eine Festnahme nach einer Drohung und vor Begehung einer Tat könne auch einem potenziellen Täter zugute kommen. "Manchmal handelt es sich nur um eine Phase. Wenn sie vorbei ist, hat sich der Täter beruhigt und würde 'es' nicht mehr tun", sagte die Gewaltschutzexpterin.

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