NS-Zwangsarbeit in Niederösterreich: Private Quellen gesucht
Während des Nationalsozialismus wurden vom NS-Regime über sieben Millionen Menschen zur Zwangsarbeit missbraucht – etwa eine Million im Gebiet Österreichs. Weil Arbeitskräfte durch den Krieg fehlten, wurden sie in fast allen Lebensbereichen eingesetzt. Zunächst wurden ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter noch als „Fremdarbeiter“ angeworben – später in den besetzten Gebieten zwangsrekrutiert. Außerdem wurden Inhaftierte zur Arbeit gezwungen, teils unter unmenschlichen Bedingungen.
Auch in Niederösterreich – das im Dritten Reich Niederdonau hieß – wurden Zigtausende eingesetzt. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und deren Lager und Behausungen gehörten ab 1940 bis zum Kriegsende zur alltäglichen Wahrnehmung der lokalen Bevölkerung in allen Teilen des Landes. Sie wurden in Landwirtschaft, Industrie, Infrastrukturprojekten und privaten Haushalten zur Arbeit herangezogen, wie man weiß, in beinahe allen nö. Gemeinden.
Beispiele
So wurden etwa ungarische Zwangsarbeiter in der Strickwarenfabrik Kollenz in Amaliendorf (Bezirk Gmünd) oder für landwirtschaftliche Tätigkeiten in Pottendorf (Bezirk Baden) von der Gutsverwaltung Esterházy eingesetzt. In Dobermannsdorf im Bezirk Gänserndorf waren Zwangsarbeiter auf einer Baustelle und für Arbeiten bei Erdölbohrungen präsent, in Göstling an der Ybbs (Bezirk Scheibbs) wurden sie – Männer, Frauen und Kinder – zum Straßenbau eingesetzt; von Teilen der Bevölkerung wurden ihnen dort immer wieder heimlich Nahrungsmittel zugesteckt.
Über die genannten Beispiele weiß man ziemlich genau Bescheid, sie sind dokumentiert.
Ein neues Forschungsprojekt unter der Leitung der Universität für Weiterbildung Krems (Donau-Uni) widmet sich bisher wenig bekannten Aspekten der NS-Zwangsarbeit in Niederösterreich und möchte sie mithilfe privater Quellen aufarbeiten. „Uns interessiert besonders, wie das Zusammenleben mit der Zivilbevölkerung damals war“, erzählt Projektleiterin Edith Blaschitz von der Donau-Uni. Individuelle Erfahrungen und Erlebnisse seien bis heute kaum dokumentiert.
Unter dem Titel „Connecting Memories“ sind Bürgerinnen und Bürger, Nachkommen und lokale Initiativen aufgerufen, mit Dokumenten, Fotos und Schilderungen von Erinnerungen zur Erforschung dieses Kapitel der Geschichte beizutragen. Dafür wird eine digitale Plattform erarbeitet, auf der diese Dokumente gesammelt werden können. Darauf kann jeder und jede von zu Hause zugreifen und die „private Sammlung“ für die Forschung digital zur Verfügung stellen.
Außerdem soll erreicht werden, dass Menschen miteinander in Kontakt kommen, die zu individuellen Schicksalen forschen möchten. „Es melden sich immer wieder Personen – auch aus dem Ausland – bei uns, die etwas über die Vergangenheit ihrer Familienangehörigen, die zur Zwangsarbeit eingesetzt waren, erfahren wollen. Doch oft sind die Angaben nur lückenhaft – zum Beispiel, der Opa war bei einem Bauern im Ort ‚XY‘ – oft in Lautschrift geschrieben – und dessen Frau hieß Maria. Wir hätten gerne in allen Orten Ansprechpersonen, um die Geschichte zu rekonstruieren“, erläutert Blaschitz. Aus einem bereits abgeschlossenen dreijährigen Forschungsprojekt über NS-Lager in NÖ seien viele Kontakte – auch internationale – entstanden.
Beziehungen
Die Forscherin erzählt, dass es mittlerweile viele Menschen gebe, die privat Nachforschungen anstellen. „Sie wissen, in welchen Archiven und Datenbanken sie nachschauen können, und sind über Foren vernetzt. Sie leisten eine wichtige Arbeit für die Forschung und das Erinnern“, sagt sie. Blaschitz erklärt auch, dass es nun wichtig sei, die privaten Erinnerungen und Nachforschungen zu sichern und zugänglich zu machen, weil die betroffene Generation der Zwangsarbeit bzw. ihre Nachkommen zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr gefragt werden könnten. „Dann gibt es zum Beispiel Fotos im Nachlass, wo keiner mehr etwas dazu erzählen kann.“
Bei der bisherigen Forschung hat sich gezeigt, dass während der NS-Zeit auch Freundschaften zwischen der örtlichen Bevölkerung und Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern entstanden sind. „Es gibt Familien, die heute noch Kontakt halten. Besonders häufig war das bei französischen und belgischen Zwangsarbeitern der Fall“, so Blaschitz – diese Volksleute waren in der NS-Ideologie den Reichsbürgern „näher“ als etwa ungarische Jüdinnen und Juden, die vor allem in den letzten Kriegstagen oft im Arbeitseinsatz in Niederösterreich standen.
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