Niederösterreich: Kaum Hilfe für Eltern von „Schreibabys“

Niederösterreich: Kaum Hilfe für Eltern von „Schreibabys“
Exzessiv schreiende Säuglinge sorgen für enorme Belastung der Eltern und nicht selten zu Gewalt an den Babys. Wer aber im Akutfall Unterstützung braucht, findet sehr wenige Angebote.

Es war Ende Februar, als Ärzte im Landesklinikum Wiener Neustadt Alarm schlugen. Ein Säugling wurde wegen schwerer Kopfverletzungen behandelt. Der schreckliche Verdacht: Schütteltrauma.

Fälle wie jener schockieren, sind jedoch keine Einzelfälle. Von 100.000 Säuglingen sind laut Statistik 21 bis 35 von einem Schütteltrauma betroffen. Oft sind es sogenannte „Schreibabys“, die zu massiver Überforderung und in manchen Fällen zu gewalttätigen Affekthandlungen wie Schütteln führen.

„Jeder, wirklich jeder, kann in diese Überforderung kommen“, erklärt Kinderarzt Christoph Wolfram. Ausreichend Unterstützung für Betroffene gibt es in Niederösterreich nicht.

Das hat auch Elisabeth K. aus dem Weinviertel erlebt. Ihr erster Sohn hat geschrien. Und geschrien. Mehr als sieben Stunden pro Tag, die Nächte durch. Ein Jahr und drei Monate lang. „Ich bin selber Ärztin und weiß, dass man Babys nicht schütteln darf. Aber auch ich hatte das Bedürfnis“, sagt sie heute.

„Nicht schlafen, nur schreien. Das ist das Schlimmste für die Eltern“, weiß Psychotherapeutin Edith Huebmer. Die Expertin war bis zu ihrer Pensionierung Leiterin der Schreiambulanz am Landesklinikum Mödling. Die gibt es in der Form nicht mehr. Ein Manko, das Betroffene ratlos zurücklässt. Zwar gibt es laut Landesgesundheitsagentur an den Landeskliniken Baden-Mödling, Scheibbs und Tulln spezielle Anlaufstellen, das weiß aber kaum jemand.

Auch K. fand keine rasche und wirksamen Hilfe. Ihr und ihrem Sohn wurde erst in der Abteilung für Säuglingspsychosomatik an der Klinik Ottakring geholfen. „Die haben uns damals gerettet“,, sagt sie. Und: „In Niederösterreich gibt es gar nichts.“

Keine Akut-Anlaufstelle

Eine Einschätzung, die Petra Ruso teilt. „Das ist eine Lücke, die schnell geschlossen werden muss“, sagt die Expertin, die im südlichen NÖ das Netzwerk der „Frühen Hilfen“ mitaufgebaut hat. Mit diesen und dem „Netzwerk Familie“, das im restlichen NÖ tätig ist, sollen gesundheitliche Belastungen von Kindern und ihren Familien früh erkannt werden. Für Schreibabys, meint Ruso, seien die Helfer aber nicht die richtige Anlaufstelle. „Kinder mit Regulationsstörung gehören in ärztliche Behandlung“, betont sie.

Dabei ist das Angebot grundsätzlich gut. Die „Frühen Hilfen“ hören zu, beraten, übernehmen eine Lotsenfunktion. „Wir sind ein kostenloses und freiwilliges Angebot, auf Wunsch auch anonym“, erklärt Netzwerkmanagerin Agnes Bergler-Stelzl. Bei Überforderung oder psychosozial belasteten Situationen könne man sich an ein multiprofessionelles Team von Familienbegleitern wenden. Diese kommen auf Wunsch nach Hause. Der Haken: Auf einen Termin wartet man ein bis zwei Wochen. „Wir sind ein Präventionsangebot“, betont auch Bergler-Stelzl. In Akutfällen würde man weitervermitteln.

Genau so eine Anlaufstelle für Akutfälle vermisst Kinderarzt Wolfram. Grundsätzlich sei der Kinderarzt eine guter Ansprechpartner. Künftig soll ihm eine noch wichtigere Rolle zukommen. Um Eltern besser zu unterstützen und Gewalt zu verhindern, wird der psychosoziale Aspekt im neuen Eltern-Kind-Pass mehr Berücksichtigung finden.

Zum Arzt – und dann?

So sollen die Kinderärzte mehr auf Probleme der Eltern eingehen. Das brauche aber Zeit und müsse auch finanziert werden, sagt Wolfram. Vor allem aber brauche es dann aber Anlaufstellen, an die Betroffene verwiesen werden können. Dringend notwendig sei etwa eine 24-Stunden-Hotline, die im Eltern-Kind-Pass vermerkt ist.

Unterstützung durch den Arzt findet auch Psychotherapeutin Huemer dringend angezeigt. Denn: „Die, die Hilfe suchen, um die braucht man sich keine Sorgen zu machen.“ Die würden kaum gewalttätig werden. Ein Auge müsse man auf jene haben, die keine Ressourcen haben, sich an jemanden zu wenden. Und die würden eben am ehesten zum Kinderarzt kommen.

Mehr Aufklärung

Gesellschaftlich ist das Thema Schreibabys mit einem Tabu belastet. Die Erfahrung hat auch Elisabeth K. gemacht. Oft sei ihr die Schuld gegeben worden. Experten fordern daher Aufklärung in der Schwangerschaft. Auch K. hätte sich mehr Infos im Zuge des Geburtsvorbereitsungskurses gewünscht.

2026 soll es hier im Rahmen des Eltern-Kind-Passes Verbesserungen geben. So wird ein verpflichtendes psychosoziales Beratungsgespräch eingeführt. „Das wäre gut“, sagt Hebamme Beatrix Cmolik. Das aktuell freiwillige Gespräch würden nur 30 bis 40 Prozent der werdenden Eltern wahrnehmen. Auch sie sagt: „Es bräuchte dann Strukturen, wo man die Familien hinschicken kann.“

Zudem müsse die Wochenbettversorgung ausgebaut und jeder Frau Zugang zur Hebammenversorgung ermöglicht werden. Eine längere Nachsorge nach der Geburt könnte Gewalttaten möglicherweise verhindern, meint Cmolik. Sie geht sogar noch weiter: Da viele der Täter bei Schütteltraumata Männer sind, plädiert sie für eine Beratung auch für Väter im Rahmen des Eltern-Kind-Passes, wo es um Bindung, Schlafen oder Schreien geht.

Was Eltern brauchen

Doch wohin mit einem Schreibaby? Kinder- und Jugendambulanzen seien Anlaufstellen, da auch medizinische Ursachen abgeklärt gehören, heißt es beim Spitalsträger. Das findet auch Kinderarzt Wolfram. Er betont: Sichtlich überlastete Eltern mit körperlich gesunden, aber exzessiv schreienden Kindern müssten dann auch aufgenommen werden, um weitere Hilfe auszuloten.

Zudem braucht es mehr Unterstützung. „Wenn jemand mein Kind ab und zu zwei Stunden genommen hätte, hätte das alles geändert“, sagt Elisabeth K. Und man müsse hinschauen. Ob die Eltern ihr Kind hochnehmen, ob sie den Wagen grob schütteln. Dann sollte man die Aggression ansprechen. Denn wie Expertin Huebmer erklärt: „Aggression ist völlig normal, wenn das Kind nicht zu beruhigen ist. Gewalt ist nicht normal.“

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