Christian Grünauer hütet einen bemerkenswerten Weinkeller, Partnerin Katja pflegt die ausgezeichnete Wirtshausküche
„Der Grünauer“ in Wien-Neubau ist fast so alt wie die Zweite Republik. Heute sorgt USA-Heimkehrer Christian dafür, dass sein Gasthaus mit Küche, Keller und Ambiente die erste Geige spielt.
21.04.25, 07:34
Von Klaus Kamolz
In Wien wird gern gesagt, der Himmel hänge voller Geigen. Das heißt, man fühlt sich glücklich und zufrieden, vermisst gar nichts und will, dass das alles nie wieder aufhören soll. So geht es den Gästen im Gasthaus Grünauer seit Jahrzehnten, aber wie das in Wien halt so ist, kommen manchmal nicht nur die Engerl auf Besuch, sondern auch die Geigen schweben herab. Dann liegen sie, gebettet in lederne Koffer und keine Sekunde aus den Augen gelassen, auf der Sitzbank im Gasthaus. Bis später, nach dem zweiten oder dritten Glas Wein, ein Wiener Philharmoniker sie herausholt und darauf spielt. So eine Stradivari darf immer nach der Probe mit ins Stammbeisl.
In diesem Mikrokosmos in Wien-Neubau kommt man der perfekten Gasthauswelt werktags am Abend ganz nahe; und das liegt nicht nur an der wirklich ausgezeichneten Küche und dem erlesenen Weinkeller, sondern auch an dem Geist, der durch Schank und Stube weht, und in dessen Windschatten die gute Beislfee Patina das einst fast ein bisschen zu helle Holz mit der Zeit in warme, gut abgewetzte Eichentöne verzaubert hat.
Christian Grünauer ist gerade im engen Keller zugange – man hört ihn räumen und rascheln –, dann klettert er mit einer respektablen Magnum Rot aus seiner Heimat wieder herauf.
„Unsere Familie“, erzählt er, „kommt aus dem Südburgenland, in Wien hat alles in den 50er-Jahren mit dem Beisl einer Urstrumpftant’ begonnen. 1962 wollt’ sie dann übergeben und hat zu meinem Großvater Johann in Oberwart gesagt: Nächste Woch’n ziagst nach Wien und wirst Wirt.“ Es blieb nicht der einzige familiäre Einberufungsbefehl in der Dynastie Grünauer.
Was & wie viel? Zum Kanon der legendären Grünauer-Küche gehören Mama Marthas Frühlingsrolle von der Chili-Blunze, gefüllte Kalbs- oder Schweinsbrust, Kalbsnierenbraten, Innereien mit Leber, Zunge und Kutteln und Saisonales von Morcheln und Spargel im Frühjahr bis zu Steinpilzen, Wild und Gansl im Herbst (Hauptgerichte: 12 bis 29 Euro)
Warum? Weil hier die Balance zwischen Küche, Keller, Tischkultur und Stimmung einfach perfekt ist. So einfach ist das
Johann begründete den Grünauer in seiner heutigen Form. Sohn Martin, seine Schwester Brigitta und seine Frau Martha halfen immer öfter aus. Aber Johann blieb ein bisserl traurig, weil er sein Burgenland verlassen musste. „Wenn draußen eins der letzten Pferdefuhrwerke vorbeigefahren ist“, erinnerte sich Sohn Martin einmal, „hat’s ihm fast die Tränen vor Heimweh rausgedrückt.“ Eines Tages machte Martha eine Sulz aus Kaninchenfleisch, und Johann verstand die Welt nicht mehr. „Ich glaub’, jetzt geh ma ham“, sagte er zu seiner Frau, „weil, wenn die aus an Has’n a Sulz machen, is es Zeit.“
Ein weinaffines Gericht: geschmorte Schweinsfledermaus mit Bärlauchpüree
Martin, Brigitta und Martha schleifen den Grünauer ab 1985 endgültig zum Wirtshausjuwel – die Wirtsleute holen sich eine Auszeichnung nach der anderen für Küche, Keller und Ambiente ab, und die vielen prominenten Stammgäste lieben das Gasthaus für die legere Atmosphäre, in der man wohltuend in Ruhe gelassen wird.
Von New York nach Wien
In diesen Tagen hilft auch Sohn Christian, der heutige Wirt, schon gelegentlich aus. „Dann bin ich mit 18 Jahren zum Englisch lernen in die USA; das hat 18 Jahre gedauert.“ Er lebt in New York und findet Jobs bei seinem Onkel Peter, der wie viele burgenländische Landsleute sein Glück überm großen Teich suchte und eine bemerkenswerte Gastro-Karriere hinlegte. „Fledermaus“, „Grünauer’s“ oder „Vienna 79“ heißen seine Restaurants, in denen Neffe Christian Stars wie Tom Hanks oder Donald Trump bedient. „Der war eigentlich ein netter Gast, und was dann mit ihm passiert ist, wissen wir alle nicht.“
Ab 2004 verschwenden die Wiener Grünauers erste Gedanken an die Pension. Ein Nachfolger wird gesucht, Christian möge sich das doch bitte auch anschauen. Da ist er, der nächste, gleichwohl in milderem Ton vorgetragene familiäre Einberufungsbefehl. Christian kommt nach Wien zurück. „Und wie ich ins Lokal bin, sind dieselben Leut’ an denselben Tischen gesessen wie vor 18 Jahren.“
Er übernimmt. Eines Abends kommt er mit einem weiblichen Gast aus der Modebranche ins Gespräch. „Grünauer“, stellt er sich vor. Und sie sagt: „Freut mich, auch Grünauer.“ Katja und Christian sind heute ein Paar. Sie steigt um und sorgt heute mit dem langjährigen Koch Jürgen Plessl für die herausragende wienerisch-pannonische Küche; Christian schupft Service und Keller.
„Leichter als früher kochen wir heute“, sagt Katja „Ich mach’ zum Beispiel die gewohnten gerösteten Eierschwammerln mit Spinatsalat und Pinienkernen und schau jeden Tag, was es frisch auf dem Markt gibt. Deshalb schreiben wir auch täglich eine neue Karte.“
Genüsse aus dem Garten
Und wenn die beiden geborenen Grünauers am Wochenende daheim im Burgenland sind, gerät das Wiener Gasthaus auch nicht in Vergessenheit. „Brennnessel, Löwenzahn, Topinambur, Quitten und Zwetschken haben wir selbst genug“, sagt Katja, „Und unser Feigenbaum hat letztes Jahr mehr als 200 Früchte getragen. Die sind jetzt in der Feigen-Nuss-Marmelade, die es zum Käse gibt.“
Nicht auszudenken, alles wäre um das entscheidende Alzerl anderes gekommen, und die Grünauers hätten fremde Nachfolger gefunden. „Damals“, sagt Christian schmunzelnd, „hat ein Gast gesagt: Wenn ihr zusperrts, komm ich nie wieder!“ Da hat die Stadt aber noch einmal Glück gehabt.
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