IS verdient an Syrien-Flüchtlingen

Nickelsdorf im Sommer 2015
Via Ägypten droht nun ein "Hintereingang" für die lahmgelegte Balkanroute.

Der Bürgerkrieg in Syrien geht in das sechste Jahr und – so unglaublich das klingt – finanziert sich mittlerweile selbst. Denn nach dem großen Flüchtlingsstrom haben neue Gruppierungen offenbar die Schlepper-Routen übernommen. "Die Finanzströme der Schlepper weisen in Richtung Islamischer Staat, aber auch zur PKK", erklärt Gerald Tatzgern, oberster Schlepper-Ermittler im Innenministerium in Wien.

Laut UNO-Schätzungen beträgt der jährliche Aufwand der Terror-Miliz Islamischer Staat für Bewaffnung, Bezahlung der Kämpfer und anderer "Leistungen" etwa 500 bis 800 Millionen Dollar. Rund 300 Millionen Dollar soll die Terrormiliz bereits über Schlepperei einnehmen, berichtete das renommierte amerikanische Time-Magazin. Denn die Geldquellen aus den ersten Kriegsjahren sind am Versiegen: Die Ölindustrie wurde durch die US-Bombenangriffe weitgehend lahmgelegt und die Verbindungen in die Türkei sind zumindest teilweise gekappt. Die erbeuteten Kunstgegenstände sind zerstört oder verkauft. Der IS soll sogar Flüchtlingscamps an der syrisch-jordanischen Grenze angegriffen haben, um die Flüchtlingswelle weiter anzuheizen.

Zwischenstopp Ägypten

Als neues Zwischenziel auf der Route nach Europa ist nun Ägypten stark im Kommen, erklärt Tatzgern. Der Vorteil für die Schlepper ist, dass sie dort im Gegensatz zu Libyen (Bürgerkrieg) und der Türkei (Flüchtlingsdeal) in aller Ruhe ihren Geschäften nachgehen können. Die italienische Zeitung Fatto Quotidiano berichtete aus internen Ermittlungsakten, dass die italienischen Ermittler oft bis ins Detail wissen, wo und wann die Schlepper in See stechen – doch Amtshilfe aus Ägypten gibt es nicht.

Die Vermutung lautet, dass die Ägypter auf einen ähnlich lukrativen Deal mit der EU hoffen, wie ihn die Türken erzielt haben. In Ägypten läuft der Tourismus schlecht, die Staatskassen sind leer. Derzeit führt die Route ägyptischer Schlepper vor allem nach Italien. Viel deutet aber darauf hin, dass künftig Griechenland angesteuert wird – vor allem Kreta wird immer wieder genannt.

Von Ägypten ist der Weg nach Griechenland kürzer und die Balkanroute könnte somit über eine "Hintertür" doch wieder aufgehen. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) bestätigte zuletzt, dass es wieder mehr Anlandungen in Griechenland gibt (siehe Zusatzbericht). Experten schätzen allerdings, dass eine große Bewegung wie im Vorjahr ausbleibt. Über die Ägypten-Route dürften heuer zusätzlich rund 100.000 bis 200.000 Menschen nach Europa gelangen.

IS verdient an Syrien-Flüchtlingen
Die Balkan-Route ist derzeit jedenfalls vor allem in der Hand arabischer Gruppierungen. Budapest gilt als Umsteigeplatz, berichtet ein Insider dem KURIER. Dort übernehmen dann vor allem tschetschenische Kriminelle und erledigen die Weiterleitung der Flüchtlinge nach Westeuropa. Auch hier soll wieder Geld unmittelbar an den IS zurückfließen. Vor allem bereits in Europa lebende Flüchtlinge werden angeworben, um für die Clans kleinere Transporte abzuwickeln. Sie beherrschen die Sprachen der Ankommenden, dazu warten viele auf Asylbescheide und dürfen daher nicht arbeiten. Laut dem Schlepper-Insider sei den europäischen Behörden durchaus bekannt, wer hinter den Schleppern in der Balkanregion steckt – entsprechende Namen und Adressen finden sich sogar in Gerichtsakten. Ein weiteres Indiz für dieses Wissen der Behörden: Nach dem grauenhaften Vorfall mit dem Kühl-Lkw in Parndorf gab der bulgarische Geheimdienst bereits am nächsten Tag die Namen der Verdächtigen an Ungarn und Österreich weiter.

Tatzgern widerspricht aber entschieden: "Es gab einen bekannten Namen in Ungarn, da dauerte es zehn Jahre, bis man ihm etwas nachweisen konnte." Die internationale Zusammenarbeit funktioniere.

Eiszeit mit der Türkei

Doch es gibt derzeit atmosphärische Störungen mit der Türkei, heißt es in gut informierten Kreisen. Am Bosporus wurde im Frühjahr eine 1100 Mann starke Einheit gegen Menschenschmuggel gegründet – schließlich fließt laut Europol ein Großteil der Schlepper-Einnahmen über die Türkei . Nach jahrelanger Diskussion schien nun endlich Schwung in die Angelegenheit zu kommen. Kurz vor dem Putschversuch gab es vielversprechende Gespräche, doch durch den österreichisch-türkischen Konflikt herrscht auch auf dieser Ebene derzeit Eiszeit.

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