Reitterer: "Brauchen mehr Mut in der Asyl-Frage"

Michaela Reitterer, Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV), ist verärgert, dass Quartiere von Hoteliers für Flüchtlinge nur zögerlich von den Behörden akzeptiert werden.
Die ÖHV-Präsidentin öffnet ihr Hotel für Flüchtlinge und stößt dabei auf viel Widerstand.

Über 50.000 Flüchtlinge werden für dieses Jahr erwartet. Täglich kommen 300 Hilfesuchende in Österreich an. Rund 400 Flüchtlinge lebten in den letzten Tagen bei rund zwei Grad in Zelten. Österreichs Hoteliers starteten spontan eine Hilfsaktion und bieten ihre Mitarbeiterhäuser, die in vielen Skiorten derzeit leer stehen, als Übergangsquartiere an. Doch die Krux an der Sache: Niemand nimmt die Hilfe in Anspruch. Die Bürgermeister leisten Widerstand, weil die Asylquoten schon erfüllt sind. Michaela Reitterer, Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung, ist von der Feigheit der Politik in der Flüchtlingsfrage enttäuscht:

KURIER: Frau Reitterer, Sie und rund zehn andere Hoteliers würden gerne Zimmer für die Flüchtlinge zur Verfügung stellen. Sie wollen helfen, aber die Hilfe scheint auf wenig positive Resonanz zu stoßen ...

Michaela Reitterer: In Österreich zu helfen, habe ich mir einfacher vorgestellt. Ich dachte, dass es normal ist, wenn Menschen vor Terror und Krieg flüchten, dass wir den Schutzsuchenden eine Bleibe geben, statt sie in Zelten schlafen zu lassen.

Mit welchen Hürden kämpfen Sie?

Es dauerte fünf Tage bis das zuständige Referat im Innenministerium auf mein Angebot antwortete – und die Antwort glich einem Buchstabensalat ohne Inhalt. In Wien existiert das Problem, dass die Quote schon erfüllt wird. Dazu kommt, man muss unterscheiden zwischen Flüchtlingen, die vom Innenministerium oder von der Caritas verwaltet werden. Die Zusammenarbeit mit der Caritas oder der Diakonie funktioniert viel besser. Doch welchen Flüchtling interessiert das? Im Moment steht die Bürokratie über der Hilfe. Es ist auch ein Witz, dass bei Sepp Schellhorn in Bad Gastein eine Begehung des Mitarbeiterquartiers von der Behörde stattfand, ob die Zimmer für die Unterbringung geeignet sind. Denn alles ist besser als ein Zelt. Glauben die Behörden, wir lassen unsere Mitarbeiter in Höhlen wohnen? Ich habe das Gefühl, dass alle betroffenen Organisationen und Behörden die spontane und schnelle Hilfe nicht gewohnt sind. In Österreich ist immer zuerst das rote Taferl oben. Ich höre so oft, das geht nicht, bevor man sich einmal überlegt, wie es doch gehen könnte.

Während des Balkankrieges wurden über 100.000 Flüchtlinge aufgenommen. Was hat sich an der Einstellung der Österreicher geändert?

Meine Theorie ist: Die Politiker haben vor den nächsten Wahlen so große Angst, wie das Kaninchen vor der Schlange. Keiner traut sich auch nur eine Stimme zu verlieren, weil er anderen Menschen hilft. Manche Bürgermeister fürchten, wenn sie heute zwei Familien aufnehmen, sind ein Jahr später 100 Flüchtlinge da. Wo bitte sind wir mit unserer Einstellung hingekommen? Das sind doch keine Wilden. Ja, es mag sein, dass Menschen kommen, die noch nie eine Ampelkreuzung gesehen haben. Es mag auch sein, dass manche keine Schuhe haben oder manche nicht wissen, wie mir die Caritas erzählt hat, dass man nicht alles in eine Toilette werfen darf. Aber diese Probleme kann man doch bewerkstelligen.

Reitterer: "Brauchen mehr Mut in der Asyl-Frage"
Interview mit Michaela Reitterer am 28.05 in Wien
Die Angst vor dem Wahlverlust ist nicht unberechtigt. Auch Steiermarks Landeshauptmann Franz Voves beklagt, dass der Wahlkampf vom Flüchtlingsthema überlagert wurde ...

Auch wenn ich derzeit nicht in der Haut der Innenministerin stecken will, die Politik muss lernen mit dieser Situation umzugehen. In der Flüchtlingsfrage kann man es nicht jedem recht machen. Denn wie heißt es so schön: Zu viel gefürchtet ist auch gestorben. Von den Bürgermeistern aufwärts haben alle Angst, dass dann die FPÖ gewählt wird. Dann wählen halt knapp 30 Prozent die FPÖ. Aber dann gibt es immer noch über 70 Prozent, die den Menschen helfen wollen. Wir brauchen mehr Mut in der Asyl-Frage. Natürlich weiß ich auch, dass es bei der Zeltaktion darum geht, Europa zu zeigen, wir brauchen mehr Solidarität in der Flüchtlingsfrage. Aber es ist tragisch, dass diese Botschaft auf den Rücken der hilfesuchenden Menschen ausgetragen wird.

Apropos: Kalkül. Wie lange hat die ÖHV abgewogen, ob die Hilfsaktion eine gute PR-Aktion ist oder dem Geschäft schadet?

Es war von Sepp Schellhorn, Gregor Hoch und von mir eine spontane Aktion. Ohne Kalkül. Meine Gedanken waren: Wenn ich bei mir zu Hause einheizen muss, weil es im Mai so kalt ist, wie müssen dann die Flüchtlinge frieren? Alle meine Aktionen, auch in meinem Öko-Hotel, sind authentisch. Die Reaktionen der Mitarbeiter und Gäste sind größtenteils positiv. Aber es kamen auch Mails in die ÖHV, dass sie nach dieser Aktion, nie wieder Urlaub ins Österreich machen. Ich habe nicht die Sorge, dass die Hälfte der Gäste weg bricht. Wenn jemand nicht damit klar kommt, dass ich Menschen in Not eine Unterkunft zur Verfügung stelle, dann habe ich zum Glück das Privileg, auf diesen Gast verzichten zu können.

Hat die Politik die Solidarität verlernt?

Hier steht leider die Parteilinie über den eigenen Empfindungen. Ich denke, dass jeder Mensch in seiner tiefsten Seele hilfsbereit ist.

Arbeiterkammer-Präsident Rudolf Kaske hat die Tourismus-Unternehmer als Sozialschmarotzer bezeichnet. Auf der einen Seite Flüchtlinge aufnehmen und dann Mitarbeiter außerhalb der Saison arbeitslos melden. Wie passt dieses Bild zusammen?

Welcher Unternehmer bitte zahlt die Löhne weiter, wenn er seinen Betrieb zusperrt? Ich habe Herrn Kaske auch einen Brief geschrieben, dass ich mich auf diese Diskussion öffentlich nicht einlasse. Ich wehre mich auch gegen dieses ständige Hinhauen auf die Hoteliers. Wir sind der zweitwichtigste Wirtschaftszweig in Österreich, waren der Motor in der Wirtschaftskrise.

Reitterer: "Brauchen mehr Mut in der Asyl-Frage"

Ist der Unmut über die Mehrwertsteuererhöhung von zehn auf 13 Prozent schon verflogen?

Ich weiß nicht aus welcher Ecke diese unselige Idee in der Koalition gekommen ist. Mir wird immer erklärt, es kommt nicht von der ÖVP. Aber eines muss man ganz deutlich sagen: Es geht hier nicht um eine Erhöhung von drei oder vier Euro. Die Margen bei einem erfolgreichen Hotelier liegen zwischen ein und vier Prozent. Wenn man jetzt drei Prozent selber fressen muss, weil wir es an den Gast nicht weitergeben können, dann brauche ich niemandem erklären, wo wir sparen müssen. Damit vernichtet man Arbeitsplätze.

Erst vor 13 Jahren stieg die zweifache Mutter ins Hotelbusiness ein: 2002 kaufte sie ihren Eltern das Hotel "Zur Stadthalle" ab und wandelte es Schritt für Schritt zum weltweit ersten Boutiquen-Stadthotel mit Null-Energie-Bilanz um. Reitterer wurde 2009 mit dem Umweltpreis der Stadt Wien und dem Österreichischen Staatspreis für Tourismus ausgezeichnet . Seit Anfang 2013 sind Michaela Reitterer und Gregor Hoch Präsidenten der Österreichischen Hoteliervereinigung.

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