Erinnerungen
Neben der Produktion und dem Shop ist die historische Sammlung das Herzstück der Schokomichi Fabrik. Hier durchschlendern, das gleicht einer Zeitreise. Originalexponate, Bildtafeln, Süßigkeiten von früher: Stollwerck, Manner, Bensdorp oder auch die Geschichte der österreichischen Süßwarenmarke Pez – und Heller Zuckerl aus Reimers Kindheit. Mitten im Raum steht ein Teigteiler aus dem Jahr 1895, den man für die Produktion von Krapfen verwendet hatte. In einer Glasvitrine finden sich luftdicht verschlossene Seidenbonbons aus Paris, die im Jahr 1908 mit von Hand gesponnenem Zucker hergestellt wurden. „Diese Naschereien haben eine Seele“, sagt Reimer. „Aber das ist die schönste Erinnerung hier im Museum für mich“, sagt Reimer und zeigt auf ein Bild seiner verstorbenen Mutter. Der Schokomichi könnte, wenn er wollte, noch viele weitere Stunden mit leuchtenden, aber auch müden Augen über die Geschichte der Schokolade reden.
Steckerlfische und Stracciatella
Früher wirkten hier 100 Angestellte. Heute schmeißt der Schokomichi den Laden alleine. Und das bedeutet 120 Arbeitsstunden pro Woche. Ab sieben Uhr in der Früh ist Reimer vor Ort und putzt den Betrieb. Dann sperrt er den Shop auf und verkauft den ganzen Tag. Dazwischen macht er Bürotätigkeiten, Führungen durchs Museum und Akquise. Abends fängt er mit der Schokoladenproduktion an. „Das dauert üblicherweise bis zwei oder drei Uhr nachts. Denn jedes Produkt hier ist von mir.“
Er zeigt seine Bestseller, wie etwa den Schokoguglhupf, der mit einer Pastete aus Nougat gefüllt und außen knusprig ist. Die „Wiener Millionär Schokolade“ mit Trüffel und blattvergoldet. „Bei Richard Lugners Hochzeit gab es die“, sagt Reimer stolz. „Dann wäre da noch der Schokomichi-Senf. Für die Entwicklung habe ich lange gebraucht, damit er keine Brocken bildet. Er passt gut zu Camembert.“ Die Produktpalette ist breit und Reimer ist kreativ. Wenn er auf der Donauinsel verkauft, dann zaubert er Schoko-Steckerlfische. Im Sommer produziert er Schokostückchen für Stracciatella-Eis und liefert an Eiserzeuger aus. „Früher haben wir 800 Unternehmen beliefert, 90 Prozent davon sind weggefallen. Meinen Schokosenf verkauft derzeit ein Fleischhauer.“
Der Druck ist groß. Der Schokoladenmarkt hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Er befindet sich in der Hand der großen Konzerne. Der Verkauf findet in erster Linie in den Supermärkten statt. Da komme der kleine Mitbewerber nur schwer mit. Die größte Herausforderung sei es, die Tradition zu erhalten. „Ich muss mich wieder zurückkämpfen.“
Die große Liebe
Nach der Pandemie, die ihn finanziell sehr geschmerzt hat, erholt sich die Situation für den Schokomichi nun langsam. „Aber die Energiekosten sind sehr hoch, auch die Haselnusspreise sind enorm gestiegen.“ Ein aktuelles Projekt, um das Geschäft zu verbessern, ist der Webshop, der bald starten soll. Es sei nicht leicht, aus der Dynamik des Ein-Mann-Betriebs herauszukommen. „Ich bin Tag und Nacht ausgelastet, deshalb habe ich diesen Sommer zwei Monate geschlossen.“ Reimer arbeitet daran, in Zukunft wieder mehrere Angestellte zu haben. Er weiß, dass es auf Dauer für ihn zu viel sein wird. „Erstens möchte ich gerne noch länger leben. Und zweitens…“
Reimer räuspert sich. „Zweitens hoffe ich immer noch, die große Liebe zu finden. Ich habe das leider ein bisschen versäumt, weil ich in der Schokofabrik immer so beschäftigt war. Ich bekomme von meinen Kunden oft gesagt, dass meine Leidenschaft für den Beruf bewundernswert sei. Aber das heißt nicht, dass ich das 20 Stunden pro Tag gerne mache und keine anderen Bedürfnisse habe. Die habe ich seit jeher hinten angestellt.“ Was seine Traumfrau mitbringen sollte? „Wenn sie Schokolade mag, dann schadet das nicht“, sagt Reimer und schmunzelt.
Er suche aber bestimmt nicht nach einer Frau, die Tag und Nacht mit ihm im Geschäft steht. Das müsse nicht sein. „Sicher, wenn sie Freude daran hätte, könnte man das gemeinsame Arbeiten schön gestalten“, sagt Reimer. Aber wirklich wichtig seien ihm andere Dinge. Zweisamkeit. Jeder soll seine Träume verwirklichen können und trotzdem eine schöne Partnerschaft leben. Es sei ein erfüllendes, aber auch ein einsames Leben. „Ich liebe Menschen und sehne mich nach ihnen. Vor allem im Sommer, wenn niemand in den Shop kommt." Manchmal gehe er in den Supermarkt ein paar Häuser weiter, bloß um unter Leute zu kommen. Er kichert. "Dann kaufe ich mir irgendetwas, das ich eigentlich gar nicht brauche.“
Kommentare