Mehr als 165.000 ELGA-Aussteiger

ELGA wird erst Ende 2015 in den Spitälern zur Anwendung kommen.
Arzt befürchtet Vertrauensverlust zu Patienten und zieht vor Höchstgericht.

Alle Krankheiten, alle Medikamente, alle Informationen über die eigene Krankengeschichte in einem elektronischen System – ELGA soll eigentlich das Gesundheitswesen revolutionieren. Doch das System krankt an allen Ecken und Enden. Insider wollen wissen, dass es technische Probleme mit den Zugangscodes für die Krankenhäuser gibt. Viele Patienten, die sich von der Gesundheitsakte abgemeldet haben, warten seit Monaten auf eine Bestätigung. 165.000 Österreicher haben sich bereits offiziell gegen ELGA entschieden. Seit dieser Woche ist fix, dass die Spitäler nicht – wie geplant – ab Jänner 2015 mit ELGA arbeiten werden.

"Der Zeitplan war für das komplexe System zu ambitioniert", meint ELGA-Geschäftsführerin Susanne Herbek. Teurer soll das Projekt durch die Verzögerung angeblich nicht werden. Bis 2018 sind 130 Millionen Euro für die umstrittene Krankenakte budgetiert. Im Sinne der Datensicherheit lässt man sich laut Geschäftsführerin Herbek nun lieber mehr Zeit, um ELGA in die Praxis umzusetzen. In vielen Praxen wird die Krankenakte aber womöglich gar nicht ankommen – zumindest wenn es nach den Kassenärzten geht.

Antrag auf Aufhebung

Die Gegeninitiative "Raus aus ELGA" des Hausärzteverbandes druckt schon seit Monaten Broschüren, die gegen ELGA mobil machen. "Es gab von Anfang an Probleme. In anderen Ländern sind vergleichbare Systeme kläglich gescheitert", sagt Wolfgang Geppert, Sprecher des Verbands der Hausärzte. Schützenhilfe bekommen die ELGA-Gegner jetzt vom Wiener Frauenarzt Alfred Pixner. Der zieht vor den Verfassungsgerichtshof.

Mehr als 165.000 ELGA-Aussteiger
Gyn Alfred Pixner ELGA
"Die Chancen stehen gut, das absurde System jetzt zu stoppen", sagt Pixner. Seine Bemühungen, gegen die elektronische Krankenakte vorzugehen, sind aber nicht nur im Sinne der Ärzte. "Ich mache das vor allem wegen meiner Patientinnen", erzählt der Gynäkologe, als ihn der KURIER in seiner Praxis in Wien-Brigittenau besucht. Viele Frauen warten auf einen Termin bei dem Arzt. Gerade deshalb müsse er nun handeln, sagt Pixner. "Das System macht es mir viel schwerer zu arbeiten. Bisher kamen die Frauen in meine Praxis und haben mir erzählt, was sie für Probleme haben. Es gab ein gutes Vertrauensverhältnis. Das wird durch ELGA gefährdet", erklärt der Gynäkologe der seine Praxis schon seit 1981 betreibt.

Im Sinne der Patienten

Der Sinn von ELGA sollte es sein, alle Daten zu sammeln und so den verschiedenen, behandelnden Ärzten elektronische Auskunft über die Patienten zu geben. Wechselwirkungen von Medikamenten könnten so verhindert werden. Doch absurderweise ist genau das der Haken an ELGA.

"Ich als Frauenarzt kann gar nicht eintragen, dass ich zum Beispiel eine Allergie bei einer Patientin festgestellt habe. Das kann nur der Hausarzt machen", sagt Pixner. Auch Privatärzte sollen keine Eintragungen vornehmen. Will ein Patient einen Eintrag löschen lassen, kann er das ohne Probleme tun. "Der Arzt erfährt mit ELGA noch weniger als vorher", klagt Pixner.

Seit 1. Jänner 2014 können sich die Österreicher von ELGA abmelden. Die Kassenärzte schätzen, dass sich bereits bis zu 200.000 Menschen gegen die elektronische Krankenakte entschieden haben. Offiziell ist die Zahl der Verweigerer noch niedriger. Ab dem Herbst soll in den Spitälern eine erste Testphase mit fiktiven Daten erfolgen. Die Gesamtkosten von 130 Millionen Euro werden vom Hausärzteverband stark angezweifelt.

Mehr als 165.000 ELGA-Aussteiger

Der Start der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) verzögert sich. Nicht wie ursprünglich geplant Anfang 2015, sondern erst Ende nächsten Jahres werden die ersten öffentlichen Spitäler ihre Befunde in das System stellen. Der weitere Zeitplan mit der Teilnahme der niedergelassenen Ärzte und Apotheken ab Mitte 2016 bleibt unverändert. Das hat die ELGA-Generalversammlung am Montag beschlossen.

Bund, Länder und Sozialversicherung haben sich in dem Gremium darauf verständigt, dass die Krankenhäuser der Bundesländer Kärnten, Oberösterreich, Steiermark, Tirol und Wien sowie die Spitäler der AUVA schrittweise ab Ende 2015 mit ELGA arbeiten sollen. Bis Mitte 2016 werden dann alle öffentlichen Krankenhäuser ELGA nutzen. Ab diesem Zeitpunkt können dann auch die Patienten ihre eigenen Befunde aus den Spitälern einsehen. Unverändert bleibt der weitere Zeitplan: Ab Mitte 2016 nehmen alle Vertragsärzte und Apotheken (im Rahmen der e-Medikation) teil, ab 2017 die Privatspitäler und ab 2022 folgen dann die Zahnärzte. Seit Jahresbeginn 2014 ist bereits das ELGA-Portal online, in dem die Patienten schon ihre Abmeldung vom gesamten System oder einzelnen Daten vornehmen können.

Technische Gründe

ELGA-Geschäftsführerin Susanne Herbek begründete im Gespräch mit der APA die Verschiebung des Starts für die öffentlichen Spitäler damit, dass man noch verschiedene technische Komponenten sowohl zentral als auch bei den verschiedenen Krankenhausverbünden einrichten müsse. Außerdem wolle man bis dahin noch die Sicherheit mehrfach überprüfen und Tests sowohl die Sicherheit als auch die Performance des Systems betreffend durchführen. Diese Tests sollen mit künstlichen Daten im Herbst 2014 beginnen und Krankenhaus für Krankenhaus bis ins Jahr 2016 laufen. "Dabei werden alle zukünftigen Funktionalitäten von ELGA wie der Austausch von Spitalsentlassungsbriefen und die e-Medikation detailliert geprüft. Denn Qualität und Sicherheit stehen bei ELGA an oberster Stelle", betonte Hauptverbands-Chef Hans Jörg Schelling. Deshalb mache es Sinn, sich bis Ende 2015 Zeit zu nehmen, betonte auch Herbek.

Die ELGA-Geschäftsführerin verwies auch auf einen "Kulturwandel", der bei den Ärzten notwendig werde, weil diese sich beim Schreiben der Befund umstellen werden müssen. Mit ELGA müssen die Befunde nicht nur interaktiv, sondern auch standardisiert und strukturiert geschrieben werden. Auch an der Benutzerfreundlichkeit für die Ärzte werde laufend weiter gearbeitet und gemeinsam ein Leitfaden entwickelt.

150.000 Abmeldungen

Von ELGA abgemeldet haben sich bisher rund 150.000 Personen - etwa 10.300 über das ELGA-Portal und rund 140.000 per Formular. Zusätzlich sind derzeit noch etwa 15.000 Formulare in Bearbeitung. Herbek betonte aber, dass das Interesse an den Abmeldungen nach den Spitzen zu Jahresanfang nun deutlich nachgelassen habe und in der Zwischenzeit schon wieder einige Menschen Interesse an einer Wiederanmeldung bekundet hätten.

"Gar nichts" kann Herbek erwartungsgemäß der Forderung des Team Stronach-Gesundheitssprechers Marcus Franz abgewinnen, statt ELGA den Menschen einen Chip einzupflanzen, auf dem Gesundheitsdaten gespeichert werden könnten. Die ELGA-Geschäftsführerin meinte, sie fühle sich dabei sehr an George Orwells Dystopie "1984" erinnert.

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