Erster Prozesstag: Die Angst der Lisa-Maria Kellermayr

Lisa-Maria Kellermayr
Angst. Dieses Wort fällt am Mittwoch oft. Es geht um die Angst von Lisa-Maria Kellermayr, Hausärztin in Seewalchen am Attersee. In der Nacht zum 29. Juli 2022 führte diese Angst dazu, dass sich die Medizinerin das Leben nahm.
Fast drei Jahre später steht nun ein Mann vor dem Landesgericht in Wels, der dazu beigetragen haben soll, dass sich Kellermayr fürchten musste. Herr M., 61 Jahre alt, Impfverweigerer aus Bayern.
Elf Vorstrafen hat er, fünf davon einschlägig. Während der Corona-Pandemie nahm er Kontakt mit Kellermayr auf, kritisierte sie für ihre Haltung pro Impfung. "Wir beobachten Sie und werden solche Kreaturen wie Sie vor das Volkstribunal bringen", schrieb er ihr.
Als er am Mittwoch das Gericht betritt, trägt Herr M. Haube und Sonnenbrille. Drei Anwälte begleiten ihn.

Nur ein einziges Wort ist an diesem ersten Verhandlungstag von ihm zu hören: „Nein“ – seine Antwort auf die Frage der Richterin, ob er sich schuldig bekennt, Kellermayr gefährlich bedroht zu haben. Dann lässt er seine Stellungnahme von Anwältin Sonja Fasthuber verlesen. Der Tod der Ärztin sei "eine Tragödie". "Aber ich bin nicht schuld daran." Er sieht sich als Sündenbock.
"Schlachte dich ab"
Was richtig ist: Herr M. war nicht der Einzige, der seine Wut an Kellermayr entlud. Ein gewisser Claas – er konnte bis heute nicht ausgeforscht werden – drohte ihr sogar, sie in ihrer Praxis abzuschlachten. "Sie hat tatsächlich befürchtet, getötet zu werden", erinnert sich ein Arzt, der Kellermayr in der Praxis aushalf. Die Ärztin baute ihre Ordination zur Festung aus. Installierte Kameras, eine Schleuse und stellte Securitys ein.
Auch ihrem Kollegen zeigte sie die Nachrichten. "Ich habe die eMails als beunruhigend empfunden", erinnert er sich. "Das war durchaus ernst zu nehmen." Ein Studienkollege, mit dem Kellermayr später noch Kontakt hatte, schildert: "Diese Volkstribunal-Drohungen, das war schon eine Bedrohung."
Herr M. hatte in seiner Wut nicht nur der Medizinerin bedenkliche eMails geschrieben. Auch diversen Politikern, unter anderem dem damaligen deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach schrieb er. "Ich habe sie nicht gezielt ausgesucht", erklärt er in seiner Stellungnahme. "Die meisten haben nicht geantwortet. Aber sie hat es."
Es entwickelte sich ein Austausch von Nachrichten, der bis tief in die Nacht ging. "Wenn Menschen wie Sie mich hassen, dann freut mich das", schrieb Kellermayr. – "Ich hasse Sie nicht, Sie tun mir leid. Ja, das sind Sie für mich: Bedauernswert", repliziert Herr M. – "Sie sind nicht der erste Covidiot, den ich zur Anzeige bringe" – "Ich werde Sie verfolgen, bis Sie dahin kommen, wo Sie meiner Meinung nach hingehören. Auf die Anklagebank."
Immer 200 Prozent
An diesem ersten Verhandlungstag wird viel über Lisa-Maria Kellermayr gesprochen. Ihr Vater (er glaubt nicht an Suizid) beschreibt sie als lebhaft, engagiert und absolut hartnäckig. "Sie war eine schillernde Persönlichkeit. In allem, was sie tat, gab sie 200 Prozent", erinnert sich der Studienkollege.
Doch es sind die psychischen Probleme, die speziell die Verteidiger des Mannes interessieren. Tatsächlich nahm die Ärztin Antidepressiva. "Man muss sehen, wie groß der Druck war. Die Belastung, die sie ausgehalten hat – das war eine enorme psychische Leistung", verteidigt sie der Vater.
Doch auch Suizidversuche in der Vergangenheit sind dokumentiert. Kellermayr selbst fertigte zumindest von einem ein Video an. Die Richterin entscheidet, die Videos aus 2017 und 2018 in dem Verfahren vorzuspielen, sie sind relevant. "I hoit des Mobbing nimma aus", sagt Kellermayr. "I hob mei Lebn long immer kämpfen miassn. Seit 20 Jahren frage ich mich, ob es nicht besser wäre, zu sterben." Worte und Bilder, die dazu führen, dass der Vater, der im Gerichtssaal ist, zusammenbricht. Ihm genau gegenüber sitzt übrigens der Angeklagte. Auch er weint.
Dass Kellermayr ihren Abschied akribisch geplant hat, ist bekannt. So schrieb sie unter anderem der Polizei ein eMail: "Wichtigste Info: Kein Stress. Ich habe mich in den Panikraum zurückgezogen, um mir das Leben zu nehmen."
Fortsetzung Donnerstag.
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