"Nur mehr ekelhaft": Wie Seewalchen über den Kellermayr-Prozess denkt

Lisa-Maria Kellermayr war 36, als sie sich in ihrer Ordination mitten im Zentrum von Seewalchen in der Nacht auf den 29. Juli 2022 das Leben nahm. Fast drei Jahre später steht ab dem morgigen Mittwoch in Wels ein Mann vor Gericht, der Kellermayr - wie so viele andere auch - mit Drohungen im Internet überhäuft hatte.
Der Mann habe laut Sachverständigen "damit rechnen müssen, dass seine Drohungen beim Tatopfer zu psychischen Instabilitäten, Verängstigung und als Folge zum Suizid führen können", wirft die Staatsanwaltschaft dem in Deutschland bereits mehrfach vorgemerktem Mann vor.
Er selbst will nur "ein wechselseitiges verbales Streitgespräch" mit ihr geführt haben. Angeklagt ist das Verbrechen der gefährlichen Drohung.

Lisa-Maria Kellermayr
Begonnen hat alles im November 2021. Ihre Kritik an einer Impfgegnerdemo vor dem Spital Wels - die sie später wieder löscht - führt zu einer Flut an Hassnachrichten. Selbst ein Polizeisprecher - der mittlerweile aus anderen Gründen nicht mehr in dieser Rolle tätig ist - wirft ihr vor, sich mit ihrem öffentliche Auftreten selbst inszenieren zu wollen.
Hassmails eskalierten
Was die Kritiker offenbar beflügelt hat. Denn die Drohungen werden mehr, und deutlicher. Morddrohungen gegen sie und ihre Mitarbeiterinnen inklusive.

Rechts das Gebäude, in dem die Ordination von Lisa-Maria Kellermayr untergebracht war
Von der Polizei fühlt sie sich alleingelassen, sie investiert in Sicherheitsmaßnahmen und stellt einen bewaffneten Sicherheitsmann in die Ordi. Bis sie diese schließt und in der Nacht vom 28. auf 29. Juli 2022 ihrem Leben ein Ende setzt.
Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums.
Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich. In Österreich finden Frauen, die Gewalt erleben, u.a. Hilfe und Informationen bei der Frauen-Helpline unter: 0800-222-555, www.frauenhelpline.at; beim Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) unter www.aoef.at; der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie/Gewaltschutzzentrum Wien: www.interventionsstelle-wien.at und beim 24-Stunden Frauennotruf der Stadt Wien: 01-71719 sowie beim Frauenhaus-Notruf unter 057722 und den Österreichischen Gewaltschutzzentren: 0800/700-217; Polizei-Notruf: 133).
In Seewalchen geht man ambivalent mit dem Thema um. "Es wird nicht darüber geredet", sagt etwa Grünen-Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger.
Eine Unternehmerin winkt gleich ab, "das geht mir viel zu nahe", sagt sie. Ihre Betroffenheit kann sie tatsächlich nicht verbergen. Ein Wirt in der Nähe will gar nicht damit in Verbindung gebracht werden, wiegelt er jeden Gesprächsversuch entschieden ab.
Ebenso deutlich ist man in der neuen Ordination, wo zuvor Lisa-Maria Kellermayr als Ärztin tätig war. "Wir haben mit dem Fall nichts zu tun", sagt die Assistentin freundlich, aber bestimmt, nach kurzer Rückfrage bei der neuen Ärztin.
Patientinnen rätseln über Verurteilung
Zwei Patientinnen hingegen üben sich in schwarzem Humor. "Sag, du bist der neue Bodyguard", ruft eine Dame - sie trägt eine Schutzmaske - der anderen zu, die freundlicherweise die Türe geöffnet hat. Bei ihnen ist ihre frühere Ärztin Thema.
Sie rätseln, ob dem Angeklagten nachgewiesen werden kann, dass er Mitschuld am Tod Kellermayrs trägt und sind unsicher: "Ob der verurteilt werden kann?" Sie glauben auch, dass die wirtschaftliche Situation der Ärztin ein Faktor gewesen sein könnte.

Blumenladen an der Attersee-Promenade
In einem Blumenladen direkt am Attersee gegenüber der Ordination binden zwei Verkäuferinnen Blumen. Trotz der Nähe zum "Tatort" ist der Kellermayr-Prozess "bei uns im Geschäft gar kein Thema".
"Das ist nur mehr ekelhaft"
Auf der Promenade genießt eine ältere Frau aus der Nachbarortschaft den Blick auf den Attersee. Sie verfolgt den Prozess, sagt sie: "Es ist so schlimm, dass eine junge, intelligente Frau so bedrängt wird, dass man sie so weit bringen konnte."

Seewalchen, Blick auf den Attersee
Die Betroffenheit ist auch ihr ins Gesicht geschrieben. "Wissen Sie, die Brutalität, wie Leute miteinander umgehen, wird immer ärger", resümiert sie und hält fest: "Diese Menschen sollen bestraft werden, das ist doch nur mehr ekelhaft." Ihren Namen und ein Foto will sie nicht in der Zeitung und schon gar nicht im Internet sehen: "Da ist man dann gleich am Haken dieser Leute."
"Mir tun die Eltern leid"
Gerald Egger, Bürgermeister einer ÖVP-Liste in Seewalchen, reagiert verhalten: „Die Leute hier wissen nicht einmal, dass der Prozess ist.“ Andere Themen seien vorrangig, ihm tun vor allem die Eltern leid, „die das schon wieder durchmachen müssen“.

Gerald Egger, Bürgermeister von Seewalchen am Attersee
Für sie wäre es wichtig, abschließen zu können. Aber dann erinnert er sich zurück. Einen Brief, den Kellermayr bekommen hat, habe er gelesen. „Das war brutal. Das habe ich gar nicht auf einmal lesen können. Das war einfach grauenhaft, das verstehe ich menschlich nicht.“ Da müsse eine Gesellschaft auch „Nein“ sagen: „So gehen wir miteinander nicht um.“

Blick auf das Rathaus
Das Impfthema sei ein großes gewesen, auch in Seewalchen: „Wir haben die größte Impfstraße in Oberösterreich gehabt.“ Aber das sei als Angebot zu sehen gewesen, nie als Zwang.
"Enorme gesellschaftliche Veränderung"
Worüber er sich Gedanken macht? „Die gesellschaftliche Veränderung seit Corona und der Wahl im Vorjahr ist enorm“, grübelt er. Dass er vor dem Bürgeranwalt steht wegen pfeifender Züge, die im Stundentakt vom Attersee zur Westbahn fahren, auch wenn er den Ärger versteht.

Bahnhof Kammer-Schörfling
Oder dass sich Initiativen gründen, die - ohne vorher zu reden - leistbares Wohnen verhindern wollen und nach dem „Florianiprinzip“ alles dran setzen, dass das andernorts gebaut wird: Das beschäftigt ihn.
„Wir müssen gesellschaftspolitisch aufpassen, wo wir hinkommen“, sagt Egger. Kritik müsse man aushalten, „aber es muss immer gehen, dass wir miteinander reden“.
Ob mit dem Prozess in Wels das letzte Kapitel zur Lisa-Maria Kellermayr geschrieben wird, ist noch offen. Denn die Staatsanwaltschaft Wels ermittelt noch gegen andere Personen, die sich mit Drohmails und Postings gegen die Ärztin in Szene gesetzt haben.
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