Lebensmittel gehören in den Magen, nicht in den Müll

30 Freiwillige helfen beim Verteilen, auch KURIER-Mitarbeiter.
Der KURIER gibt Tipps und sucht Alternativen, und er packt auch an.

Früher ist Maria immer kurz vor Ladenschluss in den Supermarkt gegangen. Wenn es schon Aktionsprodukte gab. Manchmal klapperte sie dann gleich drei, vier Geschäfte hintereinander ab, um sich von überall die Angebote zu holen. Trotzdem war gegen Ende des Monats kaum noch Geld für den täglichen Gebrauch da.

Heute bekommt Maria beim Gedanken an den Wocheneinkauf kein unangenehmes Gefühl mehr. Jetzt kennt sie LeO, den Lebensmittelmarkt der Caritas für armutsbetroffene Menschen. Gemeinsam mit rund 80 Gästen hat sie sich im Hof der Pfarre Maria Lourdes (12. Bezirk) an diesem Vormittag eingefunden.

Lebensmittel gehören in den Magen, nicht in den Müll
Ausgegeben werden die Lebensmittel von Freiwilligen wie der 80-jährige Elfriede Bahla, die früher Buchhalterin war und jetzt die Gäste im Wartebereich betreut, oder Lisbeth, die durch einen KURIER-Artikel im Jänner von dem Projekt erfahren hat. Auch einige KURIER-Mitarbeiter haben sich diesmal für die Verteilaktion freiwillig gemeldet und packen mit an. Sie verteilen nun die Gemüseware und helfen den Gästen, ihren Einkauf rasch vom Einkaufskorb in die Taschen zu packen.

Denn die Pfarre ist nicht besonders geräumig; das System dafür umso ausgeklügelter. Im Hof werden die Nummernkärtchen verteilt. Dann kommen immer fünf Personen in den Anmelderaum, wo sie sich bei Tee und Kuchen stärken können. Haben sie die 3,50 Euro bezahlt, dürfen sie in die Einkaufsstraße. Je nach Größe des Haushalts können sie ein oder zwei Körbe füllen. Die Lebensmittel stammen großteils aus Supermärkten. Es sind Produkte, die nicht mehr verkauft werden.

Guter Weg

Insgesamt geben Supermärkte oder Lebensmittelproduzenten in Österreich jährlich 11.100 Tonnen Lebensmittel an karitative Einrichtungen ab. Damit ist Österreich auf einem guten Weg, findet Caritas-Präsident Michael Landau. Trotzdem muss etwas getan werden. Es landen immer noch mehrere Hunderttausende Tonnen Lebensmittel im Müll (die Zahl schwankt zwischen 460.000 und einer Million Tonnen, siehe Interview rechts). Landau fordert daher die Politik auf, Schritte zu setzen, um den Anteil der Nahrungsmittel im Müll so rasch wie möglich um mindestens 20 Prozent zu reduzieren. Staatssekretärin Sonja Steßl hat bereits einen Runden Tisch zu dem Thema angekündigt. Wann der stattfinden soll, ist noch unklar.

Jeder einzelne

Gleichzeitig appelliert Landau an alle Österreicher mitzumachen. Denn jährlich werden 300.000 Tonnen Lebensmitteln in privaten Haushalten weggeschmissen. Damit könnte man 300.000 Menschen ein Jahr lang versorgen.

Auch Haubenkoch Manfred Buchinger ist die Lebensmittelabfallvermeidung ein Anliegen. Immer wieder kocht er für oder mit armutsbetroffenen Menschen. "Wir müssen wieder lernen, uns bei Kauf- und Schnäppchenjagd zurückzunehmen." Die Augen sind oft größer als der Magen. Und wenn es einmal Reste gibt: "Besser verschenken als verderben lassen."

Marias Korb ist mittlerweile voll. Flotten Schrittes rollt sie mit dem Trolley über den Pfarrhof Richtung Ausgang. Ihre Tochter und ihre Enkelkinder werden am Wochenende bei ihr übernachten. Nun kann sie ihnen auch richtige Mahlzeiten kochen.

Lesen Sie mehr zum Thema "Lebensmittelabfallvermeidung" am Montag im KURIER

Lebensmittel gehören in den Magen, nicht in den Müll

KURIER: Frankreich hat mit einem neuen Gesetz für Aufregung gesorgt. Der Großhandel darf Lebensmittelabfälle nicht mehr wegschmeißen, sondern muss diese kompostieren oder spenden. Ist so ein Gesetz sinnvoll?

Gudrun Obersteiner: In dieser Form nicht. Einerseits kann man nicht alle Lebensmittelabfälle kompostieren. Der Aufwand ist nicht realistisch. Der Großteil der Lebensmittelabfälle ist verpackt. Zum Kompostieren müsste man sie also entpacken. Wer soll das tun? Andererseits kann man auch nicht alles spenden. Wer soll das alles verarbeiten?

Die Zahlen über Lebensmittelabfälle in Österreich gehen weit auseinander. Das Umweltministerium spricht von 460.000 Tonnen, laut Ökologie-Institut sind es eine Million Tonnen. Was ist nun richtig?

Das Absurde: Beide Zahlen stammen von uns. Die eine Million ist eine extreme Hochrechnung. Nehmen wir die Haushalte. Die Ökologen rechnen mit 300.000 Tonnen. Das ist ein Aufrunden von den 266.000 Tonnen, die wir herausgefunden habe. Das war aber inklusive der Zubereitungsreste. Manche Abfälle wie Erdäpfelschalen und Knochen kann man aber gar nicht vermeiden.

Stadträtin Ulli Sima will die Lebensmittelabfallmenge bis 2025 halbieren. Ist das machbar?

Das ist ein hehres Ziel. Ich finde es gut, wenn die Politik Visionen hat. Sonst passiert nichts. Ich kann mir auf die Schnelle aber nicht vorstellen, wie das funktionieren soll.

Umweltminister Andrä Rupprechter setzt auf Bewusstseinsbildung. Ist das alleine ausreichend?

Nein. Es gibt erste Erhebungen, dass Menschen, die Abfallvermeidungs-Seminare besuchen, danach nicht wirklich weniger wegschmeißen. Sie haben bloß ein schlechtes Gewissen dabei. Man müsste also sicherstellen, dass diese Kurse auch einen Effekt haben. Es geht also auch um die Frage, wie viel Geld steht zur Verfügung. Mit einem Seminar erreiche ich vielleicht zehn Personen, mit einem Fernsehprogramm mehr. Aber das kostet.

Lebensmittelabfälle fallen ja nicht nur in Haushalten an, sondern auch in Handel, Gastronomie und Landwirtschaft.

Genau, da kann man nicht mit Bewusstseinsbildung alles über einen Kamm scheren. Es braucht einen gesamtgesellschaftlichen Wandel. Mit Bewusstseinsbildung kann man bei den Haushalten einsetzen. In der Gastronomie wiederum muss klargemacht werden, dass es für die Wirte selbst ums Geld geht: Weggeworfene Ware ist weggeworfenes Geld.

Und wie sieht es in der Landwirtschaft aus?

Hier können gesetzlichen Rahmenbedingungen etwas verändern. Es bleibt viel auf dem Feld liegen, weil die Richtlinien so streng sind. Gott sei Dank tut sich hier schon etwas: In manchen Supermärkten gibt es zum Beispiel die „Wunderlinge“. Das ist zu großes, zu kleines, zu krummes Obst oder Gemüse.

Haben wir uns verbürokratisiert?

Definitiv. Sämtliche Hygienevorschriften sind ein großer Hinderungsgrund. Warum brauche ich bei Öl und Salz ein Ablaufdatum? Obwohl das Ablaufdatum gar nicht mehr so wichtig ist.

Was ist dann das Problem?

Viele gehen zu Wochenbeginn groß einkaufen. Und dann ruft am Montag die eine Freundin an, am Dienstag die andere und am Mittwoch ist Elternabend. Dann steht am Donnerstag der Einkauf immer noch unberührt im Kühlschrank. Das ist Realität. Und wir haben verlernt, aus Kirschen, bevor sie schlecht werden, Marmelade zu machen.

Braucht es ein Schulfach zur Ernährungsbildung?

Das wäre ein guter Plan, um die Basics wieder vermittelt zu bekommen. Denn es gibt so einfache Tricks. Zum Beispiel bei den Eiern. Wasserglas nehmen, Ei hinein und schauen, was das Ei tut. Wenn’s aufsteigt, dann besser nicht mehr essen. Manche Dinge halten dafür ewig. Meine Oma hat 1996 noch die Marmelade von den 70er-Jahren im Kasten gehabt. Der Körper sagt einem, was er essen mag. Wir sollten mehr den eigenen Fähigkeiten vertrauen.

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