Krise befeuert Gewalt unter dem Christbaum
Weihnachten – das Fest der Liebe und des Friedens. So zumindest die Erwartungshaltung vieler. Die Realität sieht aber oftmals anders aus. „Die Erwartungen an ein harmonisches Fest sind sehr hoch, genauso wie der Druck und der Stress“, sagt Klaudia Frieben, Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings (ÖFR).
Es werde zudem vorausgesetzt, viel Zeit im Kreis der Familie zu verbringen – was aber häufig per se schon zu Konflikten führen kann.
Ein Faktor, der das Gewaltpotenzial heuer besonders erhöhen könnte, seien laut Frieben die zahlreichen Firmeninsolvenzen in diesem Jahr. „Viele Menschen wissen nicht, ob sie noch einen Arbeitsplatz haben werden. Einige haben seit zwei Monaten kein Gehalt bekommen, andere müssen Schulden aufnehmen, um Weihnachten überhaupt finanzieren zu können“, erklärt die Expertin.
Angst um die Existenz
Die Geldsorgen – rund um die Festtage oft gepaart mit viel Alkohol – können dafür sorgen, dass sich diese Existenzangst schließlich in Gewalt entlädt. In Zahlen spiegelt sich diese Entwicklung im Dezember aber nicht zwangsläufig nieder, wie die Statistik des Bundeskriminalamts aus dem vergangenen Jahr etwa zeigt. Das könnte – in Zeiten der vermeintlichen Harmonie – mit einer niedrigen Anzeigebereitschaft zusammenhängen.
Im Dezember 2023 wurden demnach österreichweit 1.250 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen. Das bedeutet, dass die Polizei Gefährdern das Betreten von Wohnungen ihrer Opfer zeitlich begrenzt verbietet. Zum Vergleich: Im Mai 2023 wurden 1.342 Betretungs- und Annäherungsverbote verhängt, auch über den Sommer lag die Anzahl stets über 1.300 Verboten.
In der Weihnachtszeit kommt für Opfer von häuslicher Gewalt ein erschwerender Faktor hinzu, wenn es darum geht, Hilfe zu holen: Der Gefährder sitzt im Wohnzimmer nebenan. Viele trauen sich demnach nicht, die Polizei zu rufen. Deshalb gibt es für Betroffene auch die Möglichkeit, unbemerkt Hilfe zu rufen.
Stiller Notruf per App
Durch den sogenannten stillen Notruf wird die Polizei per Knopfdruck verständigt. Dabei handelt es sich um eine Funktion der Handy-App „DEC112“. Mithilfe von GPS-Standortinformationen sowie der in der App hinterlegten Adresse wird umgehend eine Polizeistreife zur notrufenden Person losgeschickt.
Wie oft der stille Notruf seit seiner Einführung vor zwei Jahren bereits abgesetzt wurde, wird offiziell nicht kommuniziert. „Über den stillen Notruf werden aus Sicherheitsgründen keine Statistiken bekannt gegeben“, heißt es dazu aus dem Innenministerium. Insgesamt wurden rund 29.438 Testnotrufe abgesetzt, 42.130 Geräte sind registriert.
„Gewalt entkräften“
Im Akutfall sollten sich Frauen jedenfalls immer an die Polizei wenden, egal ob per Anruf oder mit dem stillen Notruf über die App, so Frieben. Wird man Zeuge von Gewalt in seinem Umfeld, rät die Vorsitzende des ÖFR, Gewaltausbrüche zunächst zu „entkräften“. „Wenn man zum Beispiel mitbekommt, dass es in einer Nachbarwohnung zu Gewalt kommt, dann sollte man dort zunächst anläuten und etwa nach Salz fragen, um den Wutausbruch zu unterbrechen.“ Grundsätzlich müsse klar sein: „Der, der schlägt, muss gehen. Und nicht die Frau“, so Frieben.
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