Krampusläufe: Die ausgelebte Aggression

Krampusläufe: Die ausgelebte Aggression
Wird Brauchtum missbraucht, um Grenzen zu sprengen? Psychologen entlassen weder Darsteller, noch Zuschauer aus der Verantwortung: "Perchten verstecken sich hinter Larven, Besucher provozieren aber ebenso.".

Bei den beiden Gegenpolen Nikolaus und Krampus ist es einfach, Gut und Böse zu unterscheiden. Ersterer beschenkt stets die Braven, die Jobdeskription des Krampus sieht es hingegen vor, die Schlimmen zu züchtigen.

Diffiziler wird es, wenn die Polizei nach Ausschreitungen bei Krampusumzügen die Bösen herausfiltern muss. Und dem objektiven Betrachter stellt sich die Frage: warum kommt es überhaupt vermehrt zu Übergriffen, was reizt Menschen an diesen Umzügen? Für Psychologen liegt die Antwort auf der Hand: Es gehe um das Ausleben von Aggressionen – auf beiden Seiten, heißt es.

Dies erklärt das Phänomen der Zunahme an Krampusläufen. Am 6. Dezember hat heutzutage fast ausschließlich der Nikolaus seine Auftritt in den warmen Stuben daheim und in den Kindergärten. Indes sind Perchtenumzüge beim Publikum in der "Vorsaison" so begehrt geworden, dass sie bereits Anfang November angesetzt werden.

Grenzen überschreiten

"Mehr Gruppen, mehr Zuschauer, mehr Läufe – die Zeiten haben sich gewandelt", sagt Ursula Wisiak von der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie in Graz. "Krampusse und Zuschauer können bei diesen Events ihre Aggressionen ausleben. Soziale Grenzen werden überschritten und leider auch die Grenzen des normalen Umgangs miteinander. Der Eine versteckt sich hinter der Larve und der Andere glaubt, eine Mutprobe vollbringen und provozieren zu müssen", meint Wisiak. Sie befürchtet, dass Ausschreitungen zunehmen werden: "Früher war in der Tradition immer auch das Gute enthalten, repräsentiert durch den Nikolaus. Mitleiweile kommt es nur noch zur Darstellung des Bösen."

Vergleich mit Demos

Silvia Rauhofer, Kinder- und Jugendpsychologin aus Wien, argumentiert ähnlich. "Ich vermute, dass viele Beteiligte ihre im Alltag aufgestaute Wut loswerden wollen. Es gibt ja auch Menschen, die auf Demonstrationen gehen, um zu randalieren und nicht der Demo willen. Selbiges gilt für Fußballspiele, wo Hooligans auch diese aggressive Komponente in Stadien bringen", erklärt Rauhofer.

Sie betont , dass bei Krampusevents Gewalt selten von einem Part ausgehe. "Aber es reicht die kleinste Provokation und die Sache bekommt eine Dynamik, die nicht mehr zu stoppen ist. Dann brauchen nur andere Beteiligte Ritter spielen, eingreifen, und die Sache eskaliert."

Rauhofer würde inzwischen Eltern abraten, solche Veranstaltungen mit kleinen Kindern zu besuchen. Wisiak sieht es ähnlich. Krampusläufe, bei denen schaurige Figuren heftig bis aggressiv agieren, würden durch Gebrüll, Glockengeläut sowie Ruten- und Kettenschläge Kinder in Angst und Schrecken versetzen.

Angst-Seminare

Aber nicht ausschließlich Kinder. Die Salzburger Verhaltenstherapeutin Andrea Hammerer beschäftigt sich seit Jahren mit Erwachsenen, die sich aus Angst vor den zotteligen und gehörnten Fellwesen in der Krampuszeit nicht aus dem Haus trauen. Am 27. November hält sie ihr alljährliches "Seminar gegen die Krampus-Angst" ab. Die Teilnehmerzahl steigt, heuer sind es 35 – übrigens Frauen und Männer.

"Diese Menschen bunkern sich tagelang ein und wagen nicht einmal einen Stadtbummel. Wenn sie das Leuten von Glocken oder das Rasseln von Ketten hören, bekommen sie Panikattacken", erzählt Hammerer.

Sie habe aber bisher jedem Teilnehmer die Furcht vor den finsteren Gestalten nehmen können. Am Ende der Therapiesitzung kommt es zur direkten Konfrontation mit Krampussen – ohne Maske, versteht sich.

Berufsbedingt besucht Hammerer auch viele Perchtenumzüge ("Dort treffe ich ehemalige Patienten") und zieht ebenfalls den Schluss, dass die Gewaltbereitschaft nicht nur hinter der Larve schlummert. "Sogar Mädchen provozieren nach dem Motto ’Heut gemma Krampus hauen’ und wundern sich, wenn sie die Rute spüren.

Brauchtumsexperte Wolfgang Lattacher vom Haus der Kärntner Volkskultur verurteilt die Übergriffe, die bei Umzügen geschehen sind. Im Interview gibt er aber auch zu bedenken, dass bei Einhaltung des Kodex nichts passieren könne.

Sie haben im Vorjahr einen Verhaltenskodex für Kärntner Krampusse erstellt. Warum halten sich die Leute nicht daran?Lattacher: Es hat auch in der Vergangenheit vereinzelt Probleme gegeben, daher haben wir ja den Kodex eingeführt. Wir haben Regeln: Diese beinhalten Absperrungen, ein Alkoholverbot für Krampusse und einen gesitteten Umgang mit Kindern; Krampusse müssen ohne Larve auf sie zugehen und geschlagen wird sowieso nicht. Man darf aber nicht vergessen, dass die Läufe zunehmen und das Interesse der Bürger an diesen Läufen. Die Kontrollen gehören folglich auch verschärft.

Nächsten Samstag werden 50.000 Besucher und nahezu 1000 Krampusse beim Umzug in Klagenfurt erwartet. Sollte man solche Veranstaltungen überdenken?Natürlich nicht, das ist gelebtes Brauchtum wider der Isolation von Menschen im heutigen Computerzeitalter. Menschen tauschen sich aus, lernen einander kennen, gehen gemeinsam auf ein Bier. Freundschaften werden geschlossen, ja sogar Ehen.

Womit muss man rechnen, wenn man als Krampus oder als Besucher zu so einem Umzug geht?Krampusse wissen, dass sie durchaus provoziert werden und müssen auch wissen, wo die Grenzen sind. Aber Perchten wollen nicht Geige spielen und ein solcher Lauf ist eben kein Balletttanz. Jeder Besucher, der einem Krampusumzug beiwohnt, weiß ganz genau, dass es dort temperamentvoller zugeht und dass er gegebenenfalls die Rute spüren kann.

Krampusläufe sind in Österreich zum Massenevent geworden – immer wieder begleitet von Ausschreitungen mit Verletzten. Die Schuld wird rasch bei den Perchten gesucht, die sich in der Anonymität verstecken können. Zu unrecht, wie Michel Hilweg, Obmann der Innsbrucker Alpentuifl, betont.

KURIER: Überspannen Perchten manchmal den Bogen?Hilweg: Nein. Natürlich gibt es auch bei den Krampussen schwarze Schafe, aber gewöhnlich läuft alles in geordneten Bahnen ab. Wir haben letztes Jahr eine Veranstaltung mit 600 Krampussen und 2500 Zuschauen in Innsbruck organisiert. Es gab keinen einzigen Vorfall.

Es wird oft behauptet, dass alkoholisierte Krampusse für Übergriffe verantwortlich seien. Dürfen Krampusse Alkohol trinken?Ich habe nichts gegen ein, zwei Bier. Das ließe sich auch gar nicht verhindern. Aber wenn ich Veranstalter eines Laufes bin und auch nur ein Mitglied einer Krampusgruppe offensichtlich stark alkoholisiert ist, wird die ganze Gruppe ausgeladen. Das wissen die Betroffenen und daher musste diese Maßnahme auch nie ergriffen werden.

Krampusse sollen selbst zunehmend Opfer von Gewalt sein.Und ob. Jugendliche Besucher treten in Gruppen auf, da sind sie stark, stellen uns ein Haxl oder reißen an den Hörnern. Das sind Mutproben der Besucher, aber sehr schmerzhaft für uns.

Benötigen Krampusse Schutz vor dem Publikum?Tatsächlich haben wir – und wir sind ein kleiner Krampusverein mit 28 Mitgliedern – stets vier, fünf Ordner bei den Läufen dabei, die für alle ersichtlich mit Warnwesten unterwegs sind und auch die Krampusse vor den Zuschauern schützen.

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