"Verpiss dich!"
Was war passiert? Der Angeklagte soll, ein wenig benebelt von Marihuana und Alkohol, zu Mittag in dem Schanigarten eines Asiaten gesessen sein. Da sei dieser Mann vorbeigekommen und knapp vor seinem Tisch stehen geblieben. "Ich habe ihn nicht höflich aufgefordert, weiter zu gehen", erinnert sich der Angeklagte, "verpiss dich, sonst f... ich dich", habe er gesagt.
Diese erste Auseinandersetzung sei noch ohne Eskalation verlaufen. "Ich habe geglaubt, ich sei angeredet worden", schildert der Zeuge vor Gericht, "als ich gemerkt habe, dass ich nicht gemeint bin, wollte ich gehen." Nicht jedoch, ohne noch etwas zu dem jungen Mann zu sagen. Denn als der 53-Jährige ihn dann nochmals dazu aufgefordert habe, sich ordentlich zu benehmen, weil er sonst die Polizei hole, war es für den 19-Jährigen, der an diesem Tag schon insgesamt eine aggressive Grundstimmung in sich getragen habe, vorbei. Nach übereinstimmenden Aussagen des Angeklagten und der Zeugen soll er mehrmals zugeschlagen haben, einmal mit der flachen Hand, "dann habe ich ihm eine Faust gegeben".
Eine Zeugin, sie war mit einem Arbeitskollegen gerade Mittagessen, erinnert sich: "Zuerst hat schon eine Frau versucht, den Mann zu beruhigen. Wir haben geglaubt, da ist schon alles vorbei." Dann sei der ältere Mann direkt neben ihr auf den Boden gekracht: "Wir sind aufgesprungen, ich habe versucht, den Täter wegzustoßen. Er hat mit voller Wucht zwei Mal auf den Kopf des Mannes getreten, wie auf einen Fußball, für einen dritten Tritt hat er schon ausgeholt." Danach sei er geflüchtet, ein Mann habe ihn verfolgt.
Der Angeklagte schüttelt den Kopf und senkt den Blick. Als die Zeugin fertig ist, fragt sie nach, wie es dem Opfer geht. Der Mann sitzt hinten im Gerichtssaal, bedankt sich bei der Zeugin "für die Hilfe und die Zivilcourage".
Schwere Verletzungen
Wie es ihm geht, hat er zuvor als Zeuge berichtet. Schwere Verletzungen mit Knöchelbrüchen und Bänderrissen am Bein, schwere Verletzungen mit Jochbogenbruch am Kopf, Schlafstörungen, noch stärkere Panikattacken als zuvor: "Ich bin seither nicht mehr alleine einkaufen gegangen. Dass ich mich sicher fühle, das Gefühl ist weg." Der Mann kann sich nur schwer an den Vorfall erinnern, weiß noch, dass er sich angesprochen gefühlt und deshalb stehen geblieben sei. Dann die Attacke mit den schweren Verletzungen und der Bewusstlosigkeit. Zehn Tage im Spital, zwei Monate arbeitsunfähig. Starke Schmerzen, bis heute. Deshalb fordert die Opfervertreterin auch die Anerkennung von Schmerzensgeld, vorläufig etwas mehr als 7.000 Euro. 3.000 Euro ist die Verteidigerin Anita Schattner bereit, im Namen ihres Mandanten anzuerkennen.
Im Plädoyer kommt nochmals die Geschichte des Angeklagten zur Sprache. Mit fünf Jahren von der Mutter in einem Obdachlosenheim zurückgelassen worden, Unterbringung in Heimen, immer wieder von dort ausgerissen. Hauptschule nicht abgeschlossen, keine Ausbildung. 750 Euro Mindestsicherung. Außer einer bereits getilgten Vorstrafe keine weiteren Kontakte zur Justiz. Allerdings wird ihm vom Haft- und Jugendrichter hohes Aggressionspotenzial attestiert, das er noch dazu bagatellisiere.
Das rechtfertige nichts, so die Anwältin, erkläre manches aber. Und sie ist überzeugt: "Mordversuch war die Tat nicht." Schuldig sei er, wegen der Körperverletzung, Die habe er auch gestanden. Die Staatsanwaltschaft hingegen hält die Anklage aufrecht. Mordversuch, und zwar ohne Zweifel: "Das ergibt sich schon aus der allgemeinen Lebenserfahrung durch die massive Gewaltanwendung und auch aus dem Gutachten."
Einstimmiges Urteil: Absichtliche schwere Körperverletzung
Nach etwas mehr als zwei Stunden waren sich die Geschworenen einig. Der junge Mann wird einstimmig wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Nur ein Geschworener hatte in der Frage nach dem Mordversuch mit Ja gestimmt. Das Gericht spricht dem Opfer auch die geforderten 7.370 Euro Schmerzensgeld zu, die bisher angefallen sind. Die Staatsanwaltschaft gibt keine Erklärung dazu ab, deshalb ist das Urteil nicht rechtskräftig.
Der Angeklagte selbst hat das Urteil laut seiner Anwältin angenommen: "Zum Urteil hat er gesagt, ja, das ist richtig. Er sieht das als Chance und möchte die Zeit im Gefängnis nutzen, um eine Ausbildung zu machen."
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