Klosterneuburg: Zwischen Vorstadt und (Öd)Land
15 Minuten braucht man mit dem Bus von Wien-Heiligenstadt zum Bahnhof Klosterneuburg. Vom Stephansplatz fährt man nach Klosterneuburg fast genauso lange wie nach Wien-Speising. Lediglich ein Ortsschild markiert die Stadtgrenze zwischen Wien und der Nachbargemeinde. Dennoch soll im Zuge des "Masterplans für den ländlichen Raum" das Umweltbundesamt mit 520 Mitarbeitern von der Hauptstadt nach Klosterneuburg siedeln. Das wirft die Frage auf: Wie ländlich ist die drittgrößte Stadt in NÖ? Dort gemeldet sind immerhin 26.950 Hauptwohnsitze und 2548 Gewerbebetriebe.
Ein Lokalaugenschein am Freitag zeigt: Trotz des Fenstertags stehen Autos Stoßstange an Stoßstange am Stadtplatz im Stau. Pensionisten und junge Mütter mit Kindern erledigen ihre Einkäufe. Mit Drogerien, Supermärkten, Bäckereien und einer Fleischerei ist der Stadtplatz nahversorgungstechnisch ganz gut aufgestellt. Fuchs und Hase sagen sich hier, im Zentrum, nicht gerade gute Nacht.
2016 wurde im Zuge der Auflösung des Bezirks Wien-Umgebung gar die Debatte angestoßen, Klosterneuburg in Wien einzugemeinden. Anders in den Katastralgemeinden Weidling, Kierling oder Maria Gugging: Dort dominieren Einfamilienhäuser, Wälder und leere Straßen. Auch Landwirte gibt es hier. Gebaut wird jedoch überall.
Wie vieles im Leben ist auch die Stadt-Land-Debatte eine Frage der Perspektive. "Es ist auf jeden Fall ländlich. Man hört die Kirchenglocken", sagt etwa Anita W., die im Sommer von Wien heraus gezogen ist. "Stadt ist relativ", sagt Erika B. aus Kierling. "Wir haben etwa kein öffentliches Klo." Verkäuferin Gabriele Rundstuck begreift Klosterneuburg ebenfalls als ländlich: Man feiere Feuerwehr-Feste, möge die Blasmusik und setze auf Vereine.
"San’ ned am Land"
"Mia san’ ned am Land und ned in der Stadt", sagt hingegen Herbert Gasselhuber. Der Pensionist steht mit Josef Leitzinger an einer der wenigen Straßenkreuzungen in Maria Gugging. Von "Land" könne keine Rede sein: "Wir waren sogar mal Wien", erinnert Gasslhuber. "Auf meiner Geburtsurkunde steht ,Wien 26‘."
Als typischen Vorort bezeichnet wiederum Neurowissenschafter Max Jösch die Stadt. "Wir sind ein Idealbeispiel von Stadt und Land", erklärt auch Stadtchef Stefan Schmuckenschlager (ÖVP). Mit sechs Katastralgemeinden sei Klosterneuburg eine gemeinsame Region. Und die sei sowohl urban, als auch ländlich. "Wir sind ein Winzerort, aber historisch waren wir immer schon aufgewertet als Garnisons- und Residenzstadt." Mit dem Umzug werde die Region sowie die Wissenschaftsachse von Krems über Tulln, Klosterneuburg und Wr. Neustadt gestärkt, ist der Bürgermeister überzeugt.
Überhaupt: Der Umzug bringe Abgaben, mit denen strukturschwache Regionen unterstützt werden können. Ganz im Sinne des Masterplans. "Ich glaube nicht, dass Wien den Breitbandausbau zahlt", ätzt der Stadtchef.
Auch viele Bewohner meinen, dass das Umweltbundesamt ein Gewinn für die Stadt ist. Mit dem Baumax-Konkurs seien Arbeitsplätze verloren gegangen, auch die Verlegung der BH nach Tulln störte viele. "Alles, was Niederösterreich bekommt, ist gut", sagt Johannes Hauser, Filialleiter der Fleischerei Berger. Manche Probleme seien in Klosterneuburg nicht anders als in kleinen Orten. "Auch hier haben Geschäfte zugesperrt."
Doch es gibt auch Kritiker. "Was heißt ländlicher Raum? Wir picken doch eh an Wien", poltert Dieter G. "Wenn man was fürs Land tun will, muss man ins Waldviertel gehen. Der Umzug ist rausgeschmissenes Geld."
KURIER: Zählt Klosterneuburg zum ländlichen Raum? Gerlind Weber:Klosterneuburg ist zur wirtschaftsstarken Metropolregion Wien zu zählen. Es ist so ein "rurban" geprägter Lebensraum. Ein Mischtyp: Nicht mehr eine typisch ländliche Kleinstadt ,also rural, sondern es ist etwa durch die Wohnhausanlagen und die Zusammensetzung der Bevölkerung mittelstädtisch geprägt, also urban. Beim Dezentralisieren von Bundesbehörden ist der Vater des Gedanken aber wirtschaftsschwache Landregionen zu stärken. Klosterneuburg leidet seit Jahrzehnten eher unter einem zu starken Wachstumsdruck, der sich in Verkehrsbelastung und Landschaftsschwund ausdrückt.
Was hat der geplante Umzug für Folgen?
Auf kurze Sicht ist mit zusätzlichem Verkehrsaufkommen zu rechnen. Das Tröstliche für die zukünftigen Arbeitspendler aus Wien wird sein, dass sie antizyklisch unterwegs sein werden. Kurzfristig wird sich auch die lokale Wirtschaft von den Mitarbeitern des Umweltbundesamtes Vorteile erhoffen können. Auf längere Sicht wird ein zusätzlicher Druck auf den schon angespannten Wohnungsmarkt zu erwarten sein. Für einschlägig ausgebildete Klosterneuburger entsteht in Zukunft gewissermaßen ein attraktiver Arbeitgeber "vor der Haustüre".
Kann eine Dezentralisierung mit Umzügen in strukturschwache Regionen funktionieren?
Nur, wenn dieser Schritt in angemessenem Maßstab geschieht bzw. in Teilschritte zerlegt wird. In strukturschwachen Regionen fehlen qualifizierte Menschen vor Ort, während die aktuell in Wien Beschäftigten einer Bundesbehörde sich eher gegen die Mitübersiedlung aufs Land wehren werden.
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