Kindesabnahmen großteils ohne Prüfung der Gerichte
Starke Worte fand die Salzburger Historikerin Ingrid Bauer am vergangenen Freitag im Wiener Volkskundemuseum. Sie sprach im Rahmen eines Symposions über „Jugendfürsorge und Gewalt“ über die Aushebelung des Rechts bei Kindesabnahmen durch die Jugendämter.
Im Rahmen ihrer Forschungen über die Salzburger Fürsorge-Praxis bis in die 1970er-Jahre kam sie zum Schluss, dass die Pflegschaftsgerichte die Entscheidungen des Jugendamtes ohne Überprüfungen „ungeschaut genehmigt und durchgewunken haben“. „Die Einbeziehung von Gerichten hat nur den Anschein der Rechtsstaatlichkeit gehabt.“
Machtstruktur
Rechtsanwälte, die Eltern in Streitigkeiten mit der Jugendwohlfahrt vertreten, beklagen auch heute noch die durchaus übliche Praxis. Im Zuge der Diskussion meldete sich die Wiener Anwältin Eva Plaz zu Wort, die ein ehemaliges Heimkind vertritt. Die Vorwürfe des 18-jährigen Wieners betreffen sadistische Handlungen in einem niederösterreichischen Heim aus dem Jahr 2008. Plaz: „Noch immer haben es Betroffene mit einer monolithischen Machtstruktur zu tun, die Kontrolle funktioniert auch heute nicht.“
Mangelnde Kontrolle sprach bei der Tagung auch Hemma Mayrhofer vom Institut für Rechts- und Kriminalpsychologie an. Sie erforschte Hintergründe zum Skandalheim Wilhelminenberg. „Es gab ein Kontrollversagen. Die Berichte der Erzieherinnen über die Kinder waren reine Formsache.“ Niemand sei auf die Bedürfnisse der Schutzbedürftigen eingegangen.
Der Wiener Sozialhistoriker Reinhard Sieder beleuchtete die Entwicklung der Fürsorge-Erziehung in Wien und stieß dabei auf eine revolutionäres, von August Aichhorn entworfenes, psychoanalytisches Konzept. Doch auch schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg habe die Stadt Wien die Reformvorschläge abgelehnt. Erst in den 1970er-Jahren seien sie zaghaft wieder entdeckt worden. Sein Fazit: „Es setzte sich der Begriff der schuldhaften Verwahrlosung durch.“ Kinder wurden quasi vom Fürsorge-Regime für ihre Ängste und das Erziehungsversagen ihrer Eltern selbst verantwortlich gemacht.
Nicht nur die Wissenschaft beschäftigt sich mit dem Thema Kinderheime (siehe links). Mittlerweile ist der Heimskandal auch in der Kunst angekommen.
Junge Künstlerinnen und Künstler der Kunstschule Wien haben die Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Fürsorge-Institutionen beleuchtet. Ein besonderer Fokus wurde dabei auf das ehemalige Heim auf der Wiener Hohen Warte gelegt. Seit 5. Dezember ist die Ausstellung im Wiener Künstlerhaus geöffnet, die von dessen Geschäftsführer Peter Zawrel eröffnet wurde.
Neben den Studenten der Kunstschule Wien wurden auch ehemalige Heimkinder, die Kunstwerke geschaffen haben, in die Ausstellung einbezogen. So sind neben den Fotoarbeiten und Installationen der Kunststudenten auch Gemälde, Zeichnungen und Gedichte ehemaliger Zöglinge ausgestellt. Gezeigt werden Werke von Isabel Fröschl, David Kurz, Helmut Kurz-Goldenstein, Brigitte Lunzer-Rieder, Helmut Oberhauser, Michaela Putz, Peter Ruzsicska, Florian Steiner und Michael Tfirst.
Die Ausstellung „Krieg gegen Kinder“ ist bis 5. Jänner im Wiener Künstlerhaus zu sehen. Eintritt frei.
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