Das gefährliche Ende der Lenkstange

Rund 4500 Kinder verletzen sich jährlich bei Radunfällen.
Ungeschützte Lenker können die kleinen Radfahrer bei Stürzen schwer verletzen.

Vier schwerverletzte Kinder binnen weniger Tage im Krankenhaus Klagenfurt – und "schuld" daran waren die ungesicherten Lenkstangen ihrer Fahrräder. "Bauchdeckenzerreißungen, Milzrisse, Bauchspeicheldrüsenprellungen oder stumpfe Bauchtraumen sind nur einige Folgen", sagt Günter Fasching, Primar der Klagenfurter Kinder- und Jugendchirurgie (siehe Interview unten). Einige der kleinen Patienten mussten tagelang auf der Kinderintensivstation betreut werden.

Das gefährliche Ende der Lenkstange
boy racing on a green bike
Bei den vier Unfällen waren die sogenannten Sicherheitslenkergriffe nicht vorhanden. Dadurch konnte sich das ungeschützte Stahlrohr in den Bauch der Kinder bohren.

Wer trägt dafür die Verantwortung? Im Prinzip die Erziehungsberechtigten. Denn der Gesetzgeber habe alle Vorkehrungen getroffen, sagt Martin Winkelbauer vom Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV). "Es steht in der Straßenverkehrsordnung, dass die Fahrräder etwa der Größe des Benutzers und den Anforderungen der Produktsicherheitsbestimmungen entsprechen müssen."

Genormt

Zusätzliches gebe die ÖNORM EN-14765 Richtlinie vor. "Da gibt es eine eigene Norm für Kinderfahrräder – das sind Fahrräder von einer maximalen Sattelhöhe von 435 mm bis 635 mm", erklärt Alexandra Kühnelt-Leddihn vom KfV. In Punkt 4.8.2.1 heißt es: "Die Lenkergriffe müssen aus einem nachgiebigen Werkstoff hergestellt sein und müssen vergrößerte und geschlossene Enden von mindestens 40 mm Durchmesser aufweisen." Bei neuen Kinderrädern sind die Sicherheitsgriffe durchwegs vorhanden, wie ein Lokalaugenschein in Sportgeschäften zeigte.

Doch könne die Schutzkappe durch sorglosen Umgang oder langjährigen Gebrauch brechen und das Rohr freilegen, sagt Winkelbauer vom KfV.

Willi Kasyk von der "Radwerkstatt" in Wien: "Wir raten unseren Kunden regelmäßig, ältere Griffe auszutauschen. Ein Paar kostet fünf Euro." Um wenig Geld viel Sicherheit. Kasyk befindet die meisten Kinderfahrräder als zu schwer für ihre Lenker. "Viele sind überdimensioniert. Mit einem Acht-Kilo-Rad muss sich ein Kind mit 15 Kilo ordentlich anstrengen."

KURIER: War das eine besondere Häufung oder ist diese Vielzahl an Unfällen normal?
Fasching: Wir kriegen das ganze Jahr über Kinder mit Fahrradunfällen herein, das sind Brüche, Kopfverletzungen, Abschürfungen. Aber immer wieder sind Kinder dabei, bei denen sich der Lenker in den Bauch gebohrt hat. Jetzt haben wir eine Serie gehabt – innerhalb von zehn Tagen vier Fälle, drei Kinder mussten auf die Intensivstation.

Was ist das Problem an dieser Art von Unfällen?
Bei Stürzen stellt sich das Ende des Lenkers quer, der Griff drückt in den Bauchraum. Wir sehen da direkt den Abdruck vom Lenker auf der Bauchdecke. Das kann zu Milzrissen führen, zum Zerreißen der Bauchdecke, Prellungen der Bauchspeicheldrüse. Das sind lebensbedrohliche Verletzungen.

Warum haben solche Unfälle so schwere Folgen?
Das liegt an der kleinen Oberfläche des Lenkers, die ganze Energie wird an einem Punkt gefangen. Man muss sich das so vorstellen: Wenn man mit einem Finger fest in den Bauch bohrt, dann wird die ganze Kraft auf diesen einen Punkt übertragen und wirkt nach innen. Mit der flachen Hand auf den Bauch zu schlagen tut im Vergleich dazu weniger weh, weil die Fläche größer ist.

Wie ließe sich das verhindern?
Man soll darauf achten, dass die Lenker breiter sind und Aufsätze aus Gummi haben, der ein bisschen nachgeben kann.

Etwa drei Prozent aller Kinderunfälle, die in Österreichs Spitälern enden, sind aufs Radfahren zurückzuführen. Das entspricht im statistischen Mittel 4000 bis 4500 Fahrradunfällen mit Kindern pro Jahr. Zwei Drittel der Opfer sind Buben. 30 Prozent der Verletzungen betreffen den Kopf. Bei der Altersgruppe der Drei- bis Fünfjährigen ist die Zahl der Kopfverletzungen mit 62 Prozent deutlich höher, wie Peter Spitzer Grazer vom Verein „Große schützen Kleine“ erklärt.

Hier scheint es eine Gesetzeslücke zu geben. Denn für Kinder bis zwölf gilt die Helmpflicht. Da Fahrräder mit einem Felgendurchmesser von weniger als 30 cm als Spielzeug und nicht als Fahrrad gelten, gilt die Tragepflicht von Helmen hier möglicherweise nicht. Auch Juristen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit sind sich unsicher: „Die Pflicht gilt bei Kinderspielzeug eher nicht.“

Überraschend ist auch ein Detail, das Peter Spitzer schildert: Ab zwölf Jahren sinkt die Helmquote deutlich. Helme gelten beim Radfahren als wenig „cool“ – im Gegensatz zu Skihelmen, die voll im Trend liegen.

Kommentare