Jugendliche im Häfen: Reform drängt

Symbolbild
Haftzahlen steigen. Alternativen werden zu wenig genutzt.

Es war offenbar nur ein kurzes Zwischenhoch, oder besser: ein Zwischentief. Nämlich ein Tiefststand der Zahl an Jugendlichen im Gefängnis. Im Frühjahr 2013 sorgte die bekannt gewordene Vergewaltigung eines 14-Jährigen in der U-Haft für Empörung. Und für eine Sensibilisierung der Richter, die mit dem Einsperren zögerlicher umgingen. Die Zahl von österreichweit 140 Jugendlichen hinter Gittern, davon 69 in U-Haft, sank auf insgesamt 99, davon 34 in U-Haft.

Das Justizministerium suchte nach Alternativen: Das war die Geburtsstunde der von Sozialarbeitern des Vereins Neustart organisierten Sozialnetzkonferenzen zur Vermeidung der U-Haft und der betreuten Wohngruppen für jugendliche Straftäter.

Und was hat das gebracht? Der Höchststand an jungen Häftlingen ist fast wieder erreicht. Aktuell befinden sich 129 Jugendliche hinter Gittern, davon 70 in U-Haft. Allein in der Justizanstalt Josefstadt gab es im ersten Quartal 2015 einen Rekord-Neuzugang von 83 Jugendlichen (die später aufgeteilt wurden).

Leerstand

Die betreuten Wohngruppen, in denen ohne Bewachung und Gitter auf die Einhaltung eines speziell erstellten Tagesplanes und anderer Regeln geachtet wird, stehen mehr oder weniger leer. Ein Mädchen und zwei Burschen wurden seit 1. Jänner dieses Jahres dort untergebracht, obwohl es ausreichend Kapazität gäbe. Das Mädchen hat sich gut eingelebt, ein Bursche wurde rückfällig, der andere ist kurz nach dem Einzug weggelaufen und untergetaucht.

Auch die Sozialnetzkonferenzen wurden nicht so häufig praktiziert wie erwartet. Zwar gab es heuer in ganz Österreich 60 Konferenzen, in Wien seit Mai aber nur eine einzige. Aus dem Wiener Landesgericht heißt es, dass massive Straftaten von vorbestraften Jugendlichen (wie etwa die auf brutale Raubüberfälle spezialisierte sogenannte Goldenbergbande) keine Alternativen zur Haft zuließen.

Dabei ist die Sozialnetzkonferenz ein Erfolgsmodell: 55 Prozent aller dazu eingeladenen Jugendlichen ersparten sich (und dem Steuerzahler) damit die U-Haft. 91 Prozent von diesen gerieten nicht mehr auf Abwege, neun Prozent wurden neuerlich straffällig und mussten doch ins Gefängnis.

Klaus Priechenfried von Neustart schildert ein positives Beispiel. Nach dem Handy-Raub eines 16-jährigen Tschetschenen wandte sich dessen Vater von dem Buben ab: "Das ist nicht mehr mein Sohn." Der kam in U-Haft, ein Richter teilte ihn sofort einer Sozialnetzkonferenz zu. Der Bub wurde nach seinem "sozialen Netz" gefragt und nannte Freunde, Verwandte, Lehrer, Trainer. Priechenfried: "Der war dann ganz überrascht, wie viel Leute sich für ihn Zeit nahmen und in den Häfen kamen, um sich über ihn Gedanken zu machen." Der Vater vollzog einen Schwenk und gestand ein, dass er sich bisher zu wenig um den Buben gekümmert hatte. Gemeinsam wurde ein Ausstiegsplan erstellt und dem Richter vorgelegt, dieser hob die U-Haft auf, der 16-Jährige bekam eine bedingte Strafe und ist heute sozial integriert.

Priechenfried glaubt, dass die Entscheidung über die U-Haft das weitere Schicksal des Jugendlichen vorherbestimmt. Wenn er auf freiem Fuß zum Prozess kommt, die Schule wieder angefangen oder schon einen Lehrplatz gefunden hat und auf gutem Weg ist, tendiere der Richter dazu, ihm eine bedingte Strafe zu geben. Umgekehrt: "Wenn der schon zehn Wochen in U-Haft sitzt, neigt der Richter dazu, zumindest die zehn Wochen unbedingt zu geben und vielleicht noch etwas dazu."

Ausnahmsweise

Was laut Neustart-Sprecher Andreas Zembaty dringend fehlt, ist eine gesetzliche Verpflichtung, Alternativen zur Haft anzuwenden. Justizminister Wolfgang Brandstetter hat gerade eine Reform zur Begutachtung im Parlament eingebracht, sie soll mit 1. 1. 2016 in Kraft treten (siehe unten). Die Richter und Staatsanwälte müssen ab dann explizit begründen, warum sie in Einzelfällen ausnahmsweise die U-Haft beantragen bzw. verhängen.

Laut Justizminister Wolfgang Brandstetter dürfe man nicht davon ausgehen, „dass jugendliche und heranwachsende Straftäter ein Leben lang kriminell sind. Ganz im Gegenteil: Ihr Verhalten ist noch stark beeinflussbar, und so stehen die Chancen eines Neubeginns in dieser Altersgruppe noch besonders hoch, diese müssen wir nutzen.“

Das neue Jugendgerichtsgesetz (für 14- bis 18-Jährige) wird daher ausgedehnt und bis zum 21. Geburtstag gelten. Das betrifft vor allem die niedrigeren Strafrahmen – z. B. statt lebenslanger Haft maximal 15 Jahre. Die Sozialnetzkonferenz zur Vermeidung bzw. raschen Beendigung der U-Haft oder Strafhaft wird gesetzlich verankert.
Die U-Haft darf künftig nicht mehr verhängt werden, wenn die Jugendstraftat in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fällt (Diebstahl, Sachbeschädigung, leichte Körperverletzung), ansonsten soll sie der Ausnahmefall sein.

Die Haftstrafe soll verstärkt durch Diversion (gemeinnützige Leistungen, Tatausgleich) ersetzt werden. Ist sie unvermeidbar, kann sie für Ausbildungszwecke drei Jahre aufgeschoben werden.

Der Bund muss künftig die Kosten für den (vom Richter angeordneten) Aufenthalt in sozialtherapeutischen Wohneinrichtungen übernehmen.

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