"Habe wieder Lebensträume"

Hohe Aktenberge nach 18 Jahren Asylverfahren
18 Jahre lang musste Dulal d’Costa zittern, ob er abgeschoben wird. Nun bekam er das humanitäre Bleiberecht.

18 Jahre in Unsicherheit leben. Stets die Angst im Nacken, abgeschoben zu werden. Wie macht man das? Dulal d’Costa (38) kennt die Antwort. 18 Jahre dauerte das Asylverfahren des Flüchtlings aus Bangladesch. Diese Woche wurde ihm das humanitäre Bleiberecht gewährt. Im KURIER-Interview erzählen der Zeitungsverkäufer und sein Anwalt Andreas Lepschi über den Kampf, in Österreich leben zu dürfen.

KURIER: Herr d’Costa, wie war der Moment, als Sie den positiven Bescheid in Händen hielten?Dulal d'Costa: Das ist, als wenn man das Siegestor bei einem Match schießt. Man registriert es zwar, aber was es wirklich bedeutet, realisiert man erst Tage später. So geht es mir jetzt. Jeden Tag entdecke ich jetzt eine neue Freiheit und schön langsam setzt sich das Gefühl durch, dass ich es nun geschafft habe, in Österreich bleiben zu dürfen.

Herr Lepschi, gilt das Bleiberecht nun als unbefristet? Oder gibt es noch ein Rest-Risiko, dass es irgendwann aufgehoben werden könnte?

Andreas Lepschi: Im Prinzip gibt es da keine Risiken mehr. In den nächsten fünf Jahren wird das humanitäre Bleiberecht Jahr für Jahr für Herrn d’Costa verlängert. In diesen Jahren muss Herr d’Costa ein Einkommen nachweisen. Das richtet sich nach dem ASVG-Grundsatz von 900 Euro monatlich, wobei eine kurzfristige Arbeitslosigkeit schon berücksichtigt wird. Danach wird es unbefristet ausgestellt.

Wie haben Sie in den ersten Jahren gelebt? Waren Sie in Traiskirchen?

D’Costa: Ich habe in den 18 Jahren mehrere Stufen des Asylgesetzes erlebt. Anfangs gab es nicht die Identitätskarte mit Foto, sondern man hatte als Asylwerber nur einen Zettel mit einer Bestätigung bei sich. Bei jeder Kontrolle musste man den Polizisten auf das Wachzimmer begleiten. Das dauerte Minimum eine Stunde, bis meine Identität überprüft war. Traiskirchen, glaube ich, gab es damals noch nicht. Anfangs bin ich bei anderen Zeitungsverkäufern aus Bangladesch untergekommen.

Haben Sie in den letzten 18 Jahren Ihre Familie gesehen?

D’Costa: Nein, meine Mutter und meine Geschwister habe ich seit 18 Jahren nicht mehr getroffen. Oft konnten wir nicht einmal telefonieren, weil die Telefonkosten früher sehr hoch waren. Das ist auch ein großer Wunsch von mir, meine Familie wieder zu sehen. Jetzt können wir planen, ob wir vielleicht irgendwann ein Treffen in Indien organisieren können.

Wie schwer ist das Leben als Asylwerber?

D’Costa: Sehr schwer, egal ob man eine Wohnung sucht, ein Handy anmelden oder ein Konto eröffnen möchte. Die Antwort ist stets: Nein. Jeden Tag bin ich mit den Münzen, die ich als Zeitungsverkäufer verdient habe, zur Bank gegangen. Die Bankangestellte warf meine Münzen in den Zählautomat, gab mir dafür Papiergeld. Aber ein normales Bankkonto zu eröffnen, war nicht möglich. Nachdem ich drei Jahre lang jeden Tag meine Münzen zur Bank schleppte, nahm mich die Bankangestellte zur Seite und meinte: Jetzt eröffnen wir ein Konto. Auch bei der Wohnung hatte ich Menschen, die sich für mich eingesetzt haben. Einfach war nichts.

Wenn man jederzeit abgeschoben werden kann, hat man dann noch Lebensträume?

D’Costa: Ich traute mich nicht, Pläne zu machen, die waren für mich gestorben. Denn der Kampf ums Überleben dominiert das Leben. Wenn ich nicht weiß, ob ich in Österreich bleiben darf, dann will man auch keine Familie gründen. Was passiert dann mit den Kindern? Jetzt habe ich wieder Lebensträume, auch wenn es nicht einfach ist. Denn ich habe keine spezielle Ausbildung machen können. Als ich aus Bangladesch floh, war ich gerade am College. Ich möchte einen Kiosk eröffnen und ein paar Reisen machen, wenn ich es mir leisten kann.

Sie arbeiten in einem Pensionistenheim als Zeitungsverkäufer. Wie haben die Heimbewohner auf Ihre Asyl-Odyssee reagiert?

D’Costa: Die Bewohner sind für mich zu meiner Familie geworden. Im Pensionistenheim haben sie mich jeden Tag gefragt: Und, hast du schon einen positiven Bescheid bekommen?

Lepschi: Die Bewohner waren sogar bereit, als Zeugen zum Asylgerichtshof zu kommen. Sie wollten eine Delegation schicken, dass konnten wir abwehren. Dann haben die Pensionisten eine Unterschriftenliste für Herrn d’Costa gestartet.

Herr Lepschi, warum hat das Verfahren so lange gedauert?Lepschi: Weil hier einige Pannen passiert sind. Der 1996 gestellte Asylantrag wurde noch im gleichen Jahr abgelehnt. Doch danach dauerte es drei Jahre bis zur nächsten Entscheidung – und nach dieser, sowie einer neuerlichen Berufung, sieben Jahre bis zu einer weiteren. Dabei unterlief dem Richter ein Fehler. Er kopierte Teile eines anderen Akts ins Schriftstück. Erst 2010 kam die Sache zurück zum Asylgerichtshof, der sich bis heuer Zeit ließ. Wenn ein Richter und ein Beamter wissen, was diese Fehler für den Betroffenen bedeuten, dann müsste man auch einmal den Mut haben, einen Fehler zu korrigiert und nicht zu warten, bis das Obergericht reagiert.

Eine Asyl-Odyssee

Leben in der Warteschleife Der Anwalt von Dulal d’Costa ist froh, den Fall seines Mandanten erst vor drei Jahren übernommen zu haben. „Ob ich 18 Jahre lang durchgehalten hätte, weiß ich nicht“, meint Asylrechts-Experte Andreas Lepschi.

Bedroht Dulal d’Costa war 20 Jahre alt, als er aus seiner Heimat Bangladesch nach Europa floh. Als Mitglied der Studentenorganisation der konservativen, anti- kommunistischen Bangladesh Nationalist Party (BNP) sah er sich massiven Drohungen ausgesetzt. Einen Monat war er auf der Flucht, sein ursprüngliches Ziel war Deutschland. Dann landete er in Österreich. Das 18 Jahre dauernde Verfahren ist ein absoluter Rekord.

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