Prozess gegen Identitäre in Graz: "Ihre Motivation ist auf Hass ausgerichtet"
Der Prozess gegen 17 Mitglieder und Sympathisanten der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) hat am Mittwoch im Grazer Straflandesgericht begonnen. Der Staatsanwalt ermahnte die Angeklagten fast: "Sie können sein, was Sie wollen, aber Sie dürfen in Österreich nicht hetzen." Der Verteidiger bezeichnete den Verhetzungsvorwurf als "völlig daneben".
Ein Großteil der 17 Angeklagten aus fast allen Bundesländern im Alter zwischen 20 und 35 Jahren soll bereits 2012 an der Gründung des "Vereins zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität" beteiligt gewesen sein. Angeklagt ist nun unter anderem die Verbreitung von "radikaler, fremden- und islamfeindlicher Ideologie" sowie der Verkauf von Propagandamaterial über das Internet und den eigens dafür eingerichteten Versandhandel. Die 16 Männer und eine Frau müssen sich im bis Ende Juli anberaumten Prozess wegen des Vorwurfs der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verantworten, teilweise auch wegen Verhetzung und Sachbeschädigung.
Der Staatsanwalt leitete mit einem kurzen geschichtlichen Abriss der Entstehung der IBÖ ein, betonte dabei aber stets, dass abgesehen von Stammtischen und Aktionen auch ein reger Merchandising-Betrieb aufgezogen wurde. Besonders ab 2015 sei es zu erhöhten Einnahmen und Umsatzsteigerungen gekommen, wobei die finanzielle Gebarung in einem eigenen Verfahren behandelt werde.
"Verhetzerisches Milieu"
Neben den medial bekannten Aktionen auf dem Dach des Grünen Parteihauses in Graz, dem Dach der türkischen Vertretung in Wien und in der Uni Klagenfurt sei die IBÖ laut dem Ankläger schon von Anfang an mit Aktionen "in verhetzerisches Milieu" eingetaucht. Die IBÖ wolle mit Absicht Menschen wie Ausländer, Muslime und Flüchtlinge verletzten, sie beschimpfen und in der öffentlichen Meinung herabsetzen, so der Staatsanwalt. Durch ständiges Präsentieren etwa über Youtube werde immer mehr aufgestachelt. Das wiederum kurble den Umsatz des Merchandise-Vertriebes an. Neben den bekannten Aktionen beschrieb der Staatsanwalt auch andere Fälle: In der Oststeiermark wurde auf die Tür eines Gastlokals zweier türkischstämmiger Familien, die teils seit 20 Jahren in Österreich leben, Plakate mit IBÖ-Parolen geklebt: "Die Leute haben nichts getan, arbeiten, zahlen Steuern. Wo kann man die Plakate kaufen? Im Shop von Martin und Patrick Lenart." Die beiden Angeklagten gelten als die Bundesleitung der IBÖ. Am Ende seines Plädoyers richtete er seine Worte direkt an die Beschuldigten: "Die Frage der Zuwanderung kann nicht durch Hetze gelöst werden. Sie können in Österreich links, linkslinks, rechts, östlich oder westlich sein, das ist egal, aber Sie dürfen nicht hetzen. Ihre Motivation ist auf Hass ausgerichtet", stellte der Staatsanwalt fest.
Der Verteidiger betonte in seinen Ausführungen zu Beginn das "hohe Gut der Meinungsfreiheit". "Sie verfolgen auch Islamisten", sagte er zum Staatsanwalt, "aber ich verstehe es nicht, dass ein Pickerl am Kebap-Laden das einzige ist, wo es konkret um Muslime geht, und das ordnen Sie der Identitären Bewegung zu. Wer es gepickt hat, wissen Sie nicht". Es beginne mit der Identitären-Aktion am Dach der Grünen, sagte der Advokat: "Warum das gewählt wurde, war für jedermann nachvollziehbar. Die Grünen sind nicht schuld an den offenen Grenzen, aber die Grüne Jugend hat sich in Internet für offene Grenzen starkgemacht." Die Identitäre Bewegung sei anderer Meinung, deshalb habe man ein Transparent geschrieben mit dem Text "Islamisierung tötet". Deswegen zu unterstellen, jeder Muslim müsse ein Mörder sein, sei eine Verdrehung der Fakten. Die Formulierung sei eine Chiffre wie andere auch, selbst der Papst habe geschrieben "Wirtschaft tötet".
Aus der Mitte der Gesellschaft
Die Beschuldigten seien aus der Mitte der Gesellschaft, "EDV-Techniker, Studenten, Arbeitslose, Handwerker", beschrieb der Verteidiger seine Klienten. Manche hätten Angst vor Terroranschlägen, vor diesen Dingen dürfe man auch aktionistisch warnen, ohne dass einem unterstellt werde, zum Hass aufrufen. Die Kritik bei der Aktion am Dach der türkischen Vertretung in Wien sei einwandfrei gegen den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan gerichtet gewesen, Kritik, die in ähnlicher Form auch von der Politik wie etwa Kanzler Sebastian Kurz geäußert werde. "Der Vorwurf der Hetze ist völlig daneben", behauptete der Verteidiger. Alle Verhetzungsvorwürfe seien an den Haaren herbeigezogen, man wolle der IBÖ einen Strick drehen und sie mundtot machen, sagte der Anwalt.
Nach dem Plädoyer des Verteidigers wurden Videos von den diversen Aktionen der IBÖ gezeigt. Bei den Angeklagten im Saal lösten die Bilder teils Kopfschütteln aus. Manche rückten auf ihren Sesseln hin und her, einer grinste, andere blickten zu Boden.
Sellner rechtfertigt sich
Identitären Österreich-Mitbegründer Martin Sellner sagte in der Befragung durch den Richter, er habe 2012 die IBÖ mit u.a. Patrick Lenart ins Leben gerufen. Sie hätten die Besetzung der Baustelle einer Moschee in Frankreich gesehen und die Aktion habe ihnen gefallen. Die IBÖ habe laut Sellner immer betont "gewaltfrei gehandelt". Eine patriotische NGO habe zu dem Zeitpunkt in Österreich gefehlt, sagte Sellner. Es sei um die Gründung einer NGO nach dem Vorbild von Greenpeace gegangen. 2015 habe sich die Debatte über die Islamisierung zugespitzt, zuvor schon habe es eine konzeptlose Einwanderungspolitik und "keine offene und freie Debatte über diese Frage gegeben", sagte Sellner zu den Bewegungsgründen seines Handelns. "Dann verliert man Bankkonten und bekommt das Auto angezündet, wird dämonisiert und kriminalisiert. Von uns ist nie Gewalt ausgegangen, unsere Überlegung war, wie man die Debatte starten kann." Der Richter sprach Sellner auf seinen Kontakt zu rechtsradikalen Personen wie etwa Gottfried Küssel an, mit dem er auf einem Foto zu sehen ist. "Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich in meiner Jugend in diesen Kreisen war, aber ich habe mich davon gelöst", beteuerte Sellner. "Aber das Foto stammt aus 2010 oder 2011. Das ist knapp vor der Gründung der IBÖ", warf der Richter ein. Sellner blieb dabei, dass er nun nichts mehr damit zu tun habe.
Schweinekopf-Aktion
Dass ursprünglich die in Bau befindliche Moschee des Islamischen Kulturzentrums besetzt werden sollte, sei falsch, so der Angeklagte. Mit der medial bekannt gewordenen Schweinekopf-Aktion vom Mai 2012 habe die IBÖ nichts zu tun: "Das war uns zu primitiv und man kann damit Menschen in ihrer religiösen Würde herabsetzen", sagte der Wiener Student zum Richter.
Nach der Mittagspause war der erste Verhandlungstag vor allem von einer teils schon fast wissenschaftlichen Diskussion zwischen dem Staatsanwalt und Martin Sellner geprägt, wobei es um Begriffsdefinitionen wie Assimilierung, "Überfremdung" und "Remigration" ging. Der Ankläger versuchte außerdem die wahren Hintergründe zu erforschen, weshalb Sellner sich von Küssel abgewandt und die IBÖ gegründet hatte. Thema war auch eine konkrete Formulierung in veröffentlichten Propagandafilmen der IBÖ im Internet: "Experten sehen die Terrorgefahr so hoch wie nie, trotzdem wird in Graz eine Moschee gebaut." Der Ankläger fragte: "Was hat denn Terrorismus mit der Moschee zu tun?" Der Beschuldigte wich aus und sagte, dass seiner Meinung nach in der Aussage nicht alle Muslime als Terroristen bezeichnet werden.
Der Prozess wird am Freitag mit der Befragung von Martin Sellner durch seinen Anwalt fortgesetzt. Die Verhandlung wurde auf zumindest 19 Tage anberaumt und findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Am Auftakttag gab es für die Sicherheitskräfte aber nicht viel zu tun, auch war der Saal nicht ganz gefüllt.
Kommentare