Ex-Geisel Bleckmann: "Das hat uns am Ende das Leben gerettet"

Ein älterer Mann mit blauem Hemd und kariertem Sakko gestikuliert in einem Wohnzimmer.
Zwei Österreicher sollen weiterhin Geiseln der Hamas sein. Einer, der selbst 54 Tage gefangen war, ist Ingo Bleckmann. Ein Telefonat.

Vier Mal läutet es, dann ertönt laut und deutlich ein Wort: "Bleckmann". 

Ingo Bleckmann, ein Name, der im Jahr 2003 schlagartig einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden sollte. Damals, als Österreichs Bundespräsident noch Thomas Klestil hieß und Bleckmann mit neun weiteren Österreichern (zwei Tiroler, der Rest Salzburger) sechs Deutschen und einem Schweden in der algerischen Wüste entführt wurde.

54 Tage blieb er mit seinem Sohn in Gefangenschaft.

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Wie der 80-Jährige heute auf diese Zeit zurückblickt und was den zehn Geiseln aus Österreich damals wohl das Leben gerettet hat, lesen sie im Nachfolgenden.

Bleckmanns Erlebnisse rücken vor den aktuellen Ereignissen in Israel erneut in den Fokus. Zwei österreich-israelische Doppelstaatsbürger gelten nach dem Großangriff der Terrororganisation Hamas auf Israel noch immer als vermisst. 

Es besteht der Verdacht, dass sie als Geiseln von der Hamas in den Gazastreifen verschleppt wurden. Unter ihnen auch der 38-jährige Tal Shoam. Für einen weiteren Mann mit Doppelstaatsbürgerschaft kam jede Hilfe zu spät. Auch zwei weitere Österreicher wurden für tot erklärt.

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"Für die Angehörigen ist diese Situation ein Wahnsinn. Keine Nachricht von ihren Lieben zu haben. Nicht zu wissen, ob sie leben oder nicht", sagt Bleckmann. Wie Experten rechnet er selbst mit einer unmittelbar bevorstehenden Bodenoffensive der Israelis im Gaza-Streifen. "Dann werden viele Unschuldige hineingezogen. Unvorstellbar."

Gefangener eines Al-Kaida-Vorläufers

Bleckmann selbst geriet vor 20 Jahren in die Fänge der "Salafisten-Gruppe für Predigt und Kampf" (GSPC) - eine Vorläuferorganisation der islamistischen Terror-Gruppe Al-Kaida im Maghreb (AQMI).

54 Tage lang. "Der Durchbruch, davon bin ich bis heute überzeugt, erfolgte an Tag 10. Da gelang es mir mit den Geiselnehmern eine Begegnung zu schaffen", wie es der Salzburger formuliert. Gemeint sind Gespräche. Sechs bis acht Stunden täglich sollen sie von diesem Tag an dauern. 

Gespräche auf Augenhöhe

Über Religion, über die Beweggründe der Entführer. "Ich glaube, das hat uns am Ende das Leben gerettet." Es sei um Gespräche auf Augenhöhe gegangen. Falls sich die Österreicher im Gazastreifen tatsächlich in Geiselhaft befinden, sieht Bleckmann in diesem Kontakt für sie eine Art Ausweg. "Die Betroffenen können nichts machen, außer die Möglichkeit suchen, dass man sich menschlich näher kommt."

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Wegen diese Nähe wurde Bleckmann nach seiner Befreiung oft eine Art Stockholm-Syndrom vorgeworfen. Also jenes psychologische Phänomen, bei dem Menschen in Gefangenschaft eine Art Sympathie für die Täter entwickeln.

"Das hatte gar nichts damit zu tun. Die hätten keinen Schleimer gebraucht. Ich habe kein Verständnis für sie gewonnen. Die haben uns alle für Kreaturen gehalten, weil wir nicht zum Islam gehören", sagt Bleckmann.

Mehrere Männer sitzen an einem Tisch mit Mikrofonen bei einer Pressekonferenz.

Ein dunkler Geländewagen mit Gepäck auf dem Dach fährt durch eine Wüstenlandschaft.

Ein älterer Mann mit blauem Hemd und kariertem Sakko gestikuliert in einem Wohnzimmer.

Vom Mensch zum totalen Feind

Und nach einer Pause: "Fundamentalistische Gruppen, ob sie nun Hamas oder Al-Kaida, oder wie immer heißen, sehen Menschen nicht mehr als Menschen, sondern als totale Feinde. Es geht um eine radikale Verunmenschlichung."

Gewalt wurde den Entführten rund um Bleckmann nie angetan. Die Strapazen waren dennoch hoch, auch weil es wenig zu essen gab. Meist eine Art Grießbrei ohne Zucker sowie Salz, Datteln und gelegentlich Fladenbrot. 

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Wie Menschen so unmenschlich werden können, will man von Bleckmann wissen. "Diese Phänomen liegt wohl stark in der Erziehung - einer sehr radikalisierten Erziehung."

Am 13. Mai 2003 wurde Bleckmann durch das algerische Militär in einer blutigen Aktion schließlich befreit. Mehrere Geiselnehmer starben.

Entführer rief an, um sich zu entschuldigen

Es sollte allerdings nicht das letzte Mal sein, dass der Salzburger Kontakt zu seinen Entführern hatte.

Gut ein halbes Jahr später läutete das Telefon bei Bleckmann. "Ich habe abgehoben, so wie vorhin, und plötzlich war einer der Entführer am anderen Ende. Ich habe noch gesagt: Warum rufst du mich an? Und er hat sich entschuldigt, dass er mir und meiner Familie so viele Sorgen bereitet hat. Das war der menschliche Kontakt, von dem ich immer gesprochen habe."

Alte Wunden?

Bevor Bleckmann dieses Mal, 20 Jahre später, das Telefon aufhängt, ist es eine letzte Frage, die man ihm stellt: Ob die Bilder aus Israel alte Wunden aufreißen würden?

"Nein. Mein Leben hat sich danach positiv verändert. Ich habe meine Firma verkauft. Mit dem Ende der Entführung hat mein Leben wieder neu begonnen. Und dieses neue Leben genieße ich sehr. Aufwiederhören"

 

 

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