"Die Gewalt in den Gefängnissen ist enorm gestiegen"

Eine Hand schließt eine Zellentür mit einem Schlüssel auf.
Zu wenig Personal, Übergriffe von Insassen und Mangel an Hafträumen. Der Alltag für Justizwachebeamte soll immer schwieriger werden. Das Ministerium betont die gesetzten Maßnahmen.

Albin Simma ist seit 1985 bei der Justizwache tätig. Er ist auch Vorsitzender der Justizwachegewerkschaft. In all diesen Jahren hat er viele Höhen und Tiefen des Strafvollzuges mitbekommen und es ärgert ihn, dass er seit geraumer Zeit auf die immergleichen Themen aufmerksam macht, sich aber nichts ändert. Von einer “Riesen-Sauerei” spricht er sogar. “Die größten Probleme im Strafvollzug sind der Überbelag und der Personalmangel.” Auch der Rechnungshof kritisierte im März in zwei veröffentlichten Berichten die Haftbedingungen in den österreichischen Gefängnissen. 

“Und wir haben ein großes Ausländerproblem, das können wir nicht leugnen, vor allem in den Untersuchungsgefängnissen." Die Wiener Justizanstalt in der Josefstadt zeige es deutlich auf. “Ich weiß, dass das politisch nicht gerne gehört wird, aber das sind Fakten”, sagt Simma. Wenn er von “Ausländern” spricht, dann meine er Personen aus anderen EU-Ländern und auch aus Drittstaaten. “Die Gesellschaft spiegelt sich in den Gefängnissen wider und die Gewalt ist enorm gestiegen. Inhaftierte aus Drittländern haben zudem einen ganz anderen Umgang mit der uniformierten Staatsgewalt. Sie haben keine Achtung vor uns. Weibliche Kolleginnen werden in manchen Kulturen überhaupt nicht respektiert”, sagt Simma. 

Österreichweit sind derzeit insgesamt 9.508 Personen inhaftiert. Im Jahr 2023 gab es 158 Vorfälle, bei denen es zu einem Übergriff durch Insassen auf Strafvollzugsbedienstete gekommen ist und diese dabei verletzt wurden. Im Jahr 2024 waren es von Jänner bis April 2024 (die übrigen Daten werden derzeit noch ausgewertet) bisher 64 Vorfälle. “Diese Attacken sind gefährlich. Wir verbringen im Gegensatz zur Polizei 24 Stunden mit diesen Personen und müssen gewährleisten, dass sie verpflegt und medizinisch versorgt werden, Frischluft bekommen, Besuche erhalten und telefonieren können. Aufgrund des Platzmangels habe ich aber keine Möglichkeit, Insassen in andere Hafträume zu verlegen, wenn es Konflikte gibt und dann kracht es. Wir müssen das vor Ort regeln, andere beschützen und kriegen dabei etwas ab”, sagt Simma. 

Gerda Tuider, damals Leiterin der Personalabteilung im Strafvollzug, erklärte im Jahr 2021 im Magazin des Innenministeriums ‘Öffentliche Sicherheit’, dass die Justizwache einer erhöhten Gefährdung von Leib und Leben ausgesetzt sei. “Zudem ist unbestritten, dass durch die stete Zunahme psychisch auffälliger, zunehmend gewaltbereiter und substanzabhängiger Straftäter das Arbeiten in den Justizanstalten noch ein Stück weit gefährlicher geworden ist“, meinte sie. 

Das kann Simma nur bestätigen. “Das wird Ihnen auch jeder, der ehrlich ist, sagen. Die psychischen Auffälligkeiten der Insassen sind extrem angestiegen. Viele Personen sind bei uns aufgrund ihrer Gefährlichkeit in Haft, aber diese Menschen haben eigentlich in einem Gefängnis nichts zu suchen, sie gehören in medizinische Einrichtungen.” Solche Insassen müssten 24 Stunden am Tag per Video überwacht werden, “und das braucht enorme Ressourcen”. In der Justizanstalt Wiener Neustadt wären die fünf vorhandenen Videoüberwachungsräume permanent belegt. 

Den Gesamtzustand, mit Überbelag und Personalmangel, bezeichnet Simma als “unverantwortlich von der Politik”. Es sei doch klar gewesen, dass die 60er Jahrgänge jetzt alle in Pension gehen. Und es sei aus Sicht der Gewerkschaft zudem unumgänglich, dass die Gehälter der Justizwache angehoben werden. “Der Job muss attraktiver werden, wir brauchen dringend neue Leute.” 

Moderner und mehr Unterstützung 

Von Seiten des Justizministeriums weist man darauf hin, dass der systematisierte Belag weiterhin unverändert sei. “Die derzeitige bundesweite Belagsquote ist aktuell im Sinken begriffen”, heißt es. Den Justizanstalten würden jährlich Planstellen zugewiesen, die so bemessen wären, dass der gesetzliche Auftrag erfüllt werden könne. “In den letzten Jahren ist es überdies zu einer generellen Steigerung der Planstellen im Exekutivdienst und auch bei den eingesetzten Justizwachebediensteten gekommen.” Ein Blick auf den Rechnungshofbericht zeigt, dass Anfang 2023 die Planstellen im Strafvollzug zu 96 Prozent besetzt waren. Es fehlten aber umgerechnet immer noch mehr als 130 Vollzeitbeschäftigte. 

Man räumt aber ein, dass es im Bereich der Justizanstalten attraktive Arbeitsplätze braucht und dass dafür zeitgemäße Arbeitsbedingungen ausgestalten werden müssen. “Dies erfordert nicht nur modernere Dienstzeitpläne, an welchen derzeit im Rahmen des Projekts ‘Dienstplanoptimierung’ gearbeitet wird, sondern auch zusätzliche Unterstützung etwa durch Betriebskindergärten. Um die Sicherheit in den Anstalten zu erhöhen, wurde in den letzten Jahren verstärkt in Schutz- oder Sicherheitsausrüstung investiert. "Außerdem steht den Bediensteten psychologische Hilfe zur Verfügung und die Inanspruchnahme von Supervision wird gefördert.” 

Hinsichtlich unbesetzter Stellen im Strafvollzug würden die bisher getätigten Maßnahmen, wie etwa die gezielte Öffentlichkeitsarbeit samt verschiedener Kampagnen, fortgesetzt und intensiviert werden. Der Fokus liege auf dem Ausbau der Initiativen zur Rekrutierung von Berufsanfängern und Berufsanfängerinnen bei der Justizwache. Insbesondere auch zur Erhöhung des Anteils an Frauen und von Personen mit Migrationshintergrund. 

So betont man im Justizministerium, dass “bis dato zwei Recruiting-Officer implementiert wurden, die sich zielgerichtet der Thematik widmen. Der Start einer ressortweiten Werbekampagne ‘Berufe für Berufene’, die Installierung einer Arbeitsplattform zur Attraktivierung einer Tätigkeit im Straf- und Maßnahmenvollzug und die Durchführung von ‘Online-Recruiting-Days’ stehen auf der Tagesordnung und werden auch nachweislich gut angenommen.”

Fluchtgefahr und Übergriffe 

Laut Angaben des Ministeriums weist die Justizanstalt Wien-Josefstadt aktuell in Summe einen Besetzungsgrad im Bereich der Exekutive von 98,22 Prozent auf. Der derzeitige Insassenstand betrage 1.059 Personen, davon seien 349 österreichische Staatsbürger und 710 nicht-österreichische Staatsbürger, also knapp 70 Prozent. Weiter heißt es: “Erklärend ist hierzu festzuhalten, dass der Anteil nicht-österreichischer Insassen in der Untersuchungshaft höher ist als in der Strafhaft, weil der Haftgrund der Fluchtgefahr naturgemäß häufiger anzunehmen ist und in der Justizanstalt Josefstadt mehr als doppelt so viele Untersuchungsgefangene wie Strafgefangene angehalten werden.”

Man beschäftige sich mit dem Thema der Übergriffe auf die Justizwache. “Aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit kann das Zusammenleben unter inhaftierten Personen mit Spannungen beladen sein. Auch Änderungen der familiären Situation während einer Haft sowie der Ausgang von Verfahren können sich auf das Verhalten von inhaftierten Personen auswirken. Dem wirken wir präventiv entgegen, in dem zum Beispiel Gesprächsangebote im vertraulichen Setting angeboten und geschaffen werden. Eine Maßnahme in diesem Kontext ist auch das Angebot von Anti-Gewalttrainings. 

Um die Kommunikation mit Insassen zu verbessern, werden auch vermehrt Videodolmetsch-Möglichkeiten genutzt”, heißt es. Alle Kollegen und Kolleginnen aus sämtlichen Berufsgruppen würden gemeinsam mit den Insassen an der Resozialisierung und so auch an Themen wie Gewaltbereitschaft oder Anerkennung von anderen Menschen arbeiten. Ein professioneller und respektvoller Umgang mit Insassinnen und Insassen sei außerdem Teil eines gesamtheitlichen Sicherheitskonzepts im Straf- und Maßnahmenvollzug.

Kein Bereuen

“Die Gesellschaft hat sich verändert”, sagt Simma und betont noch einmal, dass der wichtigste Schritt wäre, das Gehalt der Justizwache zu erhöhen. “Und, denn das kam ja nicht von heute auf morgen, mehr Hafträume zu schaffen.” Der gelernte Maschinenbauer Albin Simma hat sich im jungen Alter von 24 Jahren dazu entschieden, zur Justizwache zu gehen. “Ich bereue es keineswegs, beneide aber die nachfolgenden Generationen nicht.” Zum Schluss sagt er stolz: “Ich habe es geschafft”. Simma geht nun nach fast 40 Jahren Justizwache in Pension. 

 

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