Freispruch: Pensionist will Entschädigung

Freispruch: Pensionist will Entschädigung
Historischer Mordfall: Für 221 Tage in Haft will ein Wiener eine satte Entschädigung.

221 Tage saß Harald Kneis unter Mordverdacht in U-Haft. Unschuldig, denn am Montag sprach ihn ein Wiener Geschworenensenat einstimmig frei. Der 66-Jährige wurde umgehend enthaftet. Vor lauter Freude schenkte er einem Mithäftling spontan seinen Fernsehapparat, den er sich für die Zeit hinter Gittern gekauft hatte.

Vielleicht kann sich der Pensionist bald einen neuen kaufen. Sein Verteidiger Herbert Eichenseder wird aufgrund der äußerst dürftigen Beweislage, auf der 25 Jahre nach der Tat eine Mordanklage aufgebaut worden war, etwas mehr als die üblichen 20 Euro Haftentschädigung pro Tag einfordern.

Prozessthema war der Mord am 31-jährigen Fleischhauer Erich Ludwig am 16. März 1987 vor dem Café Orient am Wiener Neubaugürtel. Als der fast vergessene Fall nach anonymen Hinweisen wieder aufgerollt wurde, belastete die Ex-Ehefrau von Harald Kneis den 66-Jährigen: Er habe ihr seinerzeit gestanden, Ludwig erschossen zu haben. Das blieb aber auch schon der einzige Hinweis auf den Angeklagten. Die Zeugen konnten sich nicht einmal darauf einigen, ob der Täter eine Brille getragen hatte (Kneis benötigt lediglich eine zum Lesen, allerdings erst seit knapp zehn Jahren).

Sänger

Bis zu seiner Verhaftung im heurigen März lebte der Pensionist in Graz, davor sieben Jahre in Italien, wo er seinen Lebensunterhalt als Straßenmusikant und -sänger verdiente. Gleich nach seiner Freilassung holte sich Kneis bei Eichenseder in der Kanzlei seine Pension ab, die der Anwalt in den 221 Tagen verwaltet hatte, ließ sich ein Taxi zum Bahnhof rufen und fuhr nach Graz. Geschockt ist Kneis immer noch vom Anblick seiner Ex-Frau im Zeugenstand. Sie habe einst "wie die Hollywood-Schauspielerin Jane Powell" ausgeschaut, erzählte er; daran erinnert heute so gut wie nichts mehr. – Ricardo Peyerl

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