Was blieb vom Stratos-Sprung?
Um 20 Uhr MESZ erreicht der Heliumballon mit der Raumkapsel die kritische Höhe. Die Tür öffnet sich, ein Mann im Raumanzug tritt heraus und Hunderte Millionen Menschen vor den Schirmen halten gespannt den Atem an: Wird er diesen wahnwitzigen Sprung aus 39 Kilometern Höhe überleben? Exakt neun Minuten und 18 Sekunden später landet Felix Baumgartner sicher in der Wüste von New Mexico - und wird zum Weltstar.
Doch was blieb vom Rekordsprung aus der Stratosphäre (siehe Chronologie), von den angeblichen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die das Stratos-Projekt als zentrales Ziel ausgegeben hatte?
Autofahren ist gefährlicher
Der Physiker Werner Gruber hat die Stratos-Übertragung am 14. Oktober 2012 im ORF kommentiert. "Eine unheimlich lässige Aktion mit beeindruckenden Bildern, aber man muss schon sagen, was Sache ist", sagt das Mitglied des Kabarett-Trios "Science Busters" heute. Es sei ärgerlich, dass Red Bull darauf beharre, dass das Projekt Relevanz für die Forschung gehabt hätte: "Aus wissenschaftlicher Sicht war das eher unspektaktulär", resümiert Gruber.
Zudem waren die Risiken des Sprungs aus der Stratosphäre überschaubar. "Die gefährlichste Aktion an dem Tag war der Weg mit dem Auto vom Hotel zum Startplatz. Natürlich kann immer etwas schief gehen, aber es gab genügend Sicherungsmaßnahmen - keine einzige wurde letztlich benötigt". Gruber will die Leistung Baumgartners nicht schmälern, „aber im Grunde hätte jeder den Sprung meistern können“.
Neue Maßstäbe
Für den Sponsor hat sich die Mission jedenfalls ausgezahlt. Tatsächlich hat sich der Markenwert von Red Bull seit Stratos um satte 9,7 Prozent auf 15,28 Mrd. Euro erhöht. Damit belegt der Getränkehersteller im "eurobrand"-Ranking nun schon Platz 49 unter den wertvollsten Unternehmensmarken der Welt. Auch die Gewinne für den Konzern sprudelten im Vorjahr wieder kräftiger. "Zu einem guten Teil ist dieses Wachstum auf Stratos zurückzuführen", sagt eurobrand-Chef Gerhard Hrebicek.
Kolportierte 50 Millionen Euro flossen in das Projekt - im Gegenzug erzielte Red Bull jedoch durch die weltweite Übertragung auf etwa 200 Sendern und Online-Netzwerken einen Werbewert von bis zu sechs Milliarden Euro. Eine effizientere Marketing-Aktion hat es noch nicht gegeben. "Stratos hat neue Maßstäbe gesetzt, vor allem in Sachen Infotainment und Eigeninszenierung einer Marke", erklärt der Fachmann. Auch Red Bull bestätigt gegenüber dem KURIER: "Die weltweite Aufmerksamkeit war in dieser Form einzigartig. Stratos war ein voller Erfolg".
Und der Protagonist? Anfangs schlug Felix Baumgartner noch eine Welle der Begeisterung entgegen. Heimische Medien würdigten den neuen österreichischen "Helden", auch im Ausland waren ehrfürchtige Hymnen auf "Felix, den Großen" zu lesen. Es folgten ein Treffen mit UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon, Einladungen für exklusive VIP-Partys und Auszeichnungen wie den Laureus World Sports Award.
Markige Sprüche
Doch mittlerweile hat sich der Salzburger Überschallmann ein bisschen ins Abseits geredet. Baumgartner, der aus steuerlichen Gründen nun in der Schweiz residiert, philosophierte aus der Ferne u.a. über eine gemäßigte Diktatur in Österreich, gesunde Watschen als Erziehungsmaßnahme und Schusstrainings für 12-Jährige. Kurz nach dem Sprung war Baumgartner zudem rechtskräftig wegen Körperverletzung verurteilt worden: Er hatte einem griechischen Lkw-Fahrer einen Faustschlag versetzt. Trotzdem hält Red Bull weiter an Baumgartner fest: "Felix ist seit vielen Jahren ein enges Mitglied der Red-Bull-Familie. Daran wird sich auch nichts ändern", sagt ein Sprecher des Konzerns.
In Zukunft will der mittlerweile 44-jährige Baumgartner aber deutlich leiser treten. Vom Extremsport hat er sich längst verabschiedet. Ein "Stratos 2" werde es nicht geben, erzählte er kürzlich in einem Interview mit dem Telegraph: "Das ist Vergangenheit. Ich bin froh, am Leben zu sein, ich habe etwas erreicht, was der Welt etwas bedeutet. Nun ist es Zeit für etwas Neues". Baumgartner arbeitet zur Zeit als Hubschrauberpilot, künftig möchte er für die Bergrettung Einsätze fliegen. Aber Adrenalin-Junkie bleibt eben Adrenalin-Junkie: Auf seiner Facebook-Seite kündigte Baumgartner unlängst an, den Nürburgring bezwingen zu wollen. Motto, eh klar: "Vollgas!".
TV-TIPP: Zum Jahrestag von Red Bull-Stratos wird ServusTV am Montag ab 19.10 Uhr die neue Dokumentation "Mission to the Edge of Space" senden. Mehr Infos dazu lesen Sie unter kurier.at/tv
Etwa 2008 will Felix Baumgartner die Idee zu dem Stratosphärensprung gehabt haben. Kurz danach trat er mit Red Bull in Verhandlungen, zunächst wurde das Projekt geheim gehalten.
Anfang 2010 macht Baumgartner seine Pläne offiziell, noch im Sommer will er die Schallmauer durchbrechen. Es gibt aber massive Probleme, auch weil er Angst vor dem Raumanzug hat. Im Oktober 2010 wird das Projekt gestoppt, weil ein US-Amerikaner Klage einreicht. Er meint, er selbst habe die Idee dazu gehabt und alle Rechte. Es gab eine außergerichtliche Einigung. Auch ein Wiener meint, er habe schon 2005 die Idee dazu gehabt und mit Baumgartner verhandelt – klagt aber aus Angst vor Red Bull nicht.
Im August 2011 wird das Projekt wieder aufgenommen. Im Jahre 2012 gehen die Vorbereitungen langsam voran, mancherorts wird bezweifelt, dass er es noch in dem Jahr schafft. Doch die Testsprünge gehen Schlag auf Schlag erfolgreich über die Bühne. Anfang Oktober scheitert ein Versuch, weil der Ballon zum Aufstieg verblasen wird. Der Sprung findet dann am 14. Oktober zur besten Sendezeit statt, 3,3 Millionen Österreicher schauen mit. „I am coming home“, sagt er beim Absprung. Lästerer meinen in Anspielung auf die Mondlandung: „Ein großer Schritt für Felix, ein kleiner für die Menschheit“.
Das Projekt in Zahlen
3,3 Millionen Österreicher sehen den Sprung von Felix Baumgartner live im Fernsehen.
1357 km/h erreicht Baumgartner während des freien Falles.
185 Schläge war die maximale Pulsfrequenz des Extremsportlers. Diese erreichte er, als er ins Trudeln kam.
38,97 Kilometer war die Absprunghöhe, Baumgartner erreichte damit einen Rekord.
Weitere Bestleistung war die Rekordgeschwindigkeit von Mach 1,25 und mit 36,4 Kilometern der bislang längste Fall eines Menschen.
218 km/h war die höchste je erreichte Geschwindigkeit eines Ballons – ein kaum beachteter Rekord.
Babbage, das Maskottchen des Raspberry Pi Projekts, sprang im August aus 39.000 Meter Höhe von einem Ballon. Mit Hilfe von Kameras und einem eingebauten Mini-Computer wurde der Sturzflug des Teddybären per Livestream übertragen.
Noch bevor sich Felix Baumgartner am Sonntagabend mit seinem Ballon in 39 Kilometer Höhe begab, machte bereits ein knapp 2 Minuten langes YouTube-Video auf Twitter die Runde, in der der Rekordsprung nachgestellt wurde - mit Legomännchen.
Richard Branson, der 62-jährige Gründer des britischen Medienimperiums Virgin, will Baumgartner sogar übertreffen: Er spielt in seinem Blog mit der Idee, aus seinem privaten Raumschiff in 120 Kilometern Höhe abzuspringen.
Kommentare