Der Teufel ist nicht tot: Warum Exorzismen in Österreich boomen und Experten warnen

Linda Blair Max Von Sydow and Jason Miller in The Exorcist 1973 Warner Bros Hollywood CA USA PUB
Exorzismen und Austreibungen werden in Österreich ein immer größeres Thema. Warum der Teufel für Menschen ein logisches Übel ist und wo die Gefahren lauern.

Sie windet sich auf einer Matratze. Hände und Füße sind mit weißen Manschetten fixiert. Immer wieder bäumt sie sich auf, das Gesicht zu einer Grimasse verzogen. 

Ein Mann sitzt neben ihr, seine Hand liegt auf ihrem Kopf. Und er betet. Nein. Viel mehr. Er treibt ihr den Teufel aus. 

Der Mann, dessen Gesicht man nicht sieht, entzündet ein Streichholz. “Verlass diesen Körper oder ich quäle dich”, sagt er. Aber gequält wird kein Dämon, auch nicht der Teufel. Immer wieder verbrennt er die festgeschnallte Frau mit brennenden Streichhölzern an den Armen. Sie wird später von Folter sprechen. 

Was klingt wie aus einem Horrorfilm, passiert in der Realität - auch in Österreich. Exorzismen oder “Befreiungen”, wie diese Rituale heute zumeist genannt werden, werden immer öfter praktiziert. Betroffene sollen vom Teufel selbst oder Dämonen besessen sein. Sie gehen entweder aus freien Stücken zu Teufelsaustreibungen oder werden von ihrer Familie oder Glaubensgemeinschaft dazu gedrängt. Darunter sind auch Kinder. 

Die "Befreiungen" werden von unterschiedlichen Stellen praktiziert. In der katholischen Kirche etwa werden "Große Exorzismen" (so heißen die Rituale, die man unter Exorzismus versteht, Anm.) von einem durch den Diözesanbischof beauftragten Exorzisten und nach vatikanischen Regelwerk, das in der Apostolorum Romanum festgeschrieben ist - auch, wenn sich nicht alle Priester an die Regeln halten dürften. 

Freikirchen und selbsternannte Heiler und Exorzisten treiben den Teufel in Privaträumen, Vereinsräumen, heimlich in “Safe-Häusern" - oder via Video-Calls aus. So dramatisch wie in der Eingangsszene laufen sie freilich nicht überall ab. Oft sind es "nur" Gebete, Betroffene werden auch nicht immer festgeschnallt. Problematisch und mitunter gefährlich für Leib und Leben können sie trotzdem sein. 

Exorzismen werden mehr 

Verlässliche Zahlen, wie viele Exorzismen pro Jahr in Österreich stattfinden, gibt es keine. Aber die Einschätzungen von Experten. Die Bundesstelle für Sektenfrage verzeichnet einen Anstieg an Anfragen für Exorzismus-Praktiken. Auch Religionswissenschafterin Nicole Bauer von der Universität Graz, die zu Exorzismen in Österreich forscht, weiß: „Exorzistische Praktiken nahmen im vergangenen Jahrzehnt deutlich zu“. Konkret ist das „Erstarken von charismatischen und pfingstlichen Spiritualitätsformen, global und hierzulande, der Motor hinter dem Anstieg an Exorzismen“, so die Religionsforscherin. 

Dabei hatte sich die Katholische Kirche Ende der 60er-Jahre eigentlich vom Teufel verabschiedet. Das Böse soll doch im Menschen selbst liegen, nicht im Satan, so das Credo. Seit einigen Jahren aber erlebt der Teufel und das Dämonische eine Wiedergeburt, erklärt Bauer. In Österreich zeigt sich das auch durch die Institutionalisierung von Exorzismus: Fast jede Diözese in Österreich hat einen offiziellen Beauftragten für Exorzismus-Fragen  – also einen Exorzisten. Die Erzdiözese Wien will dabei allerdings festgehalten haben, dass man unter Exorzismus lediglich ein "feierliches Gebet" des Priesters versteht. Und dies nur jenen wenigen Priestern erlaubt ist, die ihr Bischof nach sorgfältiger Prüfung damit beauftragt hat.

Nährboden für Teufel

Und Österreich bietet für den Glauben an den Teufel als Ursprung allen Übels einen guten Nährboden, weiß Ulrike Schiesser, Leiterin der Bundesstelle für Sektenfragen. „Ein Drittel der Menschen in Österreich glaubt an Verschwörungstheorien, die Wissenschaftsfeindlichkeit wächst. Psychische Krankheiten werden weiter stigmatisiert“, so Schiesser. Gepaart wird das mit einer dystopischen Zukunftseinstellung  aufgrund der unsicheren Weltlage. „Das große Thema ist Kontrollverlust und Zukunftsangst“, sagt Schiesser. „Die Vorstellung, dass hinter all dem Bösen in der Welt oder im eigenen Leben der Teufel oder etwas Dämonisches steckt, ist ein einfaches Erklärungsmodell. In diesen Glaubenssystemen ist dann auch Exorzismus die logische Lösung“. 

Wer ist "besessen"?

Von Dämonen „besessen“ seien einerseits meist Menschen in Lebenskrisen. Betroffene von psychischen und physischen Krankheiten, deren Angehörige oder Menschen, die Schicksalsschläge erleben. Viele vermeintlich Besessene leiden an psychischen Erkrankungen, die scheinbar ideal zur Symptomatik des Besessen-Seins passen. Etwa das Stimmenhören bei akustischen Halluzinationen, Schizophrenie oder die Dissoziative Identitätsstörung, aber auch schwere Depressionen. „Kurz: Es sind Menschen, die hilfesuchend sind“, sagt Schiesser. 

Andererseits sind es Kinder und Jugendliche, die  in Familien und Gemeinschaften aufwachsen, die an Dämonen glauben und die aus der „Norm“ fallen. Ein Anlass kann zum Beispiel die Pubertät sein, schildert Schiesser. „Plötzlich verhält sich ihr süßer, kleiner Sohn ganz anders. Er ist hasserfüllt und macht eine Persönlichkeitsentwicklung durch. Es liegt Menschen, die an das Böse und Dämonen glauben, nahe, zu denken: In den Sohn ist ein Dämon gefahren, der muss exorziert werden“. In besonders problematischen Gemeinschaften würden auch Kinder exorziert, die etwa Epilepsie haben. Oder homosexuelle Jugendliche, sofern diese Orientierung ein Tabu darstellt. 

Auch der Exorzist der Wiener Erzdiözese, Larry Hogan, der schon über 1.000 Große Exorzismen vorgenommen haben will, erzählt: „Immer wieder bringen Eltern ihre Kinder zu Befreiungen, weil sie fürchten, diese seien besessen.“ Die Stigmatisierung,  besessen zu sein, sowie der Akt der Austreibung selbst ist für diese Kinder traumatisch, so Schiesser.

Falsche Hilfe kann tödlich sein

Zurück zur festgeschnallten Frau auf der Matratze. Auch sie dachte, sie sei vom Teufel besessen – tatsächlich leidet sie an einer Dissoziativen Persönlichkeitsstörung. Drei Jahre nach dem Exorzismus, der aufgezeichnet und auf Youtube veröffentlicht wurde, möchte sie nicht mehr öffentlich darüber sprechen. Der Exorzist hingegen ist weiterhin aktiv und lädt für Klicks und Spenden  Aufnahmen  von „Befreiungen“  hoch. Tätig ist er in der Grenzregion Österreich-Deutschland-Schweiz, sagt er gegenüber dem KURIER. 

Dass Betroffene nach Exorzismen nicht darüber sprechen wollen, ist nicht unüblich, bestätigt Schiesser. Viele sind traumatisiert oder schämen sich.  „Statt notwendiger psychologischer und medizinische Hilfe und Medikamente, bekommen Hilfesuchende eine Austreibung nach der anderen“, weiß sie. Und das  sei  die große Gefahr. Im schlimmsten Fall könne sich das Krankheitsbild dadurch verschlimmern. „Ohne echte Behandlung kann das Leben der Menschen in Gefahr sein.“

Placebo-Austreibung

Auch Exorzist Hogan warnt vor „Show-Exorzisten“ und selbst ernannten Heilern, die vor allem Geld mit dem Leid Hilfesuchender verdienen wollen. „Ich lege Wert darauf, dass Menschen, die einen Exorzismus wollen, zuvor auch bei einem Psychiater oder Psychotherapeuten  waren“, sagt er. Und auch eine seelsorgerische Nachbetreuung sei ein Muss. 

In vielen seiner Exorzismen gehe es gar nicht darum, die Menschen vom Teufel zu befreien, erzählt er. „Stattdessen geht es darum, den Willen zu stärken, sodass sie selbst gegen das Negative in ihrem Leben kämpfen können. Quasi ein Exorzismus-Placebo-Effekt“, wie er erklärt. Genau davor aber warnen die Expertinnen Schiesser und Bauer. 

Gesehen hat Hogan den Teufel im Übrigen nie, wie er sagt. Er will ihn aber gespürt haben.

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