Er darf auch predigen und segnen

Peter Roland trägt in der Evangelischen Pfarrgemeinde Wien-Döbling den Sonntagsgottesdienst zum vierten Advent vor
Der Lehrer Dr. Peter Roland erfreut sich seit mehr als 35 Jahren an seinem Ehrenamt.
Von Uwe Mauch

Der Talar bietet Schutz. Sagt der Mann, der so würdig aussieht wie ein evangelischer Pfarrer. „Unter dem Talar kann ich meine schlotternden Knie gut verbergen.“

Dann, um halb zehn Uhr, betritt Peter Roland, der vermeintliche Pfarrer, die Weinbergkirche in Wien-Sievering, wo gut sechzig Evangelische auf den sonntäglichen Gottesdienst warten.

Der alte Lateiner

Nur der V-Kragen des Talars, der den Blick auf seine elegante graue Krawatte freigibt, verrät: Peter Roland ist ein Laienprediger, ein Lektor, wie man in der Evangelischen Kirche nach Augsburger Bekenntnis (AB) sagt.

Rund 500 Lektoren und Lektorinnen zählt man in seiner Kirche. (Pfarrer und Pfarrerinnen gibt es nur 300.) Alle dürfen Gottesdienste halten, die Fortgeschrittenen auch Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse leiten. Der Superintendent von Wien, Hansjörg Lein, sagt: „Dieses Ehrenamt ist ein wichtiges Fundament in unserer Kirche.“

Es ist der Sonntag vor Weihnachten, der vierte Advent. Der Laie hebt daher zu Beginn seines Ehrenamtes die besondere Bedeutung dieses Tages hervor: „Freut euch, der Herr ist nahe.“ Man darf sich darüber hinaus freuen, den ebenso verständlichen wie leidenschaftlichen Worten von Doktor Roland folgen zu dürfen.

Doktor Roland? Ja genau, der ist auch im Hauptberuf leidenschaftlich – als Lateinlehrer und langjähriger Leiter der gleichnamigen Maturaschule. Seine erste Predigt hielt Roland am 7. Mai 1978, vor mehr als 35 Jahren. Heute ist das nachweislich seine 344. Predigt. Vom Schlottern seiner Knie ist jedenfalls gar nichts zu bemerken. „Routine ist das für ihn dennoch nicht“, verrät seine Frau. 30 Stunden habe er sich auf den Gottesdienst vorbereitet, noch am Vorabend einige Passagen umgetextet.

„Frieden verkündigen“

Damit er an diesem Sonntagvormittag den Propheten Jesaja unter die Leute bringen kann. In Kapitel 52, Vers 7 heißt es unter anderem: „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, (...), Heil verkündigen.“ Die Gemeinde folgt dem Charismatiker, der heuer 75 Jahre alt geworden ist, auffallend aufmerksam.

Bei aller Freude übt Peter Roland auch Kritik. Persönlich habe er nichts gegen all die Weihnachtsmärkte. Jedoch sei man dort von der ursprünglichen Bedeutung des Weihnachtsfests, der Besinnung, abgerückt. Und so fragt er heute Döblings Evangelische: „Hat irgendjemand von uns auf so einem Markt schon einmal eine Bibel liegen sehen? Ist nicht das Weihnachtsfest heute mehr eine Orgie des Materialismus?“

Eine schöne Geste

Zum Abendmahl lädt der Laienprediger – nach evangelischer Tradition – alle Anwesenden ein, auch jene, die nicht getauft sind, und jene, die ausgetreten sind. „In der ersten Runde bitte jene, die Traubensaft bevorzugen, in der zweiten Runde jene, die lieber einen Schluck Wein trinken möchten.“

Zuvor bittet er noch seine Kollegin zum Altar. Gerlinde Küffner-Schranz arbeitet unter der Woche als Angestellte im Pfarramt. Heute trägt auch sie ihren Talar. Eine schöne Geste: Gemeinsam leiten Mann und Frau heute diese Zeremonie .

Den Gottesdienst schließt ihr Kollege wenig später mit einem Segen aus Afrika, darin heißt’s unter anderem: „Erfülle deine Füße mit Tanz.“

Der Altpfarrer habe ihn seinerzeit gefragt, ob er sich das Lektorat zutraue. „Ich bin damals aus allen Wolken gefallen. Heute bereue ich es nicht. Heute bin ich der festen Überzeugung, dass Gott von mir möchte, dass ich diesen Gottes-Dienst ausübe.“

Und dann geht es noch zum Predigt-Nachgespräch bei Kaffee und Kuchen. Gerne hätte da der Lehrer Roland Kritik gehört. „Nur so kann man lernen.“ Doch diesen Gefallen wollte ihm am Tag der Freude niemand machen.

"Keine Kirche ist ohne Frauen denkbar"

Der evangelische Bischof Michael Bünker lobt und schätzt die Lektoren-Arbeit

Gerade in der Zeit vor Weihnachten haben seine Pfarrer und Pfarrerinnen kaum eine freie Minute. Der Bischof der Evangelischen Kirche A. B. in Österreich, Michael Bünker, ist daher froh, dass sich in seiner Kirche noch immer ausreichend Freiwillige finden.

KURIER: Welche konkreten Erfahrungen haben Sie mit den Lektoren in Ihrer Kirche?

Er darf auch predigen und segnen
APA6384922-2 - 08012012 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - Michael Bünker, Bischof der Evangelischen Kirche A.B., am Mittwoch, 4. Jänner 2012, während eines Interviews mit der Austria Presse Agentur (APA) in Wien. APA-FOTO: HERBERT NEUBAUER
Michael Bünker:Ich habe immer sehr gute Erfahrungen mit ihnen machen können und bin dankbar für die vielen engagierten Männer und Frauen, die sich dafür ausbilden und beauftragen lassen. Sie machen das Priestertum für alle Getauften erlebbar. Das ist typisch evangelisch.

Wäre die Evangelische Kirche in Österreich heute ohne Laien überhaupt noch denkbar?

Für unsere Kirche ist das Miteinander kennzeichnend. Wir sind stolz darauf, dass dieses Miteinander auf allen Ebenen und in allen Aufgaben gelebt wird. In vielen Bereichen kann unser kirchliches Leben nur durch das Engagement von Ehrenamtlichen gesichert werden.

Die Gleichstellung von Mann und Frau in Ihrer Kirche – welche Vorteile bietet die?

Seit gut dreißig Jahren sind die Frauen auch als Pfarrerinnen völlig gleichberechtigt. Mittlerweile sind rund ein Drittel der Pfarrer und Pfarrerinnen Frauen, die Tendenz ist weiter steigend. Das ist für die Gemeinschaft sehr erfreulich, weil so noch besser gewährleistet ist, dass unsere Kirche nahe bei den Menschen ist.

Wäre Ihre Kirche heute ohne Frauen denkbar?

Keine Kirche ist ohne Frauen denkbar. Uns kommt es darauf an, dass Frauen auch in Leitungsfunktionen präsent sind.

Verheiratete Pfarrer und Pfarrerinnen: Ist das in Ihrer Kirche noch ein Diskussionsthema?

Jene, die in Familien mit Kindern leben, müssen Beruf und Familie vereinbaren. Sie wissen aus eigener Erfahrung, was die Menschen bewegt. Sie teilen die Herausforderungen und Probleme, besonders aber die Freuden eines Lebens in der Familie. Die Evangelische Kirche ist davon überzeugt, dass das der richtige Weg ist.

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