Es darf kein Gras darüber wachsen

Wieso wir uns bemühen müssen, die Bilder hinter den Buchstaben zu sehen

Nationalsozialismus.

Konzentrationslager.

Auschwitz.

Die Taten hinter den Wörtern sind so schrecklich, dass es dafür keine passenden Worte gibt. Und dennoch – vielleicht weil es so unglaublich ist, dass ich es mir in Wahrheit nicht vorstellen kann – komme ich manchmal an einen Punkt, an dem die Worte leere Hüllen werden und ich die Geschichten hinter den Buchstaben nicht mehr sehe.

Ich schäme mich dafür.

Deshalb bin ich dankbar für Zeitzeugnisse, die die Gräueltaten klar und deutlich ins Gedächtnis rufen, die einen innerlich aufheulen, vor Unglauben winden, und im Bauch einen Wutknoten entstehen lassen, der fragt, wie das sein konnte?

So wie der Roman von Monika Held, der bereits 2012 erschienen ist, mir von meiner Lieblingsbuchhändlerin erst unlängst empfohlen wurde.

Er heißt „Der Schrecken verliert sich vor Ort“ und erzählt die Geschichte von Hermann Reineck, der im Buch Heiner heißt.

Hermann Reineck war Wiener und Kommunist. Er ist 1942 nach Auschwitz deportiert worden und überlebte das Konzentrationslager. In den 1960er-Jahren sagte er beim Frankfurter Auschwitz-Prozess aus und traf eine Frau, in die er sich verliebte.

Ich weiß nicht, warum mir genau dieses Buch so nah gegangen ist. Vielleicht sind es die Liebesgeschichte und der Alltag der 60er-Jahre, die im krassen Gegensatz zu den Schilderungen aus dem Konzentrationslager stehen: Zu den Genickschüssen. Zum Hungerbunker. Zur Stehzelle. Zu den Schilderungen über Säuglinge, die lebendig ins Feuer geworfen wurden. Zu der Erinnerung von einem abgemagerten Jungen, der seinen Vater auf einem Lastwagen sieht und schreit: „Vater, du gehst ins Gas, nimm mich mit.“

Irgendetwas an dieser Erzählung hat mich besonders berührt und ich hoffe, dass sie den Menschen lange als Mahnmal dienen wird.

„Über Auschwitz darf kein Gras wachsen“, lautete das Motto von Hermann Reineck.

Es sollte auch unseres sein.

annamaria.bauer@AnnnaMariaBauer

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