Eine Ordensschwester im Rotlicht
Anna Mayrhofer hat viel gesehen. Viel erlebt. Manchmal ist sie frustriert. Manchmal wütend. "Das ist Teil des Jobs", sagt sie. Und sie schafft es doch, wenige Minuten später herzhaft zu lachen.
Die 54-Jährige ist Ordensschwester. Eine Franziskanerin, um genau zu sein. Doch tagtäglich wird sie mit den weltlichen Grausamkeiten konfrontiert. Sie leitet die Organisation "Solwodi Österreich" mit Sitz in Wien – und kümmert sich in dieser Funktion um Frauen, die als Prostituierte ausgebeutet oder Opfer von Zwangsheirat wurden.
Schwester Anna trägt kein Ordensgewand. Sie empfängt ihre Gäste in ihrem kleinen Büro in Hietzing in einem schwarzen Pullover und einem grauen Rock. Dazu trägt sie einen gemusterten Schal und einen silbernen Ring – als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zu Gott – sowie eine Kette. Von Klischees hält Schwester Anna nicht viel: "Nein, kein Foto vor einem Kreuz".
Aus einer Bauernfamilie
Die Niederösterreicherin – sie stammt aus einer Bauernfamilie in Loosdorf bei Melk – hat einen leichten deutschen Akzent. Lange Jahre hat sie in Deutschland gelebt und gearbeitet, hat Drogenkranke betreut und Polizei-Razzien in Bordellen begleitet.
Feministin
Ihr Vater sagte einst zu Mayrhofer: "Im Kloster haben sie dich verdorben." Andere meinen, sie sei eine Feministin. Das mag stimmen. Schwester Anna kämpft für die Rechte von Frauen, die ausgebeutet wurden. In Wien gibt es für sie zehn Schutzwohnungen. Derzeit sind sieben davon belegt.
Die Geschichten dieser Frauen enthalten nichts von göttlicher Gnade. Sie handeln von Mädchen, die mit 16 Jahren vom eigenen Vater zur Prostitution nach Wien gebracht werden. Von Prostituierten, die von einer Putzfrau drei Wochen vor der Geburt ihres Kindes bei der Organisation abgeliefert werden, weil der Bordell-Betreiber keine Verwendung mehr für sie hat. Von misshandelten Frauen, die nach Monaten der Betreuung doch wieder zu dem Mann zurückgehen, der sie verkauft und misshandelt hat.
Es hilft nichts, etwas zu predigen. Die Religion hat den Frauen nicht geholfen.
Dennoch: "Ich tue diesen Frauen nichts Gutes, wenn ich sie immer nur als Opfer sehe", sagt Schwester Anna. Es ist auch Teil ihres Jobs, eine gewisse Distanz zu wahren. Sonst wird der Schmerz zu groß: "Man kann nur die retten, die gerettet werden wollen." Diese Einsicht musste reifen. Und Mayrhofer sagt auch: "Es hilft nichts, ihnen etwas zu predigen."
Gründung
Solwodi steht für "Solidarity with women in distress", also für "Solidarität mit Frauen in Not". Die Organisation wurde 1985 von Schwester Lea Ackermann in Kenia gegründet. Solwodi Österreich gibt es seit 2010
Hilfe
Die Organisation bietet 10 Schutzwohnungen, die von drei fixen Mitarbeiterinnen und Ehrenamtlichen betreut werden. Infos: www.solwodi.at
Spenden
Die Organisation finanziert sich rein aus Spenden. Spendenkonto: IBAN AT55 3200 0000 1162 4640, BIC RLNWATWW
Die Sünde der anderen
Den Frauen macht sie keinen Vorwurf: "Gesündigt haben die anderen. Aber die Frauen haben das Gefühl, sich schuldig gemacht zu haben." Dass sie eine Frau Gottes ist, sei manchmal hilfreich. "Manche sagen: ,Bete für mich. Ich kann das nicht.‘" Andere wiederum stellen fest: "Euer Gott hat mich nicht beschützt." Schwester Anna will sie nicht missionieren. Sie weiß selbst: "Die Religion hat den Frauen nicht geholfen."
Deshalb setzt sie alle weltlichen Hebel in Bewegung. Schwester Anna vermittelt Anwälte und Ärzte, begleitet bei Behörden-Terminen, organisiert Deutschkurse und steht den Frauen bei Gerichtsverhandlungen zur Seite.
"Anfangs wollte ich unbedingt, dass die Täter vor Gericht stehen und die Frauen aussagen. Heute überlege ich mir das gut." Zu oft hat sie erlebt, dass die Frauen im Gerichtssaal durch bohrende Fragen der Anwälte noch einmal zu Opfern wurden, dass ihnen nicht geglaubt wurde. "Das kann ich nicht jeder Frau antun. Mittlerweile weiß ich: Irgendwann gibt es für diese Täter ein göttliches Gericht. Da hilft mir mein Glaube."
Aufklärungsversuche
Oft erlebt Schwester Anna, dass Männer meinen, sie müssten sie – die Ordensfrau – aufklären. Das kostet die studierte Sozialarbeiterin einen lauten Lacher, um Sekunden später wieder sehr ernst zu sagen: "Ich höre von Männern auch, dass ihre Frauen einfach mehr Huren sein müssten – dann müssten sie nicht zu Prostituierten gehen. Oder dass ihnen ihre Ehefrauen für manche Dinge einfach zu schade sind."
Aber auch mit der männlich dominierten katholischen Kirche geht Schwester Anna hart ins Gericht: "Die Kirche hat absurde Moralvorstellungen. Dass Sex etwa nur dazu da ist, um Kinder zu zeugen. Oder dass eine Ehe nicht geschieden werden darf." Weltfremd sei das, sagt sie. "Einem Mörder wird in der Kirche nach der Buße und dem Absitzen seiner Strafe verziehen. Bei einer Scheidung ist kein Neuanfang möglich." Und es geht ihr auch "quer", dass es keine katholischen Priesterinnen gibt. "Gleichberechtigung gibt es hier nicht", stellt Schwester Anna nüchtern fest.
Doch ihr Glaube hilft ihr auch hierbei: "Gott ist größer als diese Kirche und die Männer, die sie regieren."
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