Die 774 Mauerblümchen in der Justiz

Carmen Würrer ist Rechtspflegerin im Bezirksgericht Wien-Innere Stadt
Rechtspfleger erledigen 80 Prozent aller Zivilrechtssachen, von Erbschaft bis Unterhalt

Wenn ich mein Kind nicht sehen kann, dann zahl’ ich auch nix“: Mit solchen Männern bekommt es Carmen Würrer im Bezirksgericht Wien-Innere Stadt zu tun. Außerdem ist sie für die Vermögensverwaltung besachwalterter Menschen sowie die Abwicklung von Verlassenschaften zuständig.

Die 24-Jährige ist eine von 774 Diplomrechtspflegern in Österreich, die 80 Prozent aller Zivilrechtssachen ohne Zutun eines Richters erledigen. Dazu gehören auch noch Privatkonkurse, Firmenbuch, Grundbuch, Exekutionen, Mahnklagen.

Trotzdem fristen die Rechtspfleger im Unterschied zu den Talarträgern ein Mauerblümchen-Dasein. Dagmar Weiß, Pressereferentin der Vereinigung der Diplomrechtspflegerinnen Österreichs, will den Berufsstand von diesem Image befreien: „Wir sind genau so Rechtsprechungsorgane.“ Das Weisungsrecht der Richter in diesem Zusammenhang ist „totes Recht“. Dagmar Weiß ist Rechtspflegerin in Firmenbuchsachen, „ihrem“ Richter begegnet sie nur gelegentlich am Gang.

Carmen Würrer arbeitet seit 2010 bei der Justiz, davor hat sie viereinhalb Jahre Ausbildung hinter sich gebracht. Der Job bringt auch emotionale Belastungen mit sich. So wie erst kürzlich den Fall einer jungen Frau, die nach der Geburt ihrer Tochter geistig beeinträchtigt im Rollstuhl aufgewacht ist, weil die Narkose schief gegangen war. „Sie nimmt ihr Kind gar nicht wahr“, sagt Carmen Würrer. Der Vater der jungen Mutter hat die Sachwalterschaft übernommen, die Rechtspflegerin muss die Vermögensverwaltung überwachen. Sie hat den Vater von der Rechnungslegungspflicht befreit, eine Überprüfung alle zwei bis drei Jahre reicht aus.

Häufig hat Carmen Würrer mit geschiedenen Vätern zu tun, die weniger Unterhalt zahlen wollen. Etwa dann, wenn sie eine neue Familie gegründet haben und in Väterkarenz gehen wollen. Eine Herabsetzung des Unterhalts ist schon möglich. „Aber die alte Familie darf darunter nicht leiden“, sagt Würrer: „Die neue Frau kann ja auch daheim bleiben.“

Beruhigt

Wird das immer akzeptiert oder werden manche Väter gegenüber der „strengen“ Rechtspflegerin auch aufbrausend? „Bis jetzt haben sich alle beruhigen lassen“, sagt die 24-Jährige. Und zur Not gibt es einen Sicherheitsknopf unter dem Tisch.

Zwei bis drei Mal im Jahr kommen aber auch Väter von sich aus zu Gericht. Die wollen für ihre Kinder mehr zahlen, weil sie eine besser bezahlte Arbeit gefunden haben.
Wenn Kinder – ganz abgesehen vom Unterhalt – einen größeren Geldbetrag erhalten, etwa wenn sie nach einem Unfall Entschädigung zugesprochen bekommen oder von der Oma ein Sparbuch geerbt haben, tritt ebenfalls Carmen Würrer auf den Plan: „Man muss darauf achten, dass es dem Kind direkt zugute kommt und nicht womöglich für den Mietzinsrückstand der Eltern verwendet wird.“ Das Geld muss bis zur Volljährigkeit mündelsicher veranlagt werden.

Und wenn mit 16 der Wunsch nach einem Moped entsteht?

„Zum Wohl des Kindes kann ich schon einen Betrag freigeben, aber es soll halt nicht sein, dass dann der Vater damit zur Arbeit fährt.“

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