Der steirische Jack the Ripper

Ein Marterl erinnert an das letzte Opfer
"Herzerlfresser" tötete im 18. Jahrhundert sechs Frauen. Ein Krimi holt ihn aus der Vergessenheit.

"Der Herzenfresser war eigentlich ärger als Jack the Ripper", sagt Josef Scherz. "Er hat sechs Frauenmorde zugegeben, war Kannibale, hat 100 Jahre früher gelebt, aber Jack the Ripper ist weltbekannt." Doch der Steirer Paul Reininger? Vergessen oder vielmehr: verniedlicht, zur Legende reduziert.

Der "Herzerlfresser"-Weg am Herzogberg im obersteirischen Kindberg, ein Marterl, vor dem Schulkindern vom sagenhaften "Herzerlfresser" erzählt wird: Das ist geblieben. "Herzerlfresser", seufzt Scherz. "Das wirkt ja so lieblich, wie ein Lebkuchenherzerl am Kirtag." Deshalb hat der 54-jährige Unternehmer sein Erstlingswerk lieber "Herzenfresser" betitelt: Basierend auf der wahren Geschichte von sechs Frauenmorden im 18. Jahrhundert hat Scherz einen Krimi geschrieben.

Was über Reininger und seine Taten bekannt und erforscht ist, hat Scherz übernommen, das betrifft den Namen des Täters bis zu jenen seiner Opfer. Doch es gibt Lücken in der Geschichte. "Ich habe versucht, die dramaturgisch aufzufüllen", beschreibt Scherz, der aus einem ganz anderen Beruf mit einem völlig anderem Schreibstil kommt: Der promovierte Jurist berät Unternehmer bei Gründungen, aber auch Sanierungen von Firmen.

Marterl für letztes Opfer

Vor zehn Jahren hat ihn das Interesse am "Herzerlfresser" gepackt. "Ich hab’ bei einer Wanderung in Kindberg das Marterl gesehen." Dieses Marterl erinnert an das letzte Opfer Paul Reiningers, einer Magd, die im Begriff, war zu heiraten. Sie verschwand im Jänner 1786. Wochen später fiel einem Bauern eine Schar Krähen in der Nähe eines Waldes auf: Sie kreisten über menschlichen Überresten. Der Körper war aufgeschnitten, Gliedmaßen abgetrennt und das Herz fehlte.

Gendarmen fanden die blutige Kleidung der Frau in der Behausung des Tagelöhners Reininger. Einen besseren Beweis gab es nicht: Der 32-Jährige gestand darüber hinaus noch fünf weitere Frauenmorde seit 1779, unter ihnen ein siebenjähriges Mädchen ebenso wie eine 50-jährige Frau die Herzen zweier Opfer hat er gegessen.

"Eigentlich brauchst da gar nichts erfinden. Die Realität ist schlimm genug", überlegt Autor Scherz. Doch manche wichtige Details ließen sich heute nicht mehr mit Sicherheit feststellen: Wie weit waren der Klerus, der Adel, die Obrigkeit bemüht, die Serienmorde zu vertuschen? Fest steht, dass Reininger im April 1786 im Landgericht zu Wieden in Kapfenberg verurteilt wurde und zwar zu all dem, was der Justiz für seine Bestialität gerecht erschien: Glühende Zangen in die Brust zwicken, bei lebendigem Leib Fleisch aus seinem Rücken schneiden, rädern die Todesstrafe, langsam ausgeführt und so grausam, wie es seine Taten selbst waren.

Der Kaiser griff ein

Doch Reininger wurde von der Todesstrafe begnadigt: Ausgerechnet Kaiser Joseph II. persönlich änderte das Urteil statt der Hinrichtung wurden Brandmarken auf dem Richtplatz, 300 Stockhiebe und auf "ewig ins Gefängnis" bei Wasser und Brot verhängt. Das war milde für damalige Verhältnisse bei solchen Verbrechen. Weshalb der Monarch eingriff, ist historisch nicht belegt. Hier greift Scherz greift im Roman auf Fiktion zurück. "Ich habe mir überlegt, was da passiert sein könnte. Der Kaiser hat in das Urteil eingegriffen, er hat ganz genau gewusst, was er tat." Scherz hat sich eine mögliche Variante ausgedacht: Weil der Klerus Reiningers Gräuel als Gottes Strafe für das aufklärerische Wirken Joseph II. brandmarkt, schlug der Kaiser mit der Urteilsänderung zurück.

Der echte Reininger vegetierte noch einige Monate im Kerker auf dem Grazer Schlossberg, eher er starb. Es tauchen zwar immer wieder Geschichten rund um ihn auf, zuletzt auch in einem modernen Theaterstück, aber im Gegensatz zum berüchtigten Londoner Jack the Ripper brachte es der steirische Serienmörder nur auf lokale Bekanntheit. "Das ist mir schleierhaft", überlegt Josef Scherz. "Vielleicht, weil es London war. Hätte Ripper am Land gemordet, hätte ihn vielleicht auch keiner gekannt."

Josef Scherz, "Der Herzenfresser", Salomon-Verlag, 19,95 Euro

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