Der Kulturschock im Krankenhaus

Der Kulturschock im Krankenhaus
Mitarbeiter stoßen im Umgang mit Migranten oft an Grenzen. Uni Krems forscht für Maßnahmenkatalog.

Es war eine simple Geste zur Tür des Dienstzimmers, die den Besucher eines Patienten mit Migrationshintergrund in Rage brachte, erzählt Barbara S. "Der Mann ist bei der Dienstübergabe hineingestürmt und die Kollegin hat gedeutet, damit er hinausgeht. Doch er hat das als Beleidigung aufgefasst hat", erzählt die diplomierte Krankenpflegerin. S., die eigentlich anders heißt, arbeitet in einem nö. Krankenhaus. Immer wieder stößt sie im Umgang mit Migranten auf Schwierigkeiten.

Der Zustrom von Flüchtlingen stellt auch das Gesundheitssystem vor Herausforderungen. Gerade im Spitalsbereich gebe es Konflikte, viele Mitarbeiter würden nicht genau wissen, wie sie mit kulturellen Unterschieden umgehen sollen, sagt Bernhard Rupp von der AK Niederösterreich. Gemeinsam mit der Donau-Universität Krems soll nun im Rahmen einer Studie herausgefunden werden, was sich die Spitalsmitarbeiter wünschen. Dazu wird auch eine Befragung vorwiegend unter den Mitarbeitern der 27 nö. Landeskliniken durchgeführt werden.

Rahmenbedingungen

"Das Gesundheitssystem ist mit zunehmender Diversität konfrontiert", erklärt Forscherin Anna Faustmann von der Donau-Uni. "Wir wollen wissen, wo und wie wird Migration als Herausforderung wahrgenommen, welche Rolle das Thema bei der Aus- und Weiterbildung spielt und welche Unterstützungsstrukturen als hilfreich erachtet werden." Das Ziel sei es, Fortbildungen zu definieren und auch die rechtlichen Rahmenbedingungen klar zu stellen, ergänzt Rupp. "Es braucht Richtlinien, die der Dienstgeber vorgibt. Es geht um Arbeitnehmerschutz, Arbeitsrechtsfragen und interkulturellen Nachbesserungsbedarf." Videodolmetsch, das es in den Spitälern gibt, reiche laut Betroffenen in NÖ nicht immer aus.

Vielfach gehe es um das Verständnis, wie Menschen genesen, erklärt Faustmann. "Die Mitarbeiter würden sich hier mehr Infos über kulturelle Besonderheiten wünschen", sagt die Expertin auf Basis der ersten Studienerkenntnisse. "In Österreich ist man der Meinung, dass man dazu Ruhe braucht. In anderen Kulturen, dass man viel Unterstützung benötigt. Daher gibt es etwa mehr Besuch." Eine Erfahrung, die auch S. immer wieder macht. Mitunter kämen Gruppen von Verwandten ins Spital – gerne am Abend. "Das ist dann ein Problem." Kinder würden auf Betten hüpfen, es werde laut geredet. In vielen Spitälern wurde darauf reagiert, indem Patienten aus einem Kulturkreis in ein Zimmer gelegt werden. Generell würde sich S. für solche Szenarien mehr Schulungen wünschen.

Auch das Schmerzverhalten wird von den Befragten als unterschiedlich wahrgenommen. Während Schmerz hierzulande eher zurückgehalten werden, wird er in anderen Kulturen laut artikuliert. In den Spitälern hat sich dafür sogar eine eigene Bezeichnung eingebürgert – "Morbus Balkan". "Hier finden sich dann Mitarbeiter in der Verantwortung zu entscheiden, ob und wie viel Schmerzmittel nötig sind", sagt Faustmann.

Rechtliche Fragen

Schon jetzt werde oft darauf geachtet, ob ein Arzt oder eine Ärztin eingesetzt werden muss. "Die Mitarbeiter finden sich in einem Spannungsverhältnis, einerseits die pflegerischen Standards und organisatorischen Abläufe einzuhalten und andererseits den freien Willen der Patienten zu berücksichtigen", sagt Faustmann. Das habe auch eine rechtliche Komponente. Angestellte würden sich von Politik oder Spitalsleitung Standards oder Richtlinien wünschen. Auch im Umgang unter den Mitarbeitern gibt es Unsicherheiten. Etwa, wenn muslimische Angestellte zwar von ihrer Straßen- in die Spitalskleidung wechseln, das Kopftuch jedoch dasselbe ist. Eine Lösung ist bei ersten Diskussionen genannt worden: Einfach ein Krankenhaus-Kopftuch zur Verfügung zu stellen.

In Wien ist man laut Krankenanstaltenverbund (KAV) weiter. Beim KAV gebe es Mitarbeiter aus 70 Nationen. Multikulturalität sei wichtiger Bestandteil der Verfasstheit, darauf sei man stolz, heißt es. In entsprechende Weiterbildung werde viel investiert.

Christoph Reinprecht ist Soziologe an der Universität Wien und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Migration. Im KURIER-Gespräch erklärt er, warum Spitäler im Umgang mit Migranten hinterher hinken.

KURIER: Sind die Krankenhäuser engagiert genug, um Rahmenbedingungen für ihre Mitarbeiter im Umgang mit Migranten zu bieten?

Reinprecht:Die Krankenanstalten beschäftigen sich mit dem Thema, aber sie müssten mehr machen. Der Wiener Krankenanstaltenverbund etwa hat bei dem europäischen Projekt ,Migrant Friendly Hospitals‘ teilgenommen. Die Erfahrung von Diversität machen alle Krankenhäuser. Aber teilweise sind sie viel zu behäbig bei den Antworten auf die Problemstellung. Sie hinken nach, obwohl es viele migrantische Mitarbeiter gibt. In England etwa ist das anders. Beim Beispiel Kopftuch der Mitarbeiterin könnte etwa die Pflegeleitung eine simple Lösung finden: Eines stellen.

Was sind die Gründe dafür?

Österreich hat sich lange nicht als Einwanderungsland gesehen, sondern als eines mit einer homogenen Kultur. Viele glauben, die Leute müssen alle gleich sein. Noch bis in die 70er-Jahre haben sich Migranten unsichtbar gemacht. Und jetzt kommen plötzlich Menschen daher, die gewisse Dinge aus ihrer Kultur beibehalten wollen. Migranten artikulieren ihre Präferenzen mehr.

Warum tun sie das?

Die Rahmenbedingungen haben sich verändert. Muslime werden heute scheel angesehen. Eine Möglichkeit, damit umzugehen, ist dazu zu stehen. Gerade junge Menschen sagen, ich zeige das, was ich bin. Eigentlich ist das das beste Zeichen der Integration. Es zeigt, jemand möchte so, wie er ist, hier leben. Für viele ist das verstörend im Vergleich zu Migranten der 70er-Jahre.

Was sollten Spitäler nun tun?

Mehr zuhören, was die Leute wollen, darauf eingehen. Es müsste mehr Schulungen für das Personal geben, schon bei der Ausbildung. Dort sind interkulturelle Themen sehr spät ein Thema. Und Projekte wie das in Niederösterreich müssten immer in Kooperation mit Krankenanstaltenträgern gemacht werden.

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