Frage des Charakters: Wie Österreichs Schulen Krisen bewältigen können

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Für die Wissenschaft steht fest: Die Bildung der eigenen Persönlichkeit gehört auf den Stundenplan. Wie das in Österreichs Schulen funktionieren könnte.

Zusammenfassung

  • Persönlichkeitsbildung ist entscheidend zur Bewältigung von Krisen und Förderung der psychischen Gesundheit in Schulen.
  • Der Fokus der österreichischen Schulen auf faktisches Wissen sollte durch die Förderung von Charakterstärken ergänzt werden.
  • Persönlichkeitsbildung verlangt Beteiligung aller Bildungsakteure und eine Neuorientierung der Lehrerbildung.

„Wenn ein junger Mann vor dem Computer sitzt und einen Shitstorm gegen eine Person des öffentlichen Lebens oder Cybermobbing gegen eine Mitschülerin beobachtet, gibt es in der Anonymität des Internets, im stillen Kämmerlein, nur eine Instanz, die darüber entscheidet, ob er dabei mitmacht – und das ist sein Charakter.“

Die Worte von Roland Bernhard, Professor für Schulentwicklung und Leadership an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/NÖ (KPH), wiegen schwer. Umso schwerer, da die Amoktat in Graz erst zwei Wochen zurückliegt.

Tatsache ist jedoch: Um die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen in Österreich ist es nicht gut bestellt, und das auch schon vor der Coronapandemie. Die Zahl der Suizidgedanken, der Suizidversuche und leider auch vollzogenen Selbsttötungen ist in den letzten Jahren signifikant gestiegen.

„Die Antwort darauf ist gar nicht schwer und liegt auf der Hand: Persönlichkeitsbildung“, sagt Barbara Haid, Präsidentin des Bundesverbands für Psychotherapie. Denn eine gesunde Beziehung zu sich selbst, das Wahrnehmen, Regulieren und Ausdrücken von Gefühlen sei für die Ausbildung von Schülerinnen und Schülern grundlegend.

Cropped view of group of teenagers taking a test

Noch liegt der Fokus in den Schulen auf Fakten und Leistung. 

Werkzeuge

„Persönlichkeitsbildung gibt jungen Menschen Werkzeuge in die Hand, mit denen sie nicht nur Prüfung bestehen, sondern Krisen bewältigen“, macht Haid bewusst. Darüber sei sich auch die Wissenschaft einig.

Was jedoch nicht heißt, dass Charakterstärken wie Mut, Integrität, Respekt oder Dankbarkeit in den Klassenzimmern behandelt werden. Noch immer liegt der Fokus der schulischen Ausbildung in Österreich auf faktischem Wissen und Leistung.

„Der Begriff Persönlichkeitsbildung muss neu definiert werden. Es geht nicht ums Bravsein“, betont Bernhard. Vielmehr soll es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht werden, sich ohne den Einfluss von Ideologien selbst zu entfalten. „Flourishing“, also das Aufblühen, lautet der Fachbegriff. 

Und zu diesem brauche es, so Bernhard, noch viel mehr Forschung. Dass dies nicht nur für Österreich gilt, zeigt die internationale Konferenz der European Character and Virtue Association, die dieser Tage mit rund 120 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern in Wien stattfindet.

„Persönlichkeitsbildung muss neu definiert werden. Es geht nicht ums Bravsein.“

von Roland Bernhard

Forscher und Professor

Einer der wichtigsten Akteure wird dabei der Brite Gary Lewis sein; er ist als „Turnaround“-Direktor bekannt geworden, hat er es doch geschafft, die Kings Langley School von einer der leistungsmäßig schlechtesten des Landes unter die besten 29 Prozent zu bringen. Heute berät er Bildungsministerien auf der ganzen Welt.

Ein Schlüssel zum Erfolg sei der Aufbau von Beziehungen gewesen – zwischen dem Lehrpersonal und den Schülerinnen und Schülern, aber auch zu den Eltern. Denn Persönlichkeitsbildung sei nicht nur für Kinder und Jugendliche wichtig, sondern eben auch für Pädagoginnen und Pädagogen. „Sie muss ein substanzieller Teil von Lehrerbildung und Schulentwicklung sein“, betont daher Ulrike Greiner, Rektorin der KPH.

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