Bettler unter Generalverdacht

Still um Almosen zu bitten ist überall erlaubt. Verboten sind aggressives und gewerbsmäßiges Betteln.
Vielerorts wird hinter Bettlern eine Mafia vermutet. Doch gibt es die? Experten sind uneins.

Nikolai B. sitzt auf einem Karton auf dem Gehsteig, sein linkes Bein ist amputiert, seine Kleidung verschlissen. "Bitte" und "Danke" sind die einzigen Worte, die er auf Deutsch kann. Der Rumäne bittet auf einer Wiener Einkaufsstraße um Almosen.

Über Menschen wie ihn wird hitzig diskutiert. In Salzburg, wo im Vorjahr millionenschwere Spekulationsverluste publik wurden, ist das Thema ein Wahlkampfschlager: Der ÖVP-Spitzenkandidat spricht von "südosteuropäischen Bettlerbanden"; der Team-Stronach-Listenerste warnt vor "straff organisierten Banden hinter den Bettlern". In Krems sammeln Bürger Unterschriften für schärfere Anti-Bettler-Gesetze (siehe unten). Und in Wien ist die "Bettler-Mafia" ein Dauerbrenner.

Das Thema "Bettler" polarisiert. Zwingt sie ein Mafia-Boss auf die Straße oder die bittere Armut? Bei kaum einem Thema widersprechen sich NGOs und Kriminalisten so stark.

Gerald Tatzgern schätzt, dass alleine in Wien tausend Menschen betteln. In den vergangenen Jahren, sagt der Leiter der Zentralstelle gegen Menschenhandel im Bundeskriminalamt, gab es "einen sprunghaften Anstieg". Wer das Phänomen verstehen wolle, dürfe nicht schwarz-weiß malen. "Beides trifft zu."

Das Gros der Bettler bestehe aus Familien oder organisierten Gruppen. Sie stammen aus den ärmsten Ecken der EU, reisen gemeinsam an, teilen sich ein Quartier. "Freiwillig", betont Tatzgern.

Unsichtbar

Aber eben nicht alle. "Es gibt sehr wohl Menschenhändler, die Bettler ausbeuten, indem sie die Spenden abkassieren." Auf einen Blick sei das nicht erkennbar. "Für uns ist es entscheidend, ob jemand aus freien Stücken aufhören kann", sagt Tatzgern. Das festzustellen, sei schwierig. "Die Opfer sehen sich oft nicht als solche." Ihnen bleibe zwar wenig übrig, doch wer bettelarm sei, gebe sich auch mit hundert Euro zufrieden. Für Tatzgern ist das Ausbeutung: "Das können wir nicht akzeptieren."

Bekannt sind wenige Fälle. In Rumänien fassten Täter im Jahr 2011 Haftstrafen aus, weil sie in Wien Landsleute zum Almosen-Bitten gezwungen haben. In Wien wurden vor zwei Jahren Zuhälter zu Haftstrafen verurteilt. Ihre Opfer waren Prostituierte, aber auch drei Männer, die betteln mussten.

Rechtfertigt dies den Generalverdacht, Bettler seien kriminell organisiert und der gespendete Euro fließe auf das Konto von raffgierigen Villen-Besitzern?

Die Caritas Österreich kümmert sich in Einrichtungen und auf der Straße um Bettler. "Wir haben keine Belege für eine Bettlermafia", sagt Judith Marte-Huainigg, Sozialexpertin der Caritas. Obwohl ihre Sozialarbeiter "einen guten Einblick" haben.

"Es fehlen Beweise"

Medien berichten aber darüber. Marion Thuswald von der Bettellobby Wien hat dann immer ein Aha-Erlebnis. "Wir recherchieren die Berichte nach. Es fehlen immer die Beweise." Thuswald meint, der Begriff sei so inflationär, weil er vielen entgegenkomme. "Bettler sind präsent. Sie stellen uns vor die Frage: Gebe ich oder gebe ich nicht?" Das sei vielleicht lästig, aber nicht kriminell.

Entstanden ist die "Lobby" 2008 als Reaktion gegen die Bettelverbote. Neuerdings bietet man in Wien Rechtsberatungen an. "Man belastet mit Strafen nur Arme", sagt Thuswald. Bettler würden Strafbescheide mit haarsträubenden Begründungen mitbringen. "Wer ,Bitte‘ sagt und die Hand ausstreckt, ist ein aggressiver Bettler." Auch die Caritas lehnt Verbote ab. "Es ändert nichts an der Not der Menschen", sagt Marte-Huainigg. Die "Dramatik der Armut" sei ohnehin gestiegen, ganz ohne Strafbescheide.

Nach einem Vorfall, bei dem ein nur scheinbar behinderter Bettler in Krems, NÖ, mit seinen Krücken auf einen Pensionisten einschlug und dann wieselflink flüchtete, ist zwei Frauen der Geduldsfaden gerissen. Sie haben eine Unterschriftenaktion durchgeführt und innerhalb von nur zwei Tagen in der Kremser Innenstadt bei 102 Geschäften Unterstützungserklärungen für eine Gesetzesänderung gesammelt.

"Ich war geschockt, was uns Geschäftsleute und Verkäufer erzählt haben", berichtet Unternehmerin Claudia B., die gemeinsam mit ihrer Freundin Bettina P. Unterschriften sammelte.

"Ein Kaufmann hat beobachtet, dass der Bettler im Rollstuhl am Abend den Sessel zusammenklappt und wegträgt. Manche fühlen sich bedrängt, ja bedroht durch das Auftreten einiger Bettler, die immer wieder Eingänge blockieren", sagt Claudia B. Ihre Freundin hatte selber schon mehrfach Probleme, weil Bettler die Eingänge des Geschäftes, in dem sie arbeitet, verstellten und sie beschimpften, als sie sie wegschickte.

Die Unterschriften sollen an den Stadtchef und den Landeshauptmann mit der Bitte um eine strengere gesetzliche Regelung gehen. Das Problem dabei: Der Verfassungsgerichtshof hat generelle Bettelverbote in einigen Bundesländern aufgehoben. NÖ behalf sich damit, nur bestimmte Formen wie organisiertes und aggressives Betteln zu verbieten.

Verwaltungsdelikt

Dazu kommt, dass selbst diese Handlungen laut NÖ-Polizeistrafgesetz Verwaltungsdelikte sind und nicht mit denselben Methoden bekämpft werden können wie Strafdelikte. Sie würden beispielsweise keine Observation rechtfertigen, um etwa Gewerbsmäßigkeit nachzuweisen.

Aus Sicht des St. Pöltener Polizeichefs Franz Bäuchler ist die Situation unlösbar: "Eine Hälfte der Bevölkerung will, dass wir einschreiten. Die andere kritisiert uns dafür, manche zahlen Bettlern sogar die Strafe."

In Salzburg wurde das Betteln gar zum Wahlkampfthema, worauf die Caritas die Plattform "Armut hat Platz" gründete. Sie fordert mehr Solidarität mit Armutsmigranten, die, wie Caritas-Direktor Johannes Dines sagt, "mit Betteln ihr Überleben sichern, weil sie in ihrer Heimat enormes Elend erfahren."

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