Leistungsdruck: Aufgeputscht durch das Studium
Jeder fünfte Mensch in Österreich hat im Laufe seines Lebens zumindest einmal Beruhigungs- oder Schlaftabletten genommen. Tendenz steigend. Es sind aber nicht nur ältere Frauen, die die Tabletten schlucken, wie es das Klischee will. Besonders junge Menschen – Schüler und Studenten – greifen vermehrt zu den Mitteln, um dem Leistungsdruck standzuhalten. Alex (Name geändert, Anm.) hat monatelang für seine Matura gelernt. In seinen Träumen wurde er von Lernbeispielen verfolgt. Irgendwann wollten seine Eltern sein Leid nicht mehr mitansehen und gaben ihm Schlaftabletten. "Sie haben mir gut geholfen. Ich wollte immer der Beste sein, weil unsere Gesellschaft nun einmal so verdammt leistungsorientiert ist", sagt Alex. Drei Monate lang hat er die Tabletten genommen, dann noch den Absprung geschafft. Denn Benzodiapezine sind hoch abhängig-machend.
Dosis erhöhen
Zukunftsängste
Während Frauen häufiger Benzodiapezine nehmen und daher auch öfter abhängig davon sind, greifen Männer unter Leistungsdruck mehr zu Aufputschmitteln. Eine Studie, an der 815 Studenten und Ärzte zwischen 18 und 65 Jahren teilnahmen, zeigt, dass der mit 9,3 Prozent größte Anteil an Aufputschmittel-Einnehmern männliche Studenten unter 25 Jahren sind. 34 Prozent der Befragten sind an einer Einnahme interessiert, 37 Prozent zeigen Hinweise auf ein Burnout-Syndrom. "Studenten stehen zunehmend unter Stress. Das hat auch mit den Entwicklungen der Studienfächer zu tun, mit der Angst, Beihilfen zu verlieren, mit der Work-Life-Balance.
Der innere Stress rührt aber auch von den ständigen Fragen: Wie geht es weiter, kriege ich einen Job, kann ich mir mein Leben sicher?", sagt Neurologe Wolfgang Lalouschek. Es gebe mehrere Faktoren, die dazu führen, dass Studenten Leistungssteigerndes nehmen.
Auch sei die Schwelle für die Einnahme von chemischen Substanzen gesunken. So soll sich etwa am Juridicum gar ein Umschlagplatz für Aufputschendes etabliert haben. Gerade vor wichtigen Prüfungen sei es üblich, etwas zu nehmen, erzählt Jus-Student Jan (Name geändert, Anm.): "Es ist sinnvoll, weil man viel auswendig lernen und die Konzentration lange aufrecht bleiben muss." 47 Prozent der Studenten leiden laut ÖH an der Uni Wien unter psychischen Beschwerden.
Mehr Frauen nehmen Benzodiapezine als Männer. Das liegt laut Hans Haltmayer, dem Beauftragten für Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, daran, dass sie öfter und früher zum Arzt gehen.
Angst
"Das ist prinzipiell gut und sinnvoll. Sie erhalten dadurch aber auch leichter Medikamente", sagt Haltmayer. Diese wirken vorerst symptomatisch – also gegen Angst-, Spannungs-, Unruhezustände, Überlastungssyndrome, Schlafstörungen, Stress etc. "Es ist immer wichtig, einen Therapieplan zu machen, damit die Ursachen bekämpft werden und die Medikamente rechtzeitig wieder abgesetzt werden können", mahnt Haltmayer. Frauen sind auch häufiger von erhöhten Belastungen im Sinne von Burnout-Syndromen betroffen.
Vor allem junge Männer unter 25 Jahren greifen dafür häufiger zu aufputschenden Mitteln. Neurologe Wolfgang Lalouschek erklärt das so: "Männer haben eine geringere Impulskontrolle und ein höheres Risikoverhalten – in allen Bereichen. Deswegen sind in Unfälle beispielsweise auch hauptsächlich junge Burschen verwickelt." Das Testosteron sei schuld, dass sie risikobereiter sind und weniger Impulskontrolle haben. "Junge Männer haben auch mehr diesen schneller-höher-weiter-Wettbewerb in ihrer Peergroup."
Bei aufputschenden Mitteln bestehe zudem die Gefahr, dass dann im Gegenzug etwas zum Einschlafen genommen werden muss, weil es sonst nicht klappt. Außerdem gilt es bei Aufputschendem noch die ethische Frage zu klären, ob die Leistungen ebenso anerkannt werden.
Bettina (Name geändert, Anm.) war in der Arbeit stets gestresst. Ihre Chefin, eine Ärztin, gab ihr Beruhigungstabletten. Am Anfang halfen sie gut, aber bald ließ die Wirkung nach und Bettina erhöhte die Dosis immer mehr. Als sie gekündigt wurde, hatte sie auf einmal keinen Zugang zu den Tabletten mehr. Da merkte Bettina, dass sie süchtig war. Sie war auf kaltem Entzug. "Man geht durch die Hölle. Ich war total neben der Spur, hab meine Umwelt nicht mehr wahrgenommen, hatte Muskelzucken und wenn ich geduscht habe, habe ich die Hitze vom Wasser nicht mehr gespürt", erzählt sie.
Die 50-Jährige ist dann zur praktischen Ärztin gegangen. "Als sie meinen Zustand gesehen hat, hat sie mir die Tabletten wieder verschrieben", erzählt Bettina. Eine Zeit lang ging es ihr dann wieder besser. "Aber dann habe ich gemerkt, dass es so nicht weitergeht." Da war sie bei ihrer höchsten Tagesdosis angelangt: Zehn Tabletten nahm sie täglich zu sich, sechs Jahre nach ihrer Ersteinnahme. Bettina entschied sich, zur Psychotherapeutin zu gehen. Erst nach längerer Zeit traute sie sich, ihre Sucht auszusprechen. Sie wurde dann zur Suchthilfe "Verein Dialog" in Wien geschickt.
Entzug
Dort erfuhr sie, dass es zwei Möglichkeiten gibt: Einen stationären oder ambulanten Entzug. Bettina entschied sich für Zweiteres. Ihre Tablettendosis wird seither Monat für Monat herabgesetzt. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet sie daran, von dem Tabletten loszukommen. "Derzeit nehme ich nur mehr ein Viertel von dem Teufelszeug." Bis sie clean ist, wird es noch dauern.
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