Immer öfter werden Fluggäste rabiat oder befolgen die Anweisungen des Personals nicht. Nun gibt es eine offizielle Erklärung zum Umgang mit "Unruly passengers".
‚Passagier beißt Flugbegleiterin‘, ‚Jet muss wegen Beziehungsstreits notlanden‘, ‚Mann rastet an Bord aus‘. Es sind Horror-Szenarien wie diese, mit denen Flugpersonal immer wieder konfrontiert ist und damit professionell umgehen muss.
Laut Daten der Fluggesellschaft Austrian Airlines (AUA) treten Szenen wie diese in den vergangenen Jahren allerdings immer öfter auf. Deswegen haben sich nun Mobilitätsminister Peter Hanke, zahlreiche Vertreter der Luftfahrt und der Flughäfen sowie der Austro Control zusammengetan. Gemeinsam unterzeichneten sie am Dienstag eine Erklärung über den Umgang mit sogenannten "Unruly passengers".
Was viele nicht wissen: Auch ein dummer Witz kann schon dazu führen, dass die Exekutive hinzugezogen werden muss. Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter erzählen aus der Praxis und sprechen über die Herausforderungen beim Check-In und in der Luft:
Wenn ein Fluggast gegenüber anderen Passagieren oder der Besatzung aggressiv wird, etwas beschädigt oder die Anweisungen des Personals ignoriert, spricht man in der Luftfahrt eben von einem „Unruly Passenger“, also einem rücksichtslosen oder randalierenden Passagier.
Um 94 % mehr Fälle mit "Unruly passengers"
Bei Austrian Airlines gab es in absoluten Zahlen im Jahr 2024 exakt 588 gemeldete Fälle mit solchen Personen – davon 112 auf der sogenannten Station, also am Boden, 476 an Bord. Gegenüber 2019 ist die Zahl um 94 Prozent produktionsbereinigt gestiegen.
Beim Umgang mit diesen Passagieren versucht man an der Wurzel anzusetzen: Gerade in der Basisausbildung stehe Deeskalation an erster Stelle, sagt Nikola Frates, die seit Jahrzehnten als Flugbegleiterin und Purser, also Chef-Flugbegleiterin an Bord, bei der AUA tätig ist. Es sei wichtig, in Form von Rollenbildern und anhand von Beispielen zu lernen. Es gehe beim Umgang mit „Unruly Passengers“ darum, Situationen zu entschärfen, dabei Fluggäste und Mitarbeiter zu schützen und Lösungen für die Passagiere anzubieten.
Was aber passiert, wenn die Passagiere uneinsichtig sind? Sollte es tatsächlich zu Straftatbeständen wie etwas Sachbeschädigung an Bord kommen, wird ein solcher Fall natürlich der Exekutive übergeben. Die Airline selbst behält sich vor, auffällig gewordene „Unruly Passengers“ schriftlich zu verwarnen oder Sperren für ein, drei oder fünf Jahre auszusprechen, heißt es von dem Unternehmen. In diesem Zeitraum sei es dem betreffenden Passagier nicht möglich, einen Austrian Airlines-Flug zu buchen.
„Unruly Passengers“ gibt es aber nicht nur in der Luft – sie können auch bereits am Boden auffällig werden. Das können unterschiedliche Szenarien sein, sagt Viktor Rinke, der im Stationsbereich bei Austrian Airlines in leitender Funktion tätig ist und in solchen Fällen immer hinzugezogen wird. Nicht immer geht es dabei um aufbrausende Passagiere.
Unpassende Witze & falsche Antworten
Beim Check-In-Vorgang sei das Personal etwa dazu verpflichtet nach gefährlichen Gütern zu fragen. Dazu gehören etwa auch Powerbanks. „Man muss sicherstellen, dass gerade Batterien, Lithiumionen-Akkus nicht im Gepäck verbleiben, weil sie durch den Luftdruck reagieren können und entflammbar sind“, erklärt Rinke.
Genau in diesem Dialog komme es allerdings immer wieder dazu, dass Passagiere unpassende Witze machen und etwa die Frage nach gefährlichen Gütern im Aufgabegepäck bejahen. Was viele nicht wissen: Diese „Witze“ müssen immer ernst genommen werden. Meistens verstünden die betroffenen Personen im ersten Moment überhaupt nicht, was gerade passiert, so Rinke: „Wir können und dürfen aber gar nicht unterscheiden, ob es sich hier um einen Witz handelt oder nicht.“ Man müsse in so einem Fall die Sprengstoffeinheit der Polizei verständigen.
Im Jahr 2024 wurden insgesamt 28 Passagiere bei Austrian Airlines für Flüge gesperrt. 16 davon für ein Jahr, 10 für drei Jahre, 2 für fünf Jahre.
Zwischen 2019 und 2024 hat sich die Anzahl der Fälle mit Unruly Passengers um 98,4 Prozent gesteigert – also nahezu verdoppelt.
In absoluten Zahlen gab es 2024 exakt 588 gemeldete Fälle mit Unruly Passengers – davon 112 auf der Station, 476 an Bord. In rund 17 Prozent der Fälle waren Alkohol und/oder Drogen ein Thema. Auch das Thema Rauchen an Bord kommt immer wieder vor – konkret im Jahr 2024 wurden 63 Fälle dazu gemeldet.
Die Gründe, warum Passagiere zu „Unruly Passengers“ werden, sind vielfältig. Gerade vor oder während eines Fluges sind Menschen oft in Stresssituationen. Rinke beschreibt das mit dem Satz „everybody has a story, also jeder hat einen Grund, warum er fliegt. Das löst unterschiedliches Verhalten aus, was für uns nicht immer erklärbar ist.“ Er erinnert sich an eine aufgelöste Passagierin, die am Gate wegen einer Verspätung extrem aufgedreht habe. „Im Gespräch habe ich dann verstanden, dass ihre Mutter im Sterben liegt. Für jeden anderen war eine Stunde Verspätung nicht so schlimm, aber für sie war das natürlich extrem wichtig.“
Noch ein wenig heikler sind herausfordernde Situationen im Flugzeug selbst, vor allem bei Langstrecken-Flügen. Schon bei der Begrüßung würde eine Art Screening der Passagiere starten, sagt Frates. „Wir sind einfach Menschenkenner, das eignet man sich im Laufe der Flugjahre an. Ich merke mir die Gäste, die schon beim Einsteigen für mich auffällig sind. Manchmal kommen die Probleme gleich auf mich zu oder es kommt etwas später im Flug ein Anruf von meinen Kolleginnen und Kollegen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist mir der betreffende Gast beim Einsteigen bereitsaufgefallen.“
Beschwerden wegen der Rückenlehne
Der häufigste Fall seien Beschwerden wegen der Rückenlehne, wenn diese aufs Maximum zurückgeschoben wird. „Wir versuchen das mit Ratio zu lösen“, sagt Frates. Als sich einmal zwei Damen beschwert hätten, dass deren Lehne in der letzten Reihe nicht so weit zurückgestellt werden könne, wie jene davor, „haben wir uns das gemeinsam angeschaut“. Es sei dann klar gewesen, dass das nicht der Fall ist. Kleine gerade entstehende Konflikte könne man so abfangen.
Klar ist: Als Passagier kann man mit Einsicht und einer Entschuldigung viele Situationen entschärfen. Dafür gibt es dann auch Verständnis auf Fluglinienseite. „Fliegen ist nicht wie Bus- oder Zugfahren. Das löst schon einen gewissen inneren Stress aus. Dann muss nur eine Sache anders sein, als man sie in seinem Kopf geplant hat und schon kann das zu solchen Situationen führen“, sagt Rinke.
Für Frates ist vieles auch „menschlich: Auf engem Raum, in 10.000 Meter Höhe, mit 200, 300 Menschen unterwegs zu sein, das ist jedes Mal so, dass ich mich auf ein Abenteuer einlasse“.
Kommentare