Asyl: Familie und Kinder vor Abschiebung bewahrt
Eine Liste mit 154 Namen von abzuschiebenden Afghanen hat in den vergangenen Tagen NGOs, Flüchtlingshelfer, Oppositionspolitiker und Juristen auf die Barrikaden steigen lassen. Demnach sollten in der Nacht auf Mittwoch erstmals auch Familien mit minderjährigen Kindern, psychisch Kranke und Lehrlinge ins Flugzeug in ihre Heimat gesetzt werden, wie der Standard zuerst berichtete.
Laut KURIER-Informationen ist die Abschiebung von „besonders schützenswerten Personen“ aktuell kein Thema mehr. Wie am Dienstag bekannt wurde, werden Familien, alleinstehende Frauen und Minderjährige nicht abgeschoben. „Es befinden sich ausschließlich alleinreisende, volljährige Männer auf diesem von der europäischen Grenzschutzagentur Frontex organisierten Flug mehrerer EU-Mitgliedstaaten“, so das Innenministerium. Laut Lukas Gahleitner von der Asylkoordination hätten ursprünglich 50 Personen aus Österreich, Ungarn, Slowenien und Bulgarien abgeschoben werden sollen.
Gespräch mit Innenminister
Neos-Nationalratsabgeordnete Stephanie Krisper war in der Angelegenheit Montagnachmittag noch bei Innenminister Wolfgang Peschorn. Dabei bat sie ihn, die Zulässigkeit der Abschiebung bei möglicherweise besonders schutzbedürftigen Afghanen noch einmal zu überprüfen. Flüchtlingshelfer hofften auf eine Lösung für zwei junge Männer, die akut suizidgefährdet sind, wie eine ärztliche Begutachtung in Schubhaft ergeben hat.
Im Fall eines Afghanen, der aufgrund seiner chronischen Selbstmordgefährdung und einer Intelligenzminderung lange in einem Heim mit Sonderbetreuung untergebracht war, hat der Verfassungsgerichtshof Dienstagnachmittag aufschiebende Wirkung in seinem Asylverfahren gewährt. Dennoch spricht Herbert Langthaler von der Asylkoordination von einem „Dammbruch der Unmenschlichkeit“.
Aktion scharf
Die Salzburger Flüchtlingshelferin Krista B. ortet hinter der Liste eine „Aktion scharf“ in Sachen Abschiebungen. Der Name von Krista B.s Schützling, der vor seiner Flucht Funker beim afghanischen Militär war und von den Taliban bedroht wurde, findet sich auch darunter. „Er hat Angst, dass sie ihn am Flughafen in Kabul gleich verhaften“, sagt B.. Dabei habe sich der 26-Jährige sehr um Integration bemüht, spreche Deutsch auf C1-Niveau. Er habe sogar für die heimischen Behörden als Dolmetscher gearbeitet. "Natürlich sind wir alle sehr, sehr betrroffen", sagt sie.
Der junge Afghane Bashir S. wiederum hat auf der Liste, die unter den Asylwerbern via Whatsapp verbreitet wurde, den Namen seines ehemaligen Zimmerbewohners entdeckt. Erst da haben seine Unterstützer herausgefunden, dass der 19-Jährige in Schubhaft sitzt. Am Dienstag hat ihn Bashir S. besucht.
„Ich habe ihn sechs Monate nicht gesehen und ihn fast nicht erkannt. Er ist so dünn geworden“, erzählt er. Es gehe ihm schlecht. „Seine Familie ist nicht mehr in Afghanistan. Die ist in den Iran geflohen. Er hat niemanden dort.“
Sorge um Freund
Bashir hat Matin K. in einer Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Niederösterreich kennengelernt, ehe Matin mit 18 Jahren ausziehen musste. Er sei optimistisch und bemüht gewesen, sich zu integrieren. "Als er dann den negativen Asylbescheid bekommen hat, ist er anders geworden. Er hatte Angst und war traurig." Afghanistan, meint Bashir, sei nicht sicher.
In der Schubhaft hat Matin K. seine Gedanken und Gefühle zu einem Rap verarbeitet. "Das ist nur eine Sehnsucht geblieben. Dass ich nur einen Tag als normaler Mensch lebe", schreibt er. Und weiter: "Im Nest bin ich eingesperrt. Im Meer sind meine Schiffe gesunken. Ich fühle mich so eingeengt. Die Türen sind geschlossen, die Flügel sind gebrochen. Leider finde ich keinen freien Weg. Da draußen war es anders, hatte ich wenigstens Freude. In glücklichsten und traurigsten Momenten waren die dabei. Ich meine meine Freunde. Das wird wahrscheinlich euch nicht interessieren. Mein Leben ist schwarz und weiß, es hat keine bunten Farben. Mein Herz ist zerrissen, da drin sind viele Narben."
Dienstagabend wurde der junge Afghane zum Flughafen gebracht.
Große Kluft
Wie groß die Kluft zwischen negativen Asylentscheidungen und Rückführungen der betroffenen Personen ist, zeigen die Zahlen aus dem Vorjahr. 22.885 negativen Asylentscheidungen stehen 12.611 Außerlandesbringungen gegenüber. Davon verließen 5.665 Personen freiwillig Österreich, 6.946 wurden zwangsweise abgeschoben. 42 Prozent aller Zwangsabgeschobenen im Jahr 2018 waren bereits verurteilte Straftäter.
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