Angriffe gegen Juden in Österreich: "Belästigungen, Übergriffe, Beleidigungen"

Davidstern
Antisemitismusvorfälle häufen sich. IKG-Präsident Rosen sieht Österreich auf Weg zur Ausgrenzung von Juden und fordert „Courage im Alltag“.

Ein jüdisches Ehepaar will mit seinen Kindern – 10 und 13 Jahre alt – vom Flughafen zu einer Geburtstagsparty in Wien fahren und teilt sich ein Taxi mit einer 75-Jährigen. Als der Fahrer unterwegs erfährt, dass ein Teil seiner Passagiere aus Israel stammt, beginnt er, sie als „Kindermörder“ zu beschimpfen, und zwingt die Familie auszusteigen.

Auf der Straße gehen die Beschimpfungen weiter und münden sogar in einen tätlichen Angriff auf den Vater. Dieser Vorfall, der sich vergangene Woche ereignet haben soll, wurde am Montag von der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) publik gemacht. Und soll kein Einzelfall sein. 

Umstrittene Absage

Am selben Tag schlug in Salzburg ein Aufschrei von Elie Rosen gegen die Absage der Premiere eines Dokumentarfilms über jüdisches Leben in Salzburg Wellen. Nach Protesten des IKG-Präsidenten für Salzburg, Kärnten und die Steiermark wird der Film nun zwar zum ursprünglich angesetzten Termin aufgeführt. 

Dass die Kino-Betreiberin die Absage aber in einem Interview zunächst damit argumentiert hatte, man tue in der aktuellen Situation rund um den Gaza-Konflikt „niemandem etwas Gutes, wenn man den Film jetzt zeigt“, ist für Rosen ein „fatales Signal“.

Der nach der bestialischen Terrorattacke der Hamas gegen Israel ausgebrochene Krieg im Gazastreifen hat sich weltweit als Brandbeschleuniger für Antisemitismus erwiesen. Dabei ist die Art der Kriegsführung durch die extrem rechte Regierung von Benjamin Netanjahu auch in Israel selbst höchst umstritten.

Massenproteste in Israel

Erst am Wochenende sind dort landesweit Hunderttausende - allein in Tel Avis 200.000 Menschen - auf die Straße gegangen, um für eine Rückholung der vor bald zwei Jahren von der Hamas entführten Geiseln und ein Ende des Kriegs zu protestieren. 

Und auch in Österreich gebe es „innerhalb der jüdischen Gemeinden ein differenziertes Denken, das ist nicht homogen in eine einzige politische Richtung“, sagt Rosen im KURIER-Gespräch. Dennoch würden „unsere Mitglieder zunehmend in einen Rechtfertigungsnotstand gebracht“, beobachtet der IKG-Präsident. 

Die seien überwiegend österreichische Staatsbürger, gibt er zu bedenken und meint: „Niemand erwartet von einem nichtjüdischen Menschen, sich zu einem Krieg im Ausland zu erklären.“ 

Nicht als Teil der Gesellschaft betrachtet

Für Rosen zeigt das: „Hier beginnt es offenbar, dass Juden und Jüdinnen nicht als Teil der Gesellschaft betrachtet werden, sondern als eine Art Gäste, die einen anderen Status haben. Sonst würde man uns auch nicht schreiben, wir sollen nach Israel verschwinden.“

IKG-Präsident Rosen ortet in Österreicheine für Juden und Jüdinnen gefährliche Stimmungslage. Die Ressentiments hätten sich verstärkt, die antisemitischen Vorfälle sich drastisch gehäuft. „Das kann man natürlich alles abtun. Man kann aber auch sehen, dass das nur die Spitze des Eisberges ist.“

Das sieht man auch bei ESRA so. In dem psychosozialen Zentrum in Wien werden unter anderem die Opfer von antisemitischen Attacken betreut. 

Rückzug aus dem öffentlichen Leben

Abseits der Vorfälle, die es in die Medien schaffen, „hören wir leider viel häufiger von Belästigungen, Übergriffen und Beleidigungen. Sie führen dazu, dass Gemeindemitglieder Symbole, die sie als jüdisch erkennbar machen, also zum Beispiel ihre Halskette mit dem Davidstern, im Alltag verstecken“, sagt Benjamin Vyssoki, ärztlicher Leiter von ESRA.

Besonders bei jüngeren Patienten beobachtet er ein Mehr an Belastung und einen graduellen Rückzug aus dem öffentlichen Bereich, da sie Hetze an Unis oder auch auf Social Media immer heftiger wahrnehmen würden.

Rosen befürchtet, „dass wir auf einem Weg sind, der sehr stark in die Ausgrenzung von Juden und Jüdinnen geht – sowohl im kulturellen als auch im gesellschaftlichen Bereich.“ Der IKG-Präsident hat etwa kritische Stimmen rund um die Absage der Kino-Premiere vermisst und mahnt: 

„Es ist immer leicht, gegen Antisemitismus oder Ausgrenzung zu sein, wenn es politisch nicht heiß ist. Letztendlich kommt es aber auf die Courage im Alltag an.“