Sie fährt selbst mit dem Auto zur Klinik, die Kleidung ist so weit und locker, dass Laien nie eine Schwangerschaft vermuten würden. Die Geburt ist bereits im Gange, die Frau kommt ins Kreißzimmer, Hebammen kümmern sich um sie, sie entbindet flott.
Zwei Stunden nach der Geburt verlässt sie das Spital wieder. Ohne dass Daten von ihr bekannt wären. Und ohne Kind.
Noch immer ist die Möglichkeit der anonymen Geburt viel zu wenig bekannt in Österreich:
Sie wird natürlich nur in Notlagen in Anspruch genommen, aber: Jede schwangere Frau hat in jedem Spital mit Geburtenstation die Möglichkeit zu entbinden, ohne Informationen über sich preiszugeben. Sie braucht auch keine eCard, keinen Eltern-Kind-Pass, keine Begleitperson.
Keine Kurzschlusshandlung
„Diese Frauen haben sich alles genau überlegt, das ist keine Kurzschlusshandlung. Sie haben ein großes Verantwortungsbewusstsein und wollen, dass das Kind sicher zur Welt kommt“, erklärt Elisabeth Gruber, die als Hebamme die Geburtenstation des Klinikums in Steyr leitet.
Derzeit werde in sozialen Medien vermehrt die Alleingeburt propagiert: „Diese birgt aber große Risiken für Mutter und Kind. Es tut so weh, von toten Babys in Hotelzimmern oder Mülltonnen zu hören.“
Jene Frauen, die sich entscheiden, anonym zu entbinden, seien sehr zurückgezogen, „manche geben nicht mal ihren Vornamen preis“, schildert Hebamme Gruber.
Wollte Baby nicht sehen
Im Vorfeld werde mit den werdenden Müttern besprochen, wie denn vor allem die ersten Minuten nach der Geburt gestaltet werden sollen. „Da sind die Wünsche ganz unterschiedlich. Jene Frau, von der eingangs erzählt wird, wollte das Kind zum Beispiel nicht sehen und auch das Geschlecht nicht wissen.“ In der Endphase sei also der Unterleib der Frau abgedeckt worden, das Baby sei nach der Abnabelung – in ein Handtuch gewickelt – sofort vom Kreißzimmer auf die Neugeborenenstation gekommen.
Von allen fünf anonymen Geburten, die es bis dato im Klinikum Steyr gab, hat sich keine der Frauen umentschieden. Alle fünf verließen das Krankenhaus ohne Neugeborenes. Oft erfahren Hebammen und Ärzte wenig bis nichts zu den Gründen, warum sich Frauen für diese Art der Geburt entscheiden.
Elisabeth Gruber erzählt: „Eine Frau hat gesagt, dass sie nicht für das Kind sorgen kann, aber möchte, dass es ihm gut geht.“ Weitere Gründe können schwierige familiäre Verhältnisse sein, etwa, dass der Mann nichts von der Schwangerschaft wissen darf oder dass das Kind nicht gewollt ist, ein Abbruch aber keine Option darstellt. Genauso eine Vergewaltigung mit anschließender Schwangerschaft und die Scham darüber oder die Flucht aus einem anderen Land.
Patrick Stelzl leitet die Geburtenstation am Kepleruniklinikum in Linz
Medizinisch stellen anonyme Geburten andere Anforderungen an das medizinische Personal. Erst mit der Ankunft der Frau startet die Infobeschaffung. „Es gibt einfach Parameter, die medizinisch relevant sind, die wir dann während der Geburt abklären müssen“, sagt Patrick Stelzl. Der Gynäkologe leitet die Geburtenstation am Kepler Uniklinikum in Linz. Jenes Spital, das mit acht die meisten anonymen Geburten 2024 in Oberösterreich hatte.
Hepatitis-Status und Blutgruppe
„Der Hepatitis-Status oder die Blutgruppe der Mutter sind wichtig, weil sie direkten Einfluss auf das Baby haben können“, erklärt Stelzl. Eine anonyme Geburt werde genauso liebevoll und empathisch begleitet wie jede andere Geburt auch, und: „Alleingeburten sind gesetzlich verboten. Wenn da etwas passiert, ist man auch schnell im Strafrecht.“
Einfach kommen
Finanziell gibt es für anonyme Geburten Kulanzlösungen, entweder der Krankenhausträger oder das Land OÖ tragen die Kosten. Auch nach der Entbindung stehen diesen Frauen alle Angebote offen, die es sonst nach einer Geburt gibt, ob stationär oder ambulant. „Sie haben dieselben Rechte und Möglichkeiten“, bringt es Patrick Stelzl auf den Punkt.
„Niederschwelliger geht es nicht. Die Frauen brauchen nichts vorweisen, nichts mitbringen, sie können einfach kommen“, bestärkt Hebamme Elisabeth Gruber. „Diese Frauen gehen gesund aus dem Spital raus. Das Baby kann ein schönes Leben in einer Familie haben.“
Wie läuft eine anonyme Geburt ab?
Hintergrund. Bei der Aufnahme sind keine Angaben zur Person erforderlich. Die Entbindung erfolgt in einem sicheren Rahmen, wobei die Anonymität und Privatsphäre der Frau jederzeit gewahrt bleiben.
Nach der Geburt haben die Mütter die Möglichkeit, ihr Kind zu sehen und/oder eine Bindung zu ihm aufzubauen, sofern sie das möchten. Das Kind wird, sobald es für die Mutter passt, auf die Kinderüberwachung gelegt. Es werden zwei Babypässe mit den Daten des Kindes, einem Foto, einem Fußabdruck und einem Codewort erstellt.
Ein Babypass verbleibt beim Kind, der andere wird der Mutter ausgehändigt. Das vereinbarte Codewort stellt die einzige Identifikationsmöglichkeit dar und ist im Babypass vermerkt. Frauen können auch einen Brief, ein Foto oder ein Andenken für das Baby hinterlassen.
Anonym & kostenlos
In einer Babyklappe bzw. einem Babynest können Babys abgelegt werden, wenn für die Eltern ein Leben mit Kind nicht vorstellbar oder nicht möglich ist. Das Angebot ist anonym und kostenlos und bietet die Möglichkeit, sein Baby an einen sicheren Ort zu bringen, an dem es gut versorgt wird.
Was passiert?
Das Baby wird in das vorgewärmte Nest gelegt, gleichzeitig wird die Geburtenstation informiert. Der Zugang zur Babyklappe bzw. zum Babynest ist unbeobachtet möglich. Die Mutter betritt meistens einen Vorraum, öffnet die Babyklappe und legt das Kind ins Wärmebett. Das Kind wird sofort medizinisch versorgt und betreut. Oft befindet sich vor Ort ein Infoblatt mit einem Codewort. Damit kann sich die Mutter anonym nach dem Befinden ihres Kindes erkundigen.
Wo gibt es das? Auch bei der Babyklappe haben Mütter sechs Monate die Möglichkeit, sich zu melden und ihr Kind doch anzunehmen. Danach wird es zur Adoption freigegeben.
Babyklappen sind meist an Spitäler gekoppelt, es gibt sie in allen Bundesländern außer dem Burgenland.
Die Wochenbettbetreuung erfolgt stationär, wobei die Mutter unter Angabe des Codewortes ihr Kind jederzeit zu sich nehmen kann. Eine weitere Option ist das häusliche Wochenbett. In diesem Fall hat die Mutter ein Besuchsrecht und kann die anonyme Geburt unter Angabe des Codewortes zurückziehen.
Die Jugendwohlfahrt bekommt die vorläufige Obsorge für das Neugeborene. Nach sechs Monaten ist eine Adoption rechtskräftig, bis dahin können Frauen ihren Entschluss rückgängig machen.
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