Die Rache des Bruders
Johann Strauss Sohn war seit acht Jahren tot, da brachte sein jüngster Bruder
Eduard das Notenarchiv des Strauss-Orchesters – bestehend aus mehreren Wagenladungen mit musikhistorisch unwiederbringlichen Originalhandschriften und noch ungedruckten, nie kopierten Werken – in zwei Ofenfabriken im sechsten und im neunten Wiener Gemeindebezirk, um das Material verbrennen zu lassen.
Dies könnte eine Art Rache dafür gewesen sein, dass
Johann Strauss Sohn seinen jüngsten Bruder in seinem Letzten Willen nicht bedacht hatte. Und das, obwohl Johann reich war, während Eduard als letzter lebender Bruder der Strauss-Dynastie in weit weniger günstigen Verhältnissen lebte. Der „Walzerkönig“ hatte sein Vermögen seiner Witwe Adele, seinen beiden Schwestern und der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde hinterlassen.
Nun also begab sich Eduard mit Tausenden Notenblättern in zwei Ofenfabriken. Der Ofenfabrikant Karl R. erklärte Jahre danach in einem Interview im Neuen Wiener Journal:
„Ich redete ihm zu, die Sache noch rückgängig zu machen, Strauss starrte eine Weile vor sich hin, dann rief er: ,Ich kann nicht!’ … Eduard Strauss setzte sich in einen Fauteuil vor den Ofen, meine Arbeiter öffneten die Pakete und streuten die Notenblätter vor den Augen des Hofballmusikdirektors in die auflodernden Flammen des mannshohen Ofenraumes. Bei einzelnen Notenpaketen, die besondere Familienerinnerungen enthielten, war er sichtlich bewegt. Er stand auf, blickte weg und ging für kurze Zeit in das Bureau zurück. Er verließ aber die Fabrik erst, nachdem das letzte Notenblatt verbrannt war. Von dem Umfang des Archivs hat man vielleicht eine Vorstellung, wenn ich mitteile, dass das Verbrennen der Musikalien von zwei Uhr nachmittags bis sieben Uhr abends dauerte.“
Wo ist der Vertrag?
Laut Eduards im Jahre 1906 veröffentlichten Memoiren hätte es einen Vertrag zwischen ihm und seinem früh verstorbenen Bruder Josef Strauss gegeben, demzufolge der den anderen überlebende Bruder „alle Arrangements der Brüder zu vernichten“ habe. Mit dieser Aussage versuchte der jüngste Strauss-Bruder offensichtlich sein Vorgehen zu rechtfertigen – der Vertrag ist jedoch nie aufgetaucht.
So schredderte man also im Jahre 1907.
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