Alles Wurst? Wie liberal Österreich wirklich ist

Conchita wurde von Ex-Freund erpresst
Gleichberechtigung von Homosexuellen ist trotz der Errungenschaften der vergangenen Jahre noch nicht Realität

Nach dem Triumph von Conchita Wurst gibt sich Österreich jetzt nicht nur stolz, sondern auch sehr liberal und tolerant. Aber: Sind Homosexuelle in Österreich tatsächlich gleichberechtigt – oder hängen sich Politik und Gesellschaft jetzt bloß ein regenbogenfarbenes Mascherl um?

Fest steht: Seit 2010 gibt es auch in Österreich die Möglichkeit der Eintragung einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft (EP). Eine Ehe ist das nicht. Das Standesamt beispielsweise blieb homosexuellen Paaren bisher verwehrt, das soll, das muss sich nun ändern – der Verfassungsgerichtshof hat im Vorjahr festgehalten, dass Eingetragene Partnerschaften auch außerhalb der (meist eher schmucklosen) Amtsräume der Bezirksverwaltungsbehörden geschlossen werden dürfen.

Kinder nur für Heteros

Der größte und bedeutendste Unterschied zur Ehe zeigt sich, wenn Kinder ins Spiel kommen: Schwule und Lesben dürfen nicht adoptieren, auch künstliche Befruchtung bleibt ihnen bis heute verwehrt. Letzteres Verbot hat wieder der VfGH kippen müssen, er hat dem Gesetzgeber aber eine Übergangsfrist bis Ende des Jahres gewährt. Das Adoptionsverbot hingegen besteht weiter – Homosexuelle müssen sich mit Pflegekindern „begnügen“, die man ihnen theoretisch jederzeit wieder wegnehmen kann. Niederösterreich, das sich jetzt lautstark als Austragungsort für den Song Contest 2015 ins Spiel bringt, verwehrt ihnen als einziges Bundesland auch das.

„Das Adoptionsrecht, die Unterschiede zwischen Eingetragener Partnerschaft und Ehe und das Fortpflanzungsmedizingesetz“ sind daher auch für Christian Högl von der Homosexuellen Initiative Wien (HOSI) „die Dinge, die jetzt dringend fallen müssen und fallen werden“.

Aber auch der Diskriminierungsschutz im Dienstleistungsbereich müsse endlich angegangen werden, sagt Högl. „Im Arbeitsrecht haben wir diesen Schutz bereits. Ein Wirt beispielsweise darf eine lesbische Kellnerin nicht nur nicht diskriminieren, er muss sie als Arbeitgeber auch vor Anpöbelungen durch Gäste schützen. Gleichzeitig kann er aber als Dienstleister sagen: Ich will kein lesbisches oder schwules Paar als Gäste in meinem Wirtshaus haben und sie rausschmeißen. Das ist absurd.“

Generell habe aber "in den letzten zehn Jahren eine Revolution stattgefunden", meint Högl. "Dass einmal eine Mehrheit der Bevölkerung dafür sein wird, dass Homosexuelle Kinder adoptieren dürfen, wie eine aktuelle Umfrage besagt, hätte ich mir vor zehn Jahren nicht gedacht. Die Gesellschaft ist da offenbar weiter als die Politik."

Die gab sich am Montag allerdings auch überaus engagiert. „In der letzten Legislaturperiode ist es nicht gelungen, mit dem Koalitionspartner den Schutz gegen Diskriminierungen aufgrund sexueller Orientierung auszubauen und anzugleichen“, sagte etwa Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ). „Wir werden aber umgehend wieder die Gespräche in dieser Angelegenheit aufnehmen und hoffentlich rasch zu einem Gesetzesbeschluss kommen.“

ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin wiederum erklärte am Montag, sie wolle mit Hundstorfer darüber reden, dass auch gleichgeschlechtliche Pflegeeltern in Karenz gehen können. Dessen Antwort: „Damit rennt sie bei mir offene Türen ein.“

Für Stephan Auer-Stüger, SPÖ-Bezirksrat in Wien-Margareten, und seinen Partner Thorsten kommt eine derartige Änderung, so sie denn tatsächlich kommt, zu spät. Als ihr Pflegesohn zu ihnen kam, musste Thorsten seinen Job kündigen, damit er sich um das wenige Wochen alte Baby kümmern konnte. Heute lebt das Paar mit dem mittlerweile dreijährigen Pflegesohn und dessen zweijähriger Schwester zusammen - "und selbst wenn wir in Oberösterreich auf dem Land sind, ist es kein Problem, dass da zwei Männer mit zwei Kindern kommen", sagt Stüger. Der aber einschränkt: "Mir persönlich geht's gut. Das liegt einerseits an unserem privaten Umfeld, aber auch an der Stadt Wien. Auf Bundesebene und in erzkonservativen Kreisen schaut die Sache aber anders aus."

Aber selbst aus diesen Kreisen kamen am Montag überraschend neue Töne. „Die Frage ist nicht, ob einer schwul ist, sondern ob er ein guter Kerl ist“, sagte Michael Unger, Pfarrer in Conchita Wursts Heimatgemeinde Bad Mitterndorf, zur Kathpress.

Vorurteile im Alltag

Hat Österreich die Homophobie also tatsächlich überwunden, wenn selbst aus dem katholischen Lager solche Aussagen kommen? „Es hat sich natürlich in den letzten Jahren einiges entwickelt“, sagt Johannes Wahala von der Beratungsstelle Courage, an die sich Jahr für Jahr gut 1000 Homosexuelle und Transgender-Personen wenden, sehr oft sind das Jugendliche. "Bei Jugendlichen ist noch sehr viel Leid da. Sie haben Angst, dass sie von den Eltern abgelehnt oder in der Schule gehänselt oder gemobbt werden, wenn sie sich outen."

Sind diese Ängste begründet? "Ja, durchaus", meint Wahala. „Eine ganz so tolerante und von Respekt geprägte Gesellschaft, wie jetzt getan wird, sind wir sicher nicht.“ Es gebe immer noch viele „Vorurteile und Zerrbilder wie ,Schwule sind keine echten Männer und Schwanzlutscher‘, und ,Lesben haben einfach keinen Mann abbekommen‘. Nicht nur Jugendliche scheuen da vor einem Comingout zurück." Auch Lehrer beispielsweise wagen laut Wahala diesen Schritt oftmals nicht, "weil es dann sofort heißt: Die oder der ist eine Gefahr für die Jugendlichen". Zudem habe "jetzt, wo Homosexuelle durch das offenere, liberale Klima sichtbarer geworden sind, auch die offene homophobe Gewalt zugenommen."

Dass es "Diskriminierung gibt, auch mit Gewalt, und sich diese Leute oft nicht trauen, sich auf die Beine zu stellen oder Hilfe zu holen", bestreitet auch Christian Högl von der HOSI nicht. "Aber wenn jemand sagt, Homosexuelle seien die Parias der Gesellschaft, dann stimmt das einfach nicht. Wir müssen endlich den Opferstatus abschütteln und das Selbstbewusstsein der Leute stärken."

Was Selbstbewusstsein ist, habe Conchita Wurst eindrucksvoll gezeigt.

Wo die Homo-Ehe gilt

Kommentare