553 Schulverbote für Väter
Robert und Niklas K. (*Namen geändert) flüchten aus der Wohnung. Sie stehen irgendwo in Wien-Ottakring auf einem Gehsteig und wählen den Polizei-Notruf. Es ist einer der wenigen Fälle, in denen misshandelte Kinder selbst Hilfe rufen. Ihr Vater schlug zuletzt immer häufiger zu. Wenn ihre Mutter nicht daheim war, traf es die beiden Schüler, erzählten sie später der Polizistin.
Kurz nach 20 Uhr trafen die Beamten in der Wohnung ein. Besteht für die Frau und die Kinder ein Risiko? Es liegt an den Polizisten, diese Gefahr abzuschätzen. Der Vater berichtet von "schwer erziehbaren Kindern", will von Gewalt nichts wissen. Die Beamten verhängen ein Betretungsverbot – allerdings nicht nur für die Wohnung, sondern auch für die Volks- und Mittelschule der beiden.
Am 1. September des Vorjahres trat das erweiterte Betretungsverbot in Kraft: Potenziellen Gewalttätern, die Kinder (bis 14 Jahre) im Haushalt gefährden könnten, darf neben der Wohnung auch der Zutritt zu Schulen, Kindergärten und Horten verboten werden. Nun liegt die erste Bilanz vor: Bis Ende März, also in den ersten sieben Monaten, dehnten Polizisten in 553 Fällen das Betretungsverbot auf relevante Einrichtungen aus.
Erschossener Schüler
"Mütter und Kinder haben ein besseres Sicherheitsgefühl als zuvor", sagt Barbara Ille von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. Die Einrichtung ist eines jener Gewaltschutzzentren, die von Amts wegen bei Betretungsverboten eingeschaltet werden. Sie kümmern sich um die Opfer und bieten ihnen (psychosoziale) Betreuung an.
Zwar gilt das erweiterte Betretungsverbot als "Errungenschaft", wie Marlies Leitner, die Chefin der Gewaltschutzzentren in Niederösterreich, festhält. Der Gesetzgeber habe aber vergessen, die betroffenen Kinder langfristig zu betreuen – oder besser gesagt, Geld dafür zu reservieren. Häufig müsse man auf andere Einrichtungen verweisen, sagt Leitner.
Gewaltspirale
Doch Plätze sind rar, obwohl die Betreuung wichtig wäre: Erlebte Gewalt pflanzt sich laut Experten häufig fort. "Kinder, die Gewalterfahrungen machen, werden später oft selbst zu Tätern", sagt Maria-Anna Pleischl, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie. Dafür reiche es aus, wenn Kinder solche Szenen mitansehen müssten. "Sie kopieren das Verhalten der Erwachsenen", erklärt Pleischl. Die Standesvertreterin fordert deshalb den Ausbau der kontingentierten Therapieplätze.
Rekordzahl
Die Anzahl an Wegweisungen und Betretungsverboten aus heimischen Haushalten blieb 2013 laut der Statistik des Innenministeriums auf einem hohen Niveau: Rechnet man jene aus Schulen (291 Fälle) ein, dann wurde 8101 Mal davon Gebrauch gemacht. Im Jahr davor waren es bereits (ohne erweitertes Betretungsverbot) 8063.
Handlungsbedarf gibt es: Marlies Leitner sieht die Staatsanwaltschaften gefordert. Hochrisikotäter müssten frühzeitig in Untersuchungshaft kommen. "Noch immer sind zwei Drittel der Morde Beziehungstaten."
Bis 1997 interessierte sich der Staat nur im Anlassfall für Gewalt in der Familie: Wenn eine Straftat angezeigt wurde, schritt er ein. Der Bedroher oder Gewalttäter blieb in der Wohnung, die Frau zog – im besten Fall – ins Frauenhaus oder blieb in den eigenen vier Wänden.
Die Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz 1997 drehte den Spieß um – ab sofort musste der Gewalttäter oder Bedroher weichen. Zentral ist dabei, dass präventiv eine Wegweisung aus der Wohnung oder ein Betretungsverbot ausgesprochen werden kann. Die Polizei entscheidet dies unabhängig vom Opfer. Dies entlaste die Betroffenen, sagt Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck: "Der Beamte trägt dafür die Verantwortung." Gültig ist die Wegweisung für zehn Tage. Im Falle eines Verstoßes drohen 500 Euro Bußgeld oder im Wiederholungsfall die Festnahme (Tatbegehungsgefahr). Verstöße sind selten. Ein Gewaltschutzzentrum wird automatisch verständigt, das Kontakt zu den Opfern sucht und hilft. Am 1. September des Vorjahres wurde das Betretungsverbot auf Schulen, Kindergärten und Horte (für bis 14-Jährige) ausgedehnt. Unabhängig davon können Frauen am Zivilrechtsweg eine einstweilige Verfügung, die einem Kontaktverbot gleichkommen kann, beantragen.
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