400 Jahre älter: Muss Geschichte des Buches umgeschrieben werden?

400 Jahre älter: Muss Geschichte des Buches umgeschrieben werden?
Restauratorin entdeckte Faden, Falz und Lochung an einem Fragment, das einst an einer Mumie gefunden wurde.

Liegt das älteste Buch der Welt in Graz, jedenfalls winzige Teile davon? Expertinnen und Experten der Karl-Franzens-Universität Graz sind davon überzeugt: Eine Restauratorin entdeckte Mitte Mai an einem winzigen Papyrus-Fragment ein Stückchen Faden, Heftlöcher und einen zentralen Falz - alles Spuren, die zu einem Buch führen. 

"Man denkt, es ist surreal", beschreibt es Restauratorin Theresa Zammit Lupi am Donnerstag. "Diese Entdeckung ist ein echter Glücksfall." Das Fragment - nur 15 mal 25 Zentimeter klein - stammt aus dem 3. Jahrhundert vor Christus - doch bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass die ersten Bücher Schriftrollen erst 400 Jahre später zu ersetzen begannen.

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Der Inhalt des Schriftstücks ist unspektakulär. Es wurde als eine Art Notizbuch verwendet, erläutert die Expertin: Rechnungen auf Griechisch finden sich darauf, für Öl- oder Biersteuern. Doch das war nur sein erster Gebrauch: Später wurde dieses Blatt als sogenannte Kartonage wiederverwertet, die nötig waren, um Mumien zu umhüllen.

Zufallsfund

Bereits 1902 wurde dieses Fragment an einer Mumie entdeckt, 1904 kam es an die Uni Graz, die eine Sammlung von 52 solcher Papyri besitzt. Bei Routinearbeiten an dieser Sondersammlung stieß die Restauratorin auf Falz und Heftung. Zuvor fielen die Buchmerkmale niemandem auf. Sie sei zuerst einmal "geschockt" gewesen: Das könne es nicht geben, erinnert sich Zammit Lupi. "Dann riesige Freude."

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Bereits im 3. Jahrtausend vor Christus wiurde Papyrus in Ägypten eingesetzt, ab dem 5. Jahrhundert vor Christus ist das Material auch in Griechenland nachweisbar. Bisher ging die Forschung aber davon aus, dass Heftung in Buchform erst im 2. und 3. Jahrhundert nach Christus vorkamen. Das Grazer Mumienbuch entstand aber 400 Jahre früher. "Es ist damit die bis heute älteste, erhaltene Form eines Buches, die wir kennen", versichert Erich Renhart, Leiter Sondersammlung der Bibliothek.

Papiermühlen

Generell verbreiteten sich Papyri ausgehend von Griechenland im Römischen Reich. Allerdings wurden Papyri vom haltbareren Pergament verdrängt, das aus Tierhäuten hergestellt wurde, jedoch sehr teurer war.

Im 13. Jahrhundert entstanden erste Papiermühlen in Europa, wobei das Papier noch nicht aus Holz hergestellt wurde - sondern aus Lumpen, abgenutzen Kleidungsstücken also.

Der Rest ist (bekannte) Geschichte: Mitte des 15. Jahrhundert revolutioniert Johann Gutenberg mit dem Buchdruck den Markt .

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Was bedeutet der Grazer Sensationsfund nun für die Geschichte des Buches? Man müsse sie nicht neu schreiben, überlegt Renhart. "Aber Anfänge der Codices wird man neu bedenken müssen." Denn es sei nicht unwahrscheinlich, dass es in weiteren Sammlungen noch mehr solcher Fragmente gibt: "Nach ihnen wurde bisher nur nicht systematisch gesucht."

Finanzieller Wert nicht bezifferbar

Der finanzielle Wert eines solchen Stücks lasse sich nicht beziffern. "Wenn wir es transferieren wollen zu einer Tagung, müssten wir einen Versicherungswert benennen", überlegt Renhart. Aber den können wir noch nicht benennen."

Die Grazer Uni wolle zudem keine Superlative aufstellen, wehrt Rektor Peter Riedler aber ab. Geplant ist aber eine Tagung von internationalen Spezialistinnen und Spezialisten im Herbst.

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