24.000 Jobs in Clubszene auf der Kippe
Wo früher die Nächte durchgetanzt wurden, wird jetzt gebaut. Schnur-Vorhänge werden aufgehängt, die Discokugeln mit Wohnzimmer-Lampenschirmen getauscht. Die Tanzfläche wird mit einem Teppich bestückt, 80 Sesseln kommen dorthin.
Der Grund für den Aufwand: Der Volksgarten wird ein Restaurant. „Pizza senza Danza“ (Pizza ohne Getanze) – das Pop-up-Restaurant, das im Sommer im Garten aufgebaut war – wandert nun in die Säulenhalle.
Der seit 70 Jahren bestehende Club Volksgarten hat so Einnahmen – und kann seine rund 100 Mitarbeiter weiter beschäftigen.
Der Belvedere-Sommergarten
Der Sommergarten im Volksgarten schließt, er wird zum Wintergarten.
Auf der Tanzfläche
Auf der Tanzfläche wird der Teppich ausgerollt, Tische werden aufgestellt und es wird für 80 Sitzplätze gesorgt.
Im Club
Der Wintergarten wird umgebaut. Hier wird eine "Sitzende Bar" installiert - denn an der Bar stehen ist derzeit wegen Covid-19 verboten.
Abstandsregel
An den Tischen wird zusätzlich Plexiglas installiert.
Der Pizzaofen
Der Pizzaofen bleibt draußen, die Tische kommen nach Innen.
Transformation
Die Säulenhalle im Volksgarten wird ab Donnerstag, den 15. Oktober für Gäste geöffnet sein. Aber als Pizzeria, nicht als Tanzfläche.
Eventmanager Ali Pasha Ilkhanipour
„Wir mussten uns etwas überlegen für die hundert Mitarbeiter“, erklärt Eventmanager Ali Pasha Ilkhanipour. „Die Eigentümer-Familie Böhm legt viel Wert auf ihre Mitarbeiter, sie sind mit ihnen gemeinsam groß worden“, sagt er.
„Clubs konnten seit Corona keinen Normalbetrieb führen“, sagt Martina Brunner von der Vienna Club Commission, der Interessensvertretung der Clubbetreiber und Kulturveranstalter. Und das wirkt sich verheerend auf die Branche aus: 24.000 Jobs und rund eine Milliarde Euro an Wertschöpfung pro Jahr hängen laut einer Studie der Wirtschaftskammer am Wiener Nachtleben.
Beides steht nun auf der Kippe – wie das Beispiel des Clubs Sass zeigt: „Wir haben seit März alle Mitarbeiter gekündigt“, sagt Geschäftsführer Gregor Imhof.
Gefährdet ist damit auch all das, was die Szene ausmacht. Was das genau ist, das hat die Club Commission nun in einem Bericht veranschaulicht. Dafür wurden in der Zeit von Februar bis Mai sämtliche Wiener Bezirksvorsteher zur lokalen Club- und Eventszene befragt. Dem KURIER liegt das Ergebnis exklusiv vor.
Zu nobel für die Party
Demnach haben neun Bezirke ein reges Nachtleben: der 1. Bezirk (Babenberger Passage, Flex), der 2. (Pratersauna, Fluc), der 4. (Roxy, Schikaneder), der 5. (Celeste, Arena-Bar), der 6. (Village, Jenseits), der 7. (Camera, Dachboden 25h), der 9. (Grelle Forelle), der 15. (Stadthalle) und der 16. (Gürtel Night Walk).
In acht Bezirken ist das Ausgeh-Angebot laut dem 90-seitigen Papier immerhin „gut“ – nämlich im 3., 8., 10., 11., 12., 14., 17. und 18. Bezirk.
Düster schaut es dagegen an der Peripherie Wiens aus: Im 20., 21., 22. und 23. geben sogar die Bezirksvorsteher zu, dass es um die Nacht- und Eventszene schlecht bestellt ist. Und das missfällt ihnen: Die Bezirkschefs bedauern, dass die Jungen den Bezirk abends verlassen, weil die wilden Partys wohl andernorts stattfinden.
Ganz im Gegensatz zu Hietzing und Döbling: Ihre Vorsteher sehen nicht unbedingt Bedarf für Clubs, weil es sich um Wohn- und Familienbezirke handle.
Aufreger Lärm
Ein Problem fällt in diesen Bezirken weg: der Lärm. Wenn sich die Menschen über Clubs beschweren, dann in der Regel deshalb. Das betrifft laut dem Bericht vor allem Veranstaltungen im öffentlichen Raum, Straßenfeste oder Lokale, vor denen Gäste rauchen (siehe Grafik). Gleich dahinter auf der Liste der Aufreger kommen Schanigärten (weil die Gäste lärmen oder die Gärten Parkplätze blockieren), gefolgt von Müll und der Nicht-Einhaltung der Sperrstunde.
Was kann man dagegen tun? Die Vienna Club Commission macht es sich zur Aufgabe, zwischen Anrainern, Veranstaltern und Bezirken zu vermitteln. Damit einerseits der enorme Wirtschaftsfaktor „Nachtleben, Disco und Clubs“ weiter existieren kann und damit andererseits die Probleme der Anrainer ernst genommen werden. „Wenn der Lärm zu groß ist, dann können wir an innovative Lösungen, wie zum Beispiel schalldichte Fenster denken. Das hilft den Anrainern“, sagt Martina Brunner von der Club Commission.
Trotz der Probleme sind für 43 Prozent der Bezirksvorsteher Festivals und Events ein wichtiger Bestandteil des Bezirkslebens. Nicht zu unterschätzen ist übrigens auch der finanzielle Aspekt des Feierns: 15 Bezirke stufen den Wirtschaftsaspekt des Nachtlebens als „sehr relevant“ bis „relevant “ ein.
Bis die Szene wieder floriert, ist aber noch Kreativität gefragt: Jetzt geht es ums Überleben und um das Realisieren von Übergangskonzepten – so wie im Volksgarten. Am 15. Oktober öffnet die Pizzeria auf der Tanzfläche.
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