Wiesenthals geheime Baupläne aus dem KZ

Wiesenthals geheime Baupläne aus dem KZ
Simon Wiesenthal, im Zivilberuf Architekt, plante im KZ Mauthausen für einen Mithäftling ein Kaffeehaus.

Das ist die berührende Geschichte einer Freundschaft zweier Männer, die einander im Schatten des Todes kennengelernt haben. Der eine rettete das Leben des anderen, indem er – unter Einsatz seines eigenen Lebens – im Konzentrationslager dessen Identität verfälschte. Dafür schenkte der andere, ein gelernter Architekt, seinem Lebensretter die Baupläne für ein Kaffeehaus – das dieser nach der erhofften Befreiung eröffnen wollte. Der Architekt war kein Geringerer als Simon Wiesenthal, dessen Todestag sich dieser Tage zum zehnten Mal jährte. Jetzt erst tauchen seine in Mauthausen gezeichneten Baupläne auf.

Simon Wiesenthal und der aus der polnischen Stadt Posen (heute Poznań) stammende Edmund Staniszewski lernten einander im oberösterreichischen Todeslager Mauthausen kennen. Beide waren etwa gleich alt, ausgebildete Ingenieure, und sie freundeten sich im Konzentrationslager an.

Wiesenthals geheime Baupläne aus dem KZ
Edmund Staniszewski war im Oktober 1939 in seiner Heimatstadt Posen verhaftet worden, als er sich im Gespräch mit einem Bekannten abfällig über das Naziregime äußerte. Gestapo-Männer, die ihn abgehört hatten, lieferten ihn als politischen Häftling ins KZ Mauthausen ein.

Simon Wiesenthal, der insgesamt zwölf Arbeits- und Konzentrationslager überlebt hat, gelangte erst am 9. Februar 1945 nach Mauthausen, wo er die letzten drei Monate bis zur Befreiung durch die Amerikaner verbrachte.

Der Lebensretter

Mir liegt ein Brief Wiesenthals vom 12. November 1960 vor, der beweist, dass Edmund Staniszewski sein Leben gerettet hat. "Mein Lieber Edziu!" (für Edmund), schreibt der damals schon bekannte Nazijäger (auf Polnisch). ,Ich habe Deinen Brief erhalten. Du hast keine Ahnung wie ich mich gefreut habe … Ich weiß, dass ich Dir, dank dem Adel Deines Herzens mein Leben verdanke … Ich bin sicher, dass ich ohne Deine Hilfe durch die Gaskammer gegangen wäre. Als ich Deinen Brief erhielt, habe ich ihn meiner Frau und meiner Tochter gezeigt und ihnen gesagt, dass das der Brief eines edelmütigen Menschen ist, dem ich mein Leben verdanke … Ich grüße und küsse Dich herzlich, Dein Simon."Edmund Staniszewski ist 1984 im Alter von 75 Jahren verstorben, aber seine Witwe Izabela lebt, heute 91-jährig, in Poznań (Posen), wo ich sie telefonisch erreichte. "Hat Ihr Mann Ihnen erzählt, wie er Wiesenthal retten konnte?"

Die falsche Nummer

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Familie Swoboda, Wiesenthal-Geschichte
"Ja", sagt sie, "mein Mann hatte in Mauthausen die Aufgabe, jeden Tag der Lagerleitung die Nummern der kranken und verstorbenen Insassen zu melden. Er hat Wiesenthal gerettet, als er ihm die Nummer eines verstorbenen Häftlings gab, wodurch die Lagerleitung nicht wusste, dass Wiesenthal noch am Leben war. Er hätte als polnischer Jude wohl kaum überlebt."Edmund Staniszewskis Witwe erklärte mir auch, wie es zu den (zum Teil handsignierten und im KZ geheim gehaltenen) Kaffeehaus-Plänen des Architekten Simon Wiesenthal gekommen ist: "Eines Tages fragte Wiesenthal meinen Mann im Lager: ,Was wirst du machen, wenn wir das hier überleben sollten?’

Ein Café mit Milchbar

Da hat mein Mann gesagt: ,Mein Traum ist es, ein großes Kaffeehaus mit Milchbar und einem Spielclub zu eröffnen.’ ,Besorge mir Papier und Bleistift’, erwiderte Wiesenthal, ,ich werde dir die Pläne für dein Lokal zeichnen.’"

Edmund Staniszewski bekam von einem Häftling, der im Büro der Lagerleitung arbeitete, Papier und Bleistifte in mehreren Farben, mit denen Wiesenthal dann das Café entwarf. "Simon Wiesenthal war froh", erzählt Edmund Staniszewskis Witwe, "in der schrecklichen Atmosphäre des Lagers einer vernünftigen Arbeit nachgehen zu können." Das Kaffeehaus war exakt für ein dreistöckiges Eckhaus in Posen konzipiert, das Edmund Staniszewskis Familie gehörte.

Nicht gerne gesprochen

Nach seiner Freilassung aus Mauthausen hat Staniszewski all das seiner Frau und seinen Kindern erzählt. "Gerne hat er nicht darüber gesprochen, weil es schreckliche Erinnerungen waren."

Iwona und Gerhard Svoboda, die in Wien lebende Tochter Staniszewskis und ihr Mann, überreichten mir die von Wiesenthal minuziös gezeichneten Kaffeehaus-Pläne, die auf mehr als 80 Seiten auf grobem Lager-Papier dokumentiert sind. Wiesenthal skizzierte zahlreiche Details wie Innen- und Außenansichten des Lokals, Tische und Sessel, aber auch die Uniformen der Serviererinnen, des Kochs und des Zigarettenverkäufers. Der Architekt zeichnete auch eine Uhr für das Lokal und sogar die Einladungskarten zur Eröffnung. Dabei wurde berücksichtigt, dass Staniszewski bereits den Namen seines Spiel- und Kaffeehauses wusste: Es sollte "As" (benannt nach der Spielkarte "Ass") heißen.

Kaum noch Arbeit

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Wie konnte Wiesenthal so viele, präzise Zeichnungen in einem Konzentrationslager anfertigen, in dem die Häftlinge Tag für Tag zu bis zu elfstündiger Schwerstarbeit gezwungen wurden? "Ich vermute", sagt Zeitzeuge Rudi Gelbard, der das KZ Theresienstadt überlebt hat, "dass in den letzten Wochen in Mauthausen bereits ein derartiges Chaos herrschte, dass dort kaum noch gearbeitet wurde. Nur so ist es zu erklären, dass Wiesenthal die Kraft und die Zeit fand, diese Skizzen anzufertigen, die seinem damals schrecklichen Leben doch noch Sinn geben konnten." Andere Zeichnungen, mit denen Wiesenthal – auf weniger als 50 Kilogramm abgemagert – die Atmosphäre im Konzentrationslager Mauthausen festhielt, sind bekannt.Das Kaffeehaus nach den Vorstellungen Wiesenthals ist nie realisiert worden, da Staniszewskis Haus in Posen von den Kommunisten konfisziert wurde. Aber die Pläne blieben als Beweis einer Freundschaft zweier Männer, die durch die Hölle gingen, erhalten.

Heute ein Supermarkt

Die Beiden verloren einander nach 1945 zunächst aus den Augen. Edmund Staniszewski ging zurück nach Posen und heiratete Izabela, die ihm eine Tochter und zwei Söhne schenkte, Wiesenthal zog mit Ehefrau und Tochter nach Linz und später nach Wien. Die Freunde fanden einander 1960 wieder, "und von da an blieben sie, solange mein Mann lebte, in Kontakt", erzählt Staniszewskis Witwe. "Immer wenn er in den Westen reisen konnte, hat er Simon getroffen."

Das nach dem Krieg von den Kommunisten enteignete Haus in Posen wurde 1994, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, an die frühere Besitzerfamilie restituiert. Zu spät für Edmund Staniszewski, der zehn Jahre davor verstorben war. An der Stelle, an der das Kaffeehaus nach Wiesenthals Plänen hätte entstehen sollen, befindet sich heute ein Supermarkt.

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